Jerks - Streaming-Revolution mit dem Comedy-Establishment

26.01.2017 - 14:15 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Jerks mit Fahri Yardim und Christian UlmenMaxdome/ProSieben
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Die deutsche Film- und Serienlandschaft ist ein von tiefen Neurosen verzurrtes Knäuel. Kann Streaming ihr Lösung und Lockerheit verschaffen? Jerks, die erste deutsche Eigenproduktion eines Streaming-Anbieters, bleibt die Antwort noch schuldig.

Jörg Thadeusz lachte über Jerks. Er tat das schon beim Erzählen von der Serie, die er noch vor all jenen gesehen hat, die zu ihrer Premiere vor einer Woche eingeladen waren. Er teast den gebannt auf die Premiere wartenden Zuschauern eine Szene an, die so unfassbar vulgär und witzig sein soll, dass sie jeder im Saal jetzt, sofort, unbedingt sehen will. Jörg Thadeusz moderiert den Premieren-Abend für Maxdome, der ein ganz besonderer für den deutschen Streaming-Anbieter werden soll. "Ein besonderer Abend für uns [Maxdome] und für Deutschland", verkündet der sichtlich stolze Maxdome-CEO Filmon Zerai dem aufgeregten Publikum. "Für die ganze Welt", ergänzt Jerks-Hauptdarsteller Fahri Yardim aus der ersten Reihe und man dankt ihm herzlich für die Brechung der ergriffenen Feierlichkeit.

Aber Maxdome feiert sich ja durchaus zurecht selbst. Der Streaming-Dienst gewann als großer Außenseiter das Rennen zum Mond um die erste von einem VoD-Anbieter produzierte deutsche Serie. Eine türkisweiße Flagge steckt jetzt auf der Brache moderner deutscher Serienkultur. Nun könnte es losgehen, könnte deutschsprachige Serienkultur von unten, aus dem Internet, neu aufgebaut und erfrischt werden, wo sich doch das althergebrachte deutsche Fernsehen so tapfer gegen gute Serien wehrt. Streaming als neue Präsentationsplattform könnte die alten TV-Verkrustungen umgehen, es könnte Nischen füllen und Drehbücher verfilmen, die den öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern immer noch zu aufregend, anstrengend, kompliziert oder nerdig sind. Der von den neurotischen deutschen Kulturstrukturen losgelöste Streaming-Markt könnte deutschem Seriengut den Raum bieten, den es braucht zum Freischwimmen und Selbstausprobieren, fernab politischer Ängste und vermeintlich vorprogrammierter Ablehnung von Neuem und Andersartigem.

Die erste Welle der Streaming-Revolution jedoch ist besetzt mit den alten Gesichtern deutscher Fernseh- und Kinokultur. Bei Maxdome dürfen Fahri Yardim und Christian Ulmen blödeln, für Amazon Matthias Schweighöfer sich an einer Thrillerserie (You Are Wanted) versuchen. Hinzu kommt die Ungewissheit , ob Jerks überhaupt eine richtige Streaming-Serie ist. Maxdome, eine ProSiebenSat.1 Media SE -Tochter, sitzt zusammen mit der Sendergruppe seit seiner Gründung 2006 in Unterföhring. Keine vier Wochen nach der Premiere bei Maxdome läuft Jerks bereits im späteren Abendprogramm bei ProSieben. Die für Streaming-Dienste und ihre Abonnenten-Generierung so wichtige Exklusivität bleibt auf der Strecke. Maxdome handelt exakt entgegen der bei Amazon und Netflix längst gängigen Geschäftsstrategien. Warum? Wohl weil Maxdome schlicht zu nahe an den linear sendenden ProSieben/Sat.1 dran ist.

Jerks

Sowohl Amazon als auch Maxdome wollen bei ihren Streaming-Testflügen kein Risiko eingehen und handeln dabei im Grunde genauso vorsichtig wie das Fernsehen bereits seit Jahrzehnten. So werden die neuen unerschlossenen Quellen von etablierten Künstlern und Senderhäusern besetzt, die neue Einflüsse blockieren. Aber wenn Streaming wirklich die große Hoffnung für gute deutsche Serien sein soll, darf nicht alter Programm-Muff durch die neuen Kanäle fließen.

Während Maxdome/ProSiebenSat.1 und Amazon drei der bekanntesten Filmschauspieler Deutschlands dieses neue Streaming im Internet ausprobieren lassen, lassen Netflix und HBO Youtuberinnen wie Issa Rae (Insecure) und Colleen Ballinger (Haters Back Off) eigene Serien drehen: Auteur-Fernsehen aus der Internet-Subversive statt eingemauertes Comedy- Establishment. Kann sich Serien-Deutschland so freischwimmen? Da ist das wilde öffentlich-rechtliche funk-Programm mit seinem radikal digitalen Ansatz (Wishlist) vielversprechender.

"Maxdome hat als einziger den Mut aufgebracht, ein solches Format umzusetzen und Geschichten zu erzählen, die man eigentlich weder erzählen noch hören möchte und bei denen man trotzdem nicht wegschauen kann." So spricht  Christian Ulmen über Jerks. Maxdome, sagt er, habe den Mut zum Unfall gehabt. Tatsächlich geht Maxdome bei der Auswertung weder ein künstlerisches Risiko noch wirtschaftliches Wagnis ein. Als wäre derber einheimischer Blödelhumor ein Problemprodukt in Deutschland.

Jerks versucht natürlich durchaus, Dinge anders zu machen als andere deutsche Serien. Yardim und Ulmen etwa improvisierten ihre Dialoge größtenteils. Weiterhin wirbt die Serie damit, Tabus zu brechen: In den ersten beiden Episoden geht es um Masturbation und wie man sowas Kindern erklärt. Das ist auch die Szene, die Jörg Thadeusz so groß angekündigt hatte. Sie erfüllte die aufgebauschten Erwartungen nicht. Wie sollte sie auch? Ein angemeldeter Witz kann nicht witzig sein. Ansonsten kalkuliert Jerks viel mit Populärem, hofft auf die Wirkung unzähliger Cameos. Es gibt altkluge Kinder in der Serie, weil das deutsche Publikum altkluge Kinder liebt und anderes mitunter Einfältiges, mitunter Vergnügliches. Im Großen und Ganzen: Etwas derberer Männerherzen-Humor, teilweise mit den gleichen Schauspielern, etwa Jana Pallaske (als sie selbst) und natürlich Christian Ulmen. Der Horizont der Serie ist erschreckend klein, reicht kaum über die vermeintlichen sexuellen Tabubrüche und die augenzwinkernde Persiflage deutschen Showbiz' hinaus. Das hat man schon Welten besser bei Louie gesehen und, weil der Vergleich so ungerecht ist, viel dezenter und feinsinniger auch bei Pastewka.

Vielleicht retten Netflix (und womöglich auch Amazon und Schweighöfer, wer weiß ...) dieses so wichtige deutsche Streaming-Jahr doch noch. Von Dark hörte man, getreu dem Titel, bisher noch wenig, und das ist eigentlich ein gutes Zeichen, denn über Stranger Things und The Crown, zwei der populärsten Serien des letzten Jahres, sprach vorher kaum jemand. Es muss nicht immer laut sein, und einem Witz schadet es eben nur, wenn er laut angekündigt wird. Auch dem deutschen Streaming-Aufbruch täte ein weniger tönender Ansatz gut. Genau das ist die Schauspiel- und Comedy-Elite aber nicht gewohnt.

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