Keanu Reeves ist in John Wick 4 unzerstörbar wie Neo aus Matrix und ich will das nicht akzeptieren

03.04.2023 - 11:45 UhrVor 1 Jahr aktualisiert
John Wick: Kapitel 4
Leonine
John Wick: Kapitel 4
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John Wick 4 übertreibt es mit der Unzerstörbarkeit von Keanu Reeves' Action-Figur. Und bewirkte bei mir das Schlimmste, was bei einer Action-Reihe passieren kann.

Es folgen Spoiler: John Wick stirbt im vierten Teil der Action-Reihe, die gerade im Kino läuft. Im finalen Duell tritt die fatalste Konsequenz seines Auftragskiller-Lebenswandels ein. Aber John Wick 4 ist sehr lang, fast 3 Stunden. In dieser Laufzeit gewinnt der Action-Held nicht nur über hundert Duelle mit Schergen. Er überlebt auch bizarre Stürze und Kollisionen, nach denen vergleichbare Figuren wie James Bond und Tom Cruise' Ethan Hunt als Gipsmumien im Krankenhaus aufwachen würden – oder gar nicht mehr. Keanu Reeves schüttelt sich und macht weiter.

Dass John Wick selbst aussichtsloseste Situationen maximal mit einer Stirnschramme übersteht, musste man schon immer akzeptieren, wenn man die Filme der Reihe genießen wollte. John Wick überlebt, damit wir vier blutige Teile lang Spaß mit ihm haben können. Bei John Wick: Kapitel 4 fiel es mir aber immer schwerer, seine vermeintliche Unzerstörbarkeit einfach hinzunehmen. Mir ist das Schlimmste passiert, was bei einer Action-Reihe passieren kann: Ich habe aufgehört, über die Schönheit der Action-Choreografien zu staunen. Ich habe stattdessen über Physik, Anatomie und die Dichte von Keanu Reeves' Knochen nachgedacht. Wie konnte es bloß dazu kommen?

John Wick wird in Teil 4 zu einem Superhelden wie Neo aus Matrix

Neo friert Kugeln ein

Mir ist Realismus in John Wick-Filmen egal. Wirklich. Aber ich finde dann doch, dass es einen Unterschied geben sollte zwischen einer Figur wie John Wick und Neo aus Matrix, der ebenfalls von Keanu Reeves gespielt wird. Wie komme ich auf den Vergleich? John Wick und Neo sind zwei Seiten derselben Keanu Reeves-Medaillie. John Wick-Schöpfer Chad Stahelski war in der Sci-Fi-Reihe für die Stunts und die Choreografien zuständig. Die Helden teilen sich ihre Coolness, ihre Kampffertigkeiten und ihre ... Keanureevesness. Was sie unterscheidet, ist ihre potenzielle Verwundbarkeit. John Wick ist, theoretisch, ein Mensch. Neo ist ein Halbgott wie Superman.

Im Matrix-Finale gibt es diese Szene, in der Agent Smith (Hugo Weaving) Neo durch den U-Bahnhof schleudert. Kurz darauf prügelt der übermächtige Gegner so heftig auf den Bauch von Neo ein, bis er Blut spuckt. Es ist das letzte Mal, dass wir die Keanu Reeves-Figur in der Matrix derartig schwach erleben. Denn der einstige Stubenhocker erkennt sein ganzes Potenzial. Schläge von Smith haben keine Wirkung mehr auf ihn, Kugelhagel friert er in der Luft ein. Aus dem Hacker wird endgültig ein Superheld. Das Gleichgewicht in den folgenden Action-Szenen verändert sich. Es geht weniger darum, eine spannende Kampf-Dramaturgie zu zeigen. Matrix will jetzt nur noch Neos Überlegenheit demonstrieren. Und das ist supercool, zumindest für den Moment. Einen ganzen Film will ich damit nicht verbringen. Was hat das mit John Wick 4 zu tun? Ziemlich viel.

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John Wick 4 übertreibt es mit der Unzerstörbarkeit von Keanu Reeves – absichtlich

Nach nun vier Filmen im Action-Franchise überschreitet John Wick allmählich die Grenze vom profanen Auftragskiller zum mythischen (Super)helden . John Wick ist nicht ständig überlegen. Er stöhnt, stolpert und blutet. Aber er stirbt nicht. Nichts kann ihm was anhaben. Ich hatte beim neuen John Wick das Gefühl, einem Menschen zuzuschauen, der drei Stunden an einem Abgrund wankt, aber einfach nicht fällt. Es war irgendwann nicht mehr fesselnd, sondern ermüdend.

John Wick 4-Regisseur Chad Stahelski weiß das alles. Und deswegen, glaube ich, deutet er mehrfach auf den Elefanten im Raum, den John Wick-Pragmatismus. Die Figur ist so lange unsterblich, bis das Franchise sein erlösendes Ende erlaubt: im Finale bei Sonnenaufgang. Es gibt bis dahin mindestens drei Momente in Kapitel 4, in denen sich der Film selber über den Stahlstatus von Keanu Reeves lustig macht:

  • 1. Ein Schergen-Auto fährt volle Pulle gegen Johns Schienbeine. Wir sehen den Aufprall von Metall auf Knochen seitlich im Profil. Die perfekte Perspektive, um das Ausmaß der Kollision zu erfassen
  • 2. John springt aus dem ca. 5 Stock ungebremst auf eine Straße. Kein Mülleimer, keine zufällig rumliegende Matratze, kein Laub. Nur ziemlich hart aussehendes Kopfsteinpflaster
  • 3. John kracht seitlich in ein anderes Auto und hinterlässt dort einen Keanu Reeves-förmigen Abdruck

Captain America und Neo würden solche Szenen überleben. Aber warum muss ein "normaler" Auftragskiller sie ertragen? Meine Theorie: Momente wie die drei oben führen uns offensichtlich vor Augen, was im Rest des Films etwas dezenter passiert. Dann nämlich, wenn die John Wick-Kampfmaschine auf Hochtouren läuft. (John Wick 4 schon jetzt als limitiertes Steelbook bestellen *)

Der irrsinnig hohe Bodycount von John Wick 4 und was er für die Action bedeutet

John hat zwar eine praktische Kevlar-Schicht unter einem Maßanzug. Aber er braucht sie eigentlich nicht, denn er ist zu keinem Moment wirklich in Gefahr. Ganz gleich, wie viele schwer bewaffnet Gegner sich ihm in den Weg stellen. Bei einem der Massenkämpfe in John Wick 4 musste ich an Matrix 2 denken: In Reloaded kämpft Neo gegen einen Haufen Agent Smiths, der sich irgendwann zu einem hässlichen Knäuel verkeilt. Ich war nie ein Fan dieser Sequenz. Sie protzt vor allem mit einem endlosen Kontingent an Verprügel-Material. Die Feinheiten des vorangegangenen Duells zwischen Neo und Agent Smith aus Matrix 1 verschwimmen.

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Auch in John Wick 4 erdrückte mich die Gegner-Masse irgendwann. 140 Figuren sterben laut Screen Rant  in dem Film. Das sind nochmal 46 mehr als in John Wick: Kapitel 3 und immerhin 12 mehr als beim bisherigen Spitzenreiter der Reihe, John Wick: Kapitel 2. Die Handlanger lassen sich so unendlich nachladen wie die Kugeln in John Wicks Pistolen-Magazin. Irgendwann, wahrscheinlich während der Treppen-Sequenz vor Sacré Coeur, war ich wie betäubt. Die Fights fühlten sich hier nicht mehr wie ein Kampf auf Leben und Tod an, sondern wie Unkrautrupfen. Stupide, mühsam, spannungslos. Sollten sie clever choreografiert worden sein, dann kam das zu diesem Zeitpunkt nicht mehr bei mir an.

Wohin soll der Steigerungsmodus von John Wick noch führen?

Es fehlt vor allem den späteren Kämpfen im Film an Fallhöhe, an Konsequenz, an Bedeutung. Das Verhältnis von menschlichen Körpern zu scharfer Munition veränderte sich. John Wick wich Geschossen aus wie ein Schüler, dem Kreidestücke von einem wütenden Lehrer um die Ohren fliegen. Tödliche Verletzungen zu vermeiden, schien etwas Nebensächliches zu sein. John Wick spürt natürlich Schmerzen. Wenn er die Wahl hätte, wäre er lieber nicht 15 Meter in die Tiefe gestürzt. Aber mehr als ein Stöhnen bewirkt das alles nicht. Er nimmt die Gewalt und den Schmerz in sich auf. Und macht weiter. Vielleicht ist er ja wirklich eine Baba Yaga, ein dämonenhafter Boogeyman, wie manche seiner Gegner:innen hinter seinem Rücken ehrfürchtig hauchen.

John Wick 4 ist SUPER | Review
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Ich mag John Wick 4. Aber mir gefällt nicht, dass in der Reihe das Gleichgewicht von Mythos und Realismus (jetzt habe ich es doch gesagt) in eine Schieflage gerät. Das Action-Franchise befindet sich einem Blockbuster-typischen Steigerungsmodus. So bringt Teil 4 einige der schönsten Action-Sequenzen der letzten Jahre hervor. Er überführt seine Hauptfigur jedoch in einen unpassenden Halbgottstatus.

Ja, John Wick stirbt am Ende des Films. Aber wer glaubt schon, dass das so bleibt? Ich habe eher Angst, dass Keanu Reeves im unvermeidlichen 5. Teil plötzlich fliegen kann.

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