Komasaufen - Gut gemeintes, hölzernes Bauerntheater

30.10.2013 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
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Laut Destatis nimmt der übermäßige Alkoholkonsum unter Jugendlichen seit Jahren drastisch zu. Für den Fernsehfilm Komasaufen scheint dies allerdings noch lange kein Grund, das Thema annähernd komplex zu verhandeln. Bauerntheater im Kolportagestil.

Es muss wieder gewohnt relevant zugehen im öffentlich-rechtlichen Themenfilmbetrieb. Erst recht nach dem verrückt-schönen, zumindest für einen Moment alle unsäglichen Vorgaben der Fernsehfilmoptimierung torpedierenden Tatort: Aus der Tiefe der Zeit von Dominik Graf am vergangen Sonntag. Die heute Abend in der ARD zu sehende SWR-Produktion Komasaufen ist vordergründig diskursives Auftragsfernsehen von einmal mehr verantwortungsvoller Wichtigkeit: ein hauptsächliches Sujet, ausreichend problematisiert, unmissverständlich in Ursachenanalyse und Lösungsanstößen. Exzessiver Alkoholkonsum unter Jugendlichen, aufbereitet an der ums herkömmliche Familienmelodram gesponnenen Coming-of-Age-Geschichte eines 16jährigen Schülers. Beispielhaft gemacht an verheerenden Auswirkungen, derer es dem ganz auf dramaturgische Eskalationsstrategie, vollumfängliche Eindimensionalität und passgenaue Setzkastenpsychologie geeichten Drehbuch nicht mangelt. Film ab, Hirn aus: Aber bitte trotzdem ein bisschen betroffen sein. Mal schlicht sehr verärgert gesprochen.

Gut gemeintes Bauerntheater
Alles steckt, wie immer, schon im ersten Bild: Vermeintlicher Familienzusammenhalt in der einen, kotzende Jugendliche in der nächsten Einstellung. Zur Enttäuschung seines Stiefvaters Karsten (Tatort-Kommissar Oliver Mommsen), ist Gymnasiast Lukas (stark überfordert: Markus Quentin) ein lausiger Bergsteiger. Der Zielstrebigkeit des neuen Elternteils scheint er nicht gewachsen, seiner disziplinarischen Härte längst überdrüssig. Mutter Beate (kraftlos: Aglaia Szyszkowitz) vermittelt… mütterlich: „Er kommt eben nach mir, mir wird schon schlecht, wenn ich nur auf die Küchenleiter steige“. Aber die Fronten sind verhärtet, in das neu gebaute Haus der beiden möchte Lukas unter keinen Umständen mit einziehen. Selbst noch des Stiefvaters steile Tanzbewegungen auf einem gemeinsamen „Rockkonzert“ (hier bitte gesondert auf die Komparsen achten) lassen den Jungen unverständlicherweise komplett unbeeindruckt. Derweil macht auch die Schule Probleme, das Abitur ist gefährdet, Freunde hat Lukas eigentlich keine. Erst als er sich den Trinkgelageritualen seiner Mitschüler anschließt, fühlt er sich akzeptiert: Sorglos verdrücken die 16jährigen flaschenweise Alkopops, abends braucht es dann Hochprozentiges für den Straßenzug. Gut gemeint, aber inszeniert wie Bauerntheater.

Warnschussartige Höllenszenarien
Statt Schulbücher schleppen die Jugendlichen hier dutzendweise Bierdosen im Rucksack, auf der Toilette wird sich schon am helllichten Tag übergeben. Bilder, deren Feinsinn keinem Zuschauer im Ersten verborgen bleiben dürfte. Lukas nun ist heimlich in die bereits trinkfeste Sylvia (ganz gut: Anna Lena Klenke) verliebt, was nicht nur zu Problemen innerhalb der Gruppe, sondern schließlich auch mit den Behörden führt: Gemeinsam werden beide wegen des Verdachts auf Alkoholvergiftung in ein Krankenhaus gebracht. Dort erfährt die in einem Jugendheim lebende Sylvia, dass sie vom ganz besonders kräftig zum kollektiven Saufen anstiftenden Timo (Badass-Nachwuchs-Casting: Julius Nitschkoff) ein Kind erwartet. Einen Fernsehfilm über den Alkoholmissbrauch Minderjähriger zu drehen, der das Thema auch ohne warnschussartig beschworene Höllenszenarien ausreichend ernst nimmt, wäre dann ja wohl zu viel erwartet. In Komasaufen beschaffen sich die Jugendlichen so demonstrativ problemlos ihr Gesöff, kriechen und pimpern im Vollsuff so ausgesucht albern auf dem Boden herum, kotzen und (Spoiler!) siechen so schulmeisterlich alarmierend dahin, dass bei dieser Produktion schon wahrlich höhere moralische Instanzen gewaltet haben müssen.

So hysterisch, wie es niemand gebraucht hat
Die Zahl der Jugendlichen zwischen 10 bis 19 Jahren, die wegen akuter Folgen des sogenannten Binge-Drinking (Rauschtrinken) stationär behandelt wurden, ist in der jüngeren Vergangenheit drastisch gestiegen. Von 9.514 gezählten Fällen im Jahr 2000 auf 26.349 im Jahr 2011, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) erst im Februar mitteilte. In entsprechend besorgniserregendem Ton ist Komasaufen versucht, ausufernden Alkoholkonsum unter Jugendlichen möglichst exemplarisch zu veranschaulichen: Familiäre, schulische, soziale Probleme, die mit adoleszenten Befindlichkeiten und dem entwicklungsphysiologischen und –psychologischen Verlauf kollidieren. Alkohol (noch) nicht als Suchtmittel, sondern Surrogat, als Ausdruck von Betäubungslust, Vergnügungsrausch, Verdrängungsmechanismus. So zumindest legt es ein Film nahe, der sicherlich um seine Einschränkungen weiß, das Thema aber dennoch nicht mit genügend Sorgfalt und vor allem Subtilität verhandelt. Das Ergebnis ist redlich um Diskussionsanstöße bemüht, garantiert gut gemeint, und doch genauso hysterisch, wie es niemand gebraucht hat. Der vergleichsweise große Aufwand in der Präsentation des Films (ARD-Bühne mit Podiumsgespräch und Screening auf der Frankfurter Buchmesse, Vorabausstrahlung auf EinsPlus mit Second-Screen-Anwendung und Rahmenprogramm) unterstreicht nur dessen Zeigefingerrhetorik.

Hölzern, plakativ, dürftig
Letztlich trennt lediglich ein Voice-Over den zeitweilig im Kolportagestil inszenierten Komasaufen noch von ganz großer Schulaufklärungslektüre in bewegten Bildern. Komplexität unterbindet das Format der 90minütigen Themenproduktion schon per se, weil der Plot natürlich straff, die Ereignisse schlüssig, das Resultat denkwürdig, aber immer unterhaltsam dargeboten sein müssen. So baut das Drehbuch von Bernd Böhlich Ereignis um Ereignis zur Konstruktion einer (mindestens zwiespältigen) Kausalität, die dem Thema nicht nur gerecht werden, sondern es eben auch erklären soll (Summe der einzelnen Teile etc.pp.). Eine solche Aufbereitung zwischen nach Aktion und Reaktion getimter Dramaturgie, apodiktischen, auf Motivationen abgestimmten Figuren und unbedingter Nachvollziehbarkeit der Ereignisse kann dann auch nur zu einem hölzernen, plakativen, dürftigen Film wie diesem führen. Schülerinnen und Schüler, denen eine solch simplifizierte Anordnung vermutlich noch am ehesten dienlich sein soll, sind mit Links zu Initiativen, Projekten und Kampagnen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (etwa Kenn dein Limit oder Null Alkohol – Voll Power) ungleich besser beraten.

Komasaufen. Mittwoch, 30. Oktober 2013, 20:15 Uhr in der ARD.

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