Superhelden, Schmuperhelden.
Grundsätzlich mag ich Superheldenfilme (und -comics). Aber seit 1 - 2 Jahren gehen sie mir langsam auf den Sack. Es ist immer das gleiche System:
- Man nehme einen gut etablierten männlichen Superhelden (Batman, Iron Man, Spider Man, Captain America) in Spandex oder gepanzerter Klamotte mit spezifischen Superkräften oder wenigstens genug Kohle, sich Superkräfte zu kaufen/bauen (I'm looking at you Batman and Iron Man) und etabliere seine gesamte Coming-of-Superpower Geschichte, Traumata inklusive.
- Den platziere man in New York City aber fiktionalisiere die Stadt und zerstöre diese später in mindestens zwei epischen Großraum-Kämpfen.
- Dafür besorge man einen bösen Gegenspieler, der so übertrieben böse ist, dass es schon fast slapstickig wird (am besten sieht er komisch aus, hat eigenartige Fetische und Vorlieben und ist nur böse. Nichts anderes). Und der dann als große Überraschung irgendwas gemeinsam hat mit dem Superhelden.
- Für mehr Emotionen lässt man dann jemand Unschuldiges sterben, der dem Superhelden etwas bedeutet hat.
- Showdown. Explosionen. Explosionen. Explosionen. Happy End oder ambivalents Ende, damit man gleich auf den nächsten Teil teasen kann.
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Aber, und ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sagen werde, zum Glück gibt es TV-Serien, die sich loslösen können vom ewig gleichen Marvel-Universum. Marvel's Daredevil fand ich nicht so gelungen, aber seine Nachfolgerin umso mehr.
Netflix zweite Marvel-Serie Jessica Jones (Krysten Ritter) ist der Gegenentwurf zum Superhelden-Einerlei. Sie ist die Anti-Superheldin. Keine Spandex- oder Neopren-Klamotten, kein fancy Superheldinnen-Name, kein Retten der Unschuldigen auf täglicher Basis. Im Gegenteil, die meisten Leute können sie mal kreuzweise. Marvel's Jessica Jones ist aber nicht einfach die Umkehrung. Die Serie ist vielmehr eine gründliche Analyse und Auflösung des Superhelden-Genres. Und das ist genau das, was wir brauchen.
Die Auflösung des Superhelden
Was macht SuperheldInnen aus? Ihre Selbstidentifikation als eben solche. Ihre Superkräfte. Die Stärke und Macht, die sie durch ihre besonderen Fähigkeiten beziehen und für bestimmte Ziele einsetzen. Und natürlich eine Coming-of-Superpowers Geschichte, in der sie ihre Kräfte entdecken, zu kontrollieren lernen und schließlich benutzen.
All das gibt es bei Jessica Jones. In den Marvel Comics: Vom Mädchen, dass durch einen Unfall Superkräfte bekam, bis hin zu ihrer kurzen Karriere als Jewel , die ein jähes und traumatisches Ende nahm, als sie in die Fänge des psychopathischen Kilgrave fiel. Der kontrollierte sie acht Monate lang dank seiner Fähigkeit zur Gedankenkontrolle. In dieser Zeit wurde aus der Superheldin ein Opfer psychischer, emotionaler und physischer Gewalt , die sie stark traumatisiert und mit posttraumatischer Belastungsstörung zurück ließ.
Die Serie setzt erst nach diesen Ereignissen ein, ohne jemals detailliert darauf einzugehen, wie sie zur Superheldin wurde. Hier bricht die Serie mit einem der wichtigsten Bestandteile und macht sich sogar ein wenig lustig, indem dieser Teil auf ganze zwei Sätze reduziert wird. Auf die Frage, wie man zu den Kräften gekommen sei, erklärt Luke Cage (Mike Colter): "Experiment." Und Jones antwortet: "Unfall." (Im Netflix-Pendant Daredevil verbringt man unendlich viele Flashbacks mit der Herleitung seiner Fähigkeiten.) Genauso ungezwungen zeigt Jones übrigens auch ihre Superkräfte. In Folge 1 hebt sie ein Auto an, springt in den dritten Stock eines Hauses und schlägt mit dem Ellenbogen eine Scheibe in der U-Bahn ein. Fertig.
Viel bahnbrechender ist allerdings, dass sich diese Marvel-Figur mit Superkräften in der Serie nicht als Superheldin identifiziert, sondern als hartgesottene, kodderschnäuzige Detektivin. Und zwar im ganz klassischen Film noir-Sinne, schnulzige Jazz-Musik, dunkle Schatten, regennasse Straßen und viel zu viel Bourbon inklusive. Aber der Bourbon kommt nicht im Sinne der noirschen Nonchalance zum Einsatz, sondern als Selbstmedikation gegen die Angstzustände.
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Aber eine reine Rollenzuschreibung als Noir-Detektivin, eigentlich eine klassisch maskuline Rolle, ist zu eindimensional. Sie dient mehr als eine Ausgangsverortung. Wer keine Superheldin mehr ist, muss sich ja irgendwie neu erfinden. Das löst die Serie aber von Folge zu Folge immer mehr in eine rein ästhetische Geste auf. Genau das ist ja das Spannende an der Figur: Jones ist komplex. Sie ist nie nur *eine* Sache. Weder Opfer, noch Heldin, noch Detektivin, noch - und in diese Falle hätte man schnell tappen können - nur der Figurtypus "kalte Bitch". Das war am Anfang der Serie immer meine Befürchtung, aber jede Folge macht ihre Figur multidimensionaler, komplizierter und menschlicher - wenn auch nicht unbedingt liebenswert.
Aber wieso ist Jones keine Superheldin mehr? Weil sie nicht mehr an sich glaubt? Ich glaube nicht. Ich glaube vielmehr, dass es damit zu tun hat, dass sie durch ihre Erlebnisse mit Kilgrave (David Tennant) eine fundamental andere Erfahrung mit Superkräften, Kontrolle und Macht gemacht hat, die vielen anderen Superhelden niemals widerfährt.
Kontrolle, Macht und Stärke - das Zusammenspiel dieser Komponenten ist es, was die Serie eigentlich auslotet. Und zwar auf einer ganz konkreten, menschlichen, aber auch auf einer genderbasierten Ebene.