Wenn die Filmfestivals von Cannes oder Sundance ihre Hauptpreise verteilen, dann zweifelt kaum jemand daran, dass dies aus qualitativen Gründen geschieht. Wenn allerdings die Berlinale einem Film ihren Goldenen Bären verleiht, ist dies immer auch ein Politikum. Dieses Jahr hatte der Wettbewerb mehrere sehr gute Filme, aus dem sich gegen Ende Das Turiner Pferd und Nader und Simin – Eine Trennung als Favoriten herauskristallisiert haben. Als gestern Letztere den Hauptpreis des Wettbewerbs gewann und sich Das Turiner Pferd mit dem Silbernen Bären zufrieden geben musste, wurden trotzdem sofort Stimmen laut, welche die Preisvergabe als politische Entscheidung einstuften.
Dem ist aber nicht, oder zumindest nicht ausschließlich so. Nader und Simin – Eine Trennung ist ein würdiger Gewinner und ein Film, der sich vor allem durch eines qualifizierte: Er vereint in sich die verschiedensten Ansprüche, welche die Berlinale an einen Film stellt, ohne dabei die Unterhaltung des Publikums zu vernachlässigen. Er ist gleichzeitig politisch, modern, hervorragend gespielt, brisant und künstlerisch wertvoll. Doch daneben ist er eben auch spannend von der ersten bis zur letzten Minute, glaubhaft und emotional. Nader und Simin – Eine Trennung ist einer dieser Filme, auf den sich beinahe jeder einigen kann. Er weckt zwar vielleicht keine großen Leidenschaften beim Zuschauer, aber auch keine Abneigung.
Genau dies hat seinem Konkurrenten Das Turiner Pferd von Béla Tarr den Sieg gekostet. Hier waren die Reaktionen emotionaler: Begeisterung auf der einen Seite, pure Ablehnung auf der anderen. So ein Film hat es bei einer demokratischen Wahl schwer, da die Summe aus Zuspruch und Ablehung Null ist.
Doch dies ist nicht alles. Die Berlinale versteht sich ja auch als Sprungbrett, mit der ein Film, der sonst keine Beachtung gefunden hätte, ins Licht der Öffentlichkeit gerückt würde. Auch wenn ein Berlinale-Sieg beim Kinopublikum wohl ebensowenig Wert hat, wie eine lobende Kritik im Buxtehuder Wochenanzeiger: Der Vorjahressieger Bal – Honig hätte ohne das Berlinale-Etikett wohl kaum einen nennenswerten Kinostart bekommen und die wenigen Zuschauer, die ihn im Kino sehen durften, waren zumeist erfreut. Wahrscheinlich wird der Berlinale-Erfolg von Nader und Simin – Eine Trennung auch zu einem kleinen deutschen Kinostart führen. Hier wird sich Nader und Simin – Eine Trennung als würdiger Gewinner erweisen, da auch die Besucher dieses Filmes nicht das Risiko bereuen werden, für ein iranisches Familien-Drama 7€ oder mehr an der Kinokasse hinterlegt zu haben.
Bei Das Turiner Pferd sieht dies schon anders aus. So faszinierend und künstlerisch dieser Film auch ist, so ist er auch sperrig, langweilig und äußerst deprimierend. Hier werden nur hartgesottene Filmfans ihr Vergnügen aus der düsteren Stimmung und der exzellenten Kameraarbeit ziehen können, während all jene, welche sich nur von der Berlinale-Auszeichnung locken ließen, wohl enttäuscht bis wütend auf Das Turiner Pferd reagieren dürften. Und der Ruf des Goldenen Bären in der Öffentlichkeit ist schon ohne Béla Tarr nicht gerade zum Besten bestellt. Hier hat die Jury vielleicht aus Angst vorm Volk gekniffen, aber ich glaube sie hat sich damit einen Gefallen getan.
Der Berlinale-Podcast – Tag 10
Ein letztes Mal könnt ihr unsere Berlinale-Erlebnisse per Podcast verfolgen.
Mit diesem Feed könnt ihr unseren Podcast auch bei iTunes abonnieren (oder Hier per RSS) und könnt so keine Episode mehr verpassen.