Während Marvel-Fans geduldig auf Spider-Man 4 mit Tom Holland warten, erlebt der junge Netzschwinger aus Queens ab sofort schon auf Disney+ neue Abenteuer: in der Animationsserie Der freundliche Spider-Man aus der Nachbarschaft. Lasst euch von der kindlichen Optik aber nicht abschrecken, sonst verpasst ihr die überraschendste und beste Spider-Man-Serie seit Jahren.
Peter Parker und das MCU: In der neuen Spider-Man-Serie bei Disney+ ist nichts wie es scheint
Peter Parker geht auf die Midtown High, lebt bei seiner attraktiven Tante May, hat kürzlich seinen Onkel Ben verloren und wird von einer radioaktiven Spinne gebissen: Auf den ersten Blick könnte die neue Spider-Man-Serie bei Disney+ auch die Vorgeschichte für den aus dem Marvel Cinematic Universe bekannten Superheld sein – in der deutschen Version wird er sogar von Tom Hollands Synchronstimme (Christian Zeiger) vertont. Tatsächlich führt uns die Serie aber in eine alternative Realität des MCU-Multiversums, die mit all unseren Erwartungen spielt.
Auch in dieser Zeitlinie haben die Avengers gegen Aliens in New York gekämpft und stehen kurz davor, sich im Zuge des Civil War auf dem Leipziger Flughafen zu kloppen. Allerdings ist der Peter Parker dieses Universums weit davon entfernt, an der Seite von Iron Man zu stehen. Denn ein alternativer Geschichtsverlauf führt dazu, dass nicht etwa Tony Stark, sondern Oscorp-CEO Norman Osborn zu seinem Mentor und Partner wird – und seine besten Freunde heißen nun nicht mehr MJ und Ned, sondern Nico und Harry.
Der freundliche Spider-Man aus der Nachbarschaft will glücklicherweise keine Schmetterlingseffekt-Hascherei wie What If...? sein und beginnt recht schnell, auf eigenen Beinen zu stehen. Vielmehr ist es das Spiel mit den Erwartungen, das die Animationsserie auszeichnet. Hier wird der Quarterback-Jock nicht zum fiesen Mobber, sondern zum heimlichen Wissenschafts-Nerd, der sich mit Peter anfreundet, und nicht jeder aus den Marvel-Comics bekannte Bösewicht folgt seiner schurkischen Bestimmung.
Trotz vieler vertrauter Grundzutaten liefert diese Spidey-Story einen unerwartet frischen Blick auf die Anfänge der beliebten Marvel-Ikone und fokussiert sich dabei auf den Kern Spider-Mans als Street-Level-Held, der mit Optimismus und Selbstlosigkeit den Menschen aus seiner Nachbarschaft hilft – und dabei auch mal unbekanntere Schurken wie Speed Demon, Tarantula, Unicorn oder Scorpion bekämpfen darf.
Lohnt sich die Marvel-Serie Der freundliche Spider-Man aus der Nachbarschaft?
Spätestens sein erstes richtiges (blau-weißes!) Kostüm hebt diesen Peter Parker von allen bisherigen Iterationen aus Filmen und Serien ab – und dazu gehört auch der Look der Serie selbst. Panel-Rahmungen und Splitscreens sorgen ebenso für einen klassischen Comic-Style, wie die an frühe Comic-Abenteuer aus der Feder von Stan Lee und Steve Ditko angelehnten Charakter-Designs.
So schön der Stil der Serie auch ist, umso störender sind die am Computer entstandenen Cel-Shading-Animationen, die jegliche visuelle Raffinesse der Spider-Verse-Filme vermissen lässt. Im Verlauf der zehn Episoden habe ich mich zwar schnell an die zuerst befremdlich wirkende Optik gewöhnt, doch immer wieder schleichen sich offensichtliche CGI-Momente hinein, die den Spaß trüben. Aber wenn sich Spider-Man grazil durch die Häuserschluchten New Yorks schwingt, ist das alles schnell wieder vergessen.
Das ist tatsächlich nur ein kleiner Kritikpunkt. Die große Stärke der Serie sind abseits cleverer Referenzen auf Spider-Mans diverse Auftritte in Filmen, Serien, Games und Comics vor allem die spannenden Charaktere und Themen. Zwischen Schule, Freundschaften, Oscorp-Praktikum und Vigilantentätigkeiten kommen die Kernkonflikte eines Peter Parker mit jeder Folge präziser zum Vorschein, während er Prioritäten ordnen sowie seinen eigenen Grenzen und Schwächen (auf manchmal schmerzvolle Weise) erkennen muss.
Besonders Spider-Mans eigentlicher Erzfeind Norman Osborne (vertont von Colman Domingo in der Originalversion) brilliert als nie ganz durchschaubarer Verbündeter. Seine Ambition, aus Peter einen effizienteren Superhelden formen zu wollen, nimmt dabei immer ungesündere Züge an und lässt mit Spannung mitfiebern, ob er jeden Moment die moralischen Grenzen in Richtung Bösewicht überschreiten könnte. Und spätestens seine Variation des berühmten Spidey-Zitats "Aus großer Kraft folgt ..." bringt einen echten Gänsehautmoment hervor.
Die Spider-Man-Serie befreit Peter Parker von den MCU-Fesseln
Nicht nur kümmert sich dieser Spider-Man um überraschend geerdete Gefahren wie Diebstähle, Raubüberfälle oder auch mal einen Hausbrand. Serienschöpfer Jeff Trammell gelingt es nebenbei auch treffsicher, Peter Parkers "Nachbarschaft" mit all ihren Problemen sozialkritisch zu zeichnen, sodass wir verstehen, warum diese einen Retter und Helden bitter nötig hat. Anhand Peters Schulfreundes Lonnie Lincoln erleben wir eindrucksvoll, wie Gang-Gewalt, Kriminalität und Armut auch die Unschuldigsten in eine Spirale der Gewalt hineinziehen können.
Ein großer Kritikpunkt an den ersten Spider-Man-Abenteuern Tom Hollands war die starke Abhängigkeit von Iron Man und den Avengers, was erst No Way Home korrigieren konnte. Diese alternative Version des jungen Superhelden distanziert ihn im Gegensatz dazu erheblich von allen großen MCU-Geschehnissen (bis auf ein paar Cameo-Auftritte). Hier darf Spider-Man einfach nur die freundliche Spinne aus der Nachbarschaft sein.
Auch wenn die Spider-Verse-Filme die Messlatte für alle nachfolgenden animierten Spider-Man-Abenteuer unerreichbar hoch gelegt haben, kann Der freundliche Spider-Man aus der Nachbarschaft trotz zu bemängelnder Animation mit reichlich Charme und Coolness, kreativer Verspieltheit und den sich über zehn Folgen hinweg aufbauenden Storylines verdammt gut unterhalten. Eine bessere Spider-Man-Serie gab es seit The Spectacular Spider-Man von 2008 nicht mehr. Ein Glück hat Disney+ schon zwei weitere Staffeln bestellt.
Die Folgen der 1. Staffel von Der freundliche Spider-Man aus der Nachbarschaft (im Original: Your Friendly Neighborhood Spider-Man) werden seit dem 29. Januar 2025 wöchentlich immer mittwochs bei Disney+ veröffentlicht. Grundlage für diesen Serien-Check ist die komplette Staffel.