Meine Liebe zu Filmen (und Serien), die etwas mehr Aufmerksamkeit und Gehirnschmalz von einem abverlangen, begann hiermit. Vor 15 Jahren sah ich zum ersten Mal die 26-teilige Anime-Serie Neon Genesis Evangelion und war danach ein anderer Mensch. Die gewollte Undurchsichtigkeit und Schonungslosigkeit mit seinen Charakteren schockierten mich ebenso wie das kompromisslose, alle Erwartungen zerschmetternde Ende. Trotz seiner Optik in quietschig-bunter Anime-Manier muss sich Neon Genesis Evangelion keineswegs vor dem, was allgemein als “Kunstfilm” verstanden wird, verstecken. Wer etwas für Philosophie à la Kant, Hegel und Schopenhauer übrig hat, sich für Psychologie aus dem Hause Freud und Jung interessiert oder klassischen Sci-Fi wie Asimov, Clarke und Dick zu schätzen weiß, könnte hier ebenso richtig sein wie Freunde von Japanimation. Aus mir spricht sicher auch ein Quantum Nostalgie und es gibt genügend Stimmen, die diese Serie als prätentiöses Gewäsch abtun, doch niemand wird mich je davon überzeugen können, dass Neon Genesis Evangelion etwas Geringeres als ein absolutes Meisterwerk ist.
Es begab sich aber zu der Zeit…
Die Handlung setzt 2015 ein, 15 Jahre nach dem sogenannten Second Impact, einem angeblichen Meteoriteneinschlag, der die Hälfte der Menschheit vernichtete. Der 14-jährige Shinji Ikari kommt auf Anordnung seines entfremdeten Vaters nach Neo Tokyo-3, als die Stadt gerade von einem hochhaushohen Monstrum (genannt Engel) angegriffen wird, gegen welches das Militär machtlos scheint. Die letzte Hoffnung liegt in der U.N.-Unterorganisation NERV, deren Kommandant Shinjis Vater ist und die in einer unterirdischen Festung die Evangelion – riesige Kampfmaschinen in Menschengestalt – entwickelten. Diese müssen jedoch mental von Piloten mit bestimmten Voraussetzungen gesteuert werden, was in diesem Fall der psychisch labile Shinji ist. Der zermürbende Kampf gegen die wiederkehrenden Engel setzt ihm ebenso zu, wie der Umgang mit den anderen EVA-Piloten und Menschen allgemein. Gleichzeitig ragen sich Mysterien um eine Geheimorganisation, die Wahrheit über die EVAs und einen geheimen Plan die Zukunft der Menschheit betreffend.
God’s in his heaven, all’s right with the world…
Regisseur Hideaki Anno schuf Neon Genesis Evangelion nach einer vierjährigen Depressionsphase, was die fatalistische Attitüde der Serie sowie die brutale Darstellung seiner psychisch instabilen Charaktere erklären könnte. Der wahre Geniestreich besteht jedoch in der perfiden Mogelpackung, die dieser Anime darstellt. Das absichtlich mit dem ernsten Ton kollidierende Design (das nicht wie Akira oder Ghost in the Shell zu gedeckteren Farben und größerem Realismus greift) und die ausgearbeitete, postapokalyptische Welt mit ihrer Technik samt Techno-Babble und Waffen, liefert die perfekte Falle für den Anime-Nerd oder Otaku. Die durchaus als Robospektakel unterhaltende Serie lullt den Zuschauer trotz auffallend judeo-christlicher Symbolik in Vertrautheit bis es nach genau der Hälfte der Episoden zum krassen Bruch kommt, wenn sich Folge 14 plötzlich in Gedichtform präsentiert. Danach geht es mit den Charakteren und der Welt stetig bergab und der Untergang von allem, was aufgebaut wurde, wird regelrecht zelebriert bis selbst die Handlung im Nichts endet.