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Rainer Werner Fassbinder: Angst Essen Seele auf

08.05.2016 - 00:11 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Tratsch im Treppenhaus.....
Arthaus Filmverleih
Tratsch im Treppenhaus.....
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Ein Meisterwerk des deutschen Films....?

Tja, was soll man zu wohl einem der größten deutschsprachigen Regisseure sagen, der Filme wie: Warum läuft Herr R. Amok?, Ich will doch nur, daß ihr mich liebt, Welt am Draht, Die bitteren Tränen der Petra von Kant oder auch Lili Marleen geschaffen hat. Jeder Film ist völlig anders als die anderen und doch, neben der klaren stilistischen Handschrift des Regisseurs, verbindet sie doch alle miteinander, dass in irgendeiner Art und Weise "der Mensch" in all seinen Facetten im Mittelpunkt des Geschehens steht mit der Gesamtheit an moralischen und emotionalen Tiefen und Höhen im Verhältnis zu seinen Mitmenschen und seiner Umwelt.

Doch sein Meisterwerk ist ein Film, der gerade mal mit nur 89 Minuten (!!!!) Laufzeit eine emotionale Wucht auf den Zuschauer entlädt, dass er mich beim ersten Mal sehen sprach- und fassungslos zurückgelassen hat. Doch worum geht es? "Es ist eine alte Geschichte" wie Heine sagen würde: Mädchen trifft Junge, Junge liebt Mädchen, Mädchen liebt Jungen, Junge macht Unsinn und es endet dramatisch. Wer kennt so etwas nicht aus Filmen, Büchern oder der eigenen Erfahrung, warum also sollte das diesen Film zu etwas Besonderen machen?

Liebesgeschichten in Filmen hat wohl jeder schon gesehen, doch dieser Film zeigt keine klassische "Romcom" wie in Es geschah in einer Nacht mit dem Bekannten "auf" und "ab" oder eine rein analytische Betrachtungsweise auf Beziehungen wie es Bergmann in Szenen einer Ehe angelegt hat, nein; das Besondere ist, dass er beide Elemente miteinander verbindet und sich dabei auf eine tolle schauspielerische Leistung und seinen visuellen Stil verlassen kann.

Die Liebesgeschichte, die erzählt wird, berichtet von Emmi und Ali. Der junge Ali, der in Deutschland der 60er Jahre als Gastarbeiter nach Deutschland kommt, kaum Deutsch spricht, lernt die über 60 jährige Putzfrau Emmi in einer Bar kennen. Sie verlieben sich und gehen eine Beziehung miteinander ein. Doch die Familie von Emmi und die Freunde von Ali feinden diese Beziehung an und konfrontieren das Pärchen mit Klischees und Vorurteilen, die viele Zuschauer wohl auch mal irgendwo gehört haben. Die Themen "Fremdenfeindlichkeit", "Vorurteile" und "Alltagsrassismus" werden so mit einer Beziehungsgeschichte verbunden und was schnell in eine verkopfte Liebesgeschichte ausarten könnte, die sich selbst in Klischees verliert, wird jedoch durch die empathischen Momente, die der Zuschauer mit den Figuren empfindet (z.B. die Ausgrenzung Emmis am Arbeitsplatz, die erste Begegnung und der Tanz in der Bar, den Streit mit der Familie und vor allem jeden intimen Moment, den die beiden miteinander teilen), gebrochen und Fassbinder zeigt so eine sehr berührende Liebesgeschichte zwischen zwei Individuen in einer kalten Welt.

Doch woher zur Hölle kommt diese emotionale Durchschlagskraft des Films? Der Film hat meiner Meinung nach ein "perfektes" Erzähltempo und dramaturgischen Aufbau (da kenne ich einige Filme, die das nicht hinbekommen), doch das ist für mich nicht ausschlaggebend gewesen, jedoch erleichtert dies das Sehen eines Films erheblich. Das was mich beeindruckt hat, war die Distanz und die Einfachheit in der Erzähltechnik. Was ich mit Distanz meine ist, dass alles im Film, von den Kulissen bis zur Lichttechnik und Kostümen grau und trist wirkt, alles kalt und ablehnend und man sich als Zuschauer nicht in diese Welt, die einen nur allzu bekannt vorkommt,da sie einen an den eigenen Alltag erinnert, hineindenken will. Doch dieser Abstand wird durch eine tolle darstellerische Leistung der Hauptfiguren (allen voran Brigitte Mira) überwunden und auf einmal war ich in diese kalte und ablehnende Welt hinein gesogen worden und fühlte die Ablehnung und Kampf, aber auch das Glück der beiden mit. Das was jetzt schon fast verkitscht klingt, lag der Intention des Regisseurs wohl fern, denn eine Romantisierung habe ich auch noch nicht in anderen Werken von Fassbinder gesehen, sofern es nicht das Sujet des Films (z.B. Lilli Marleen) hergab. Hier spielt das, was ich mit "Einfachheit" meine eine wichtige Rolle. Liebe ist wohl eines der Hauptthemen in Film und Literatur und so oft scheitern Regisseure und Autoren daran, so ist es umso schöner, das ein Vertreter des Neuen Deutschen und Autorenfilms, gelungen ist, dieses Thema nicht nur mit (durchaus aktuellen) gesellschaftskritischen Themen zu verbinden, nein, nicht nur die kühle Atmosphäre des Films, sondern seine Schlichtheit überzeugen vor allem. Das beste Beispiel dafür ist wohl das einleitende Filmzitat, das den Filmtitel erklärt. Da wo andere sich in Ekstase, Metaphern und großen Gesten verlieren würden, hält es Fassbinder klein, bleibt bei seinen Figuren und ihrem Umfeld, bleibt beim Zuschauer und der "realen" Welt, die er kennt. Er macht es dem Betrachter leicht, die Beziehung der beiden verbal und nonverbal nachzuvollziehen.

Das was diesen Film so besonders macht in meinen Augen, ist somit nicht nur seine formale Gestaltung und die Handlung, sondern genau diese Simplizität, die ein emotionaler Faustschlag ins Gesicht des Zuschauers ist und "Angst Essen Seele" auf zu einem Meisterwerk (normalerweise kann ich solche Superlative nicht leiden, aber belassen wir es hier mal dabei) des deutschsprachigen Films macht. Mögen muss man ihn vielleicht nicht (das wäre bei diesem Film auch vielleicht der falsche Begriff), aber sehen lohnt sich hier definitiv.

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