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Schöner Schrecken

25.02.2019 - 00:39 UhrVor 5 Jahren aktualisiert
Träume einer Kindheit: "It Follows"
Metropolitan FilmExport
Träume einer Kindheit: "It Follows"
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Horror bedeutet nicht Desorientierung, sondern Re-Orientierung. Wer mit dem Grauen konfrontiert wird, sieht erst, wie schön die eigene Welt doch ist. So einfach bringt der Horrorfilm Hoffnung in unsere schwierige Realität.

Experimentelle Filme zu schauen, ist nicht unbedingt angenehm. Das inspiriert natürlich, fordert heraus und erfrischt, aber erschöpft auch ungemein. Gerade wenn sich ein Film dem Chaos zuneigt oder eine ganz neue Ordnung schafft, reißt das einen schon einmal heftig aus der eigenen Komfortzone. Gut also, dann einen Horrorfilm zu sehen, um wieder Ordnung, im besten Fall einen wohligen Rückzugsort vor der tatsächlich chaotischen Realität zu schaffen. Horror zur Beruhigung.

Horrorfilme schaffen natürlich Ordnung, wenn sie schematisch, vorhersehbar und billig sind. Niemand wird durch Filme wie The Nun oder Happy Deathday herausgefordert, man kann sich bequem berieseln lassen. Alleine das miserable Horrorfilmangebot von Netflix bestätigt alle Vorurteile gegenüber dem Horrorfilm: Eine billige Effektmaschine für Leute, die immer wieder auf die ewiggleichen Schreckreflexe abgeklopft werden wollen. Ein altbekannter Geisterbahntaumel wie er spätestens seit James Wans Insidious-Reihe absoluter Publikumsstandard ist.

Schöne Heimat im Horrorfilm mit "Poltergeist"

Horrorfilm ist aber schon per Definition etwas, das viel mit Ordnung, vor allem aber auch mit Rückzug und Regression zu tun hat. Und dafür muss man gar nicht psychoanalytisch werden. Beinahe jeder Horrorfilm handelt von Personen, die versuchen, eine bedrohte Ordnung zu bewahren. Sei es durch Erinnerungen an eine unbeschwerte Kindheit wie in It Follows, sei es durch das freundschaftliche Zusammenrücken in Angst vor der großen Hexe wie in Suspiria oder durch die ständige Ironisierung des Schreckens wie in Blair Witch Project. Und selbst wenn der Horror direkt attackiert, bleiben Verweise auf die ursprüngliche Ordnung. Da tritt das böse Wesen in It Follows zum ersten Mal im Kinderzimmer in Erscheinung, da entdeckt der kleine Junge in Shining genau dann die düstere Vergangenheit, als er spielerisch durch die Gegend tollt und der finale Kampf mit dem fremden Killer findet in Halloween - Die Nacht des Grauens natürlich nicht in einer fremden Umgebung statt, sondern im Schlafzimmer. Überhaupt sind die Settings von Horrorfilmen oft vertraute Räume wie idyllische Nachbarschaften, Feriencamps, generell Orte, die wir gerne Heimat nennen. Selbst ein abgespacter Ort wie das Raumschiff in Alien - Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt bildet einen klar abgesteckten Fluchtraum vor den diffusen Weiten des Universums.

Grusel im Kinderzimmer mit "Mama"

Der Horrorfilm wirft seine Zuschauer*innen immer wieder auf altvertraute Ordnungen zurück, macht sie ihnen erst richtig bewusst, ganz nach dem Prinzip: Du weißt erst was du hast, wenn es in Gefahr ist. Insofern ist der typische Horrorfilm nur selten etwas, das wie so manch lynchesker Experimentalfilm wirklich desorientiert - eher ist er eine klar definierte Auseinandersetzung mit den eigenen, teils auch unbewussten Sehnsüchten nach Rückzug oder Vereinigung. Der typische Horrorfilm ist idealistisch und romantisch. Angesichts des Grauens, der emotionalen Ausnahmesituation werden nicht nur eigene Ängste, sondern auch Sehnsüchte erreichbar. Im besten Falle verschmelzen beide Gefühle miteinander - deshalb ist Sex, die Erfüllung der Sehnsucht, im Horrorfilm meist eine Sache der Angstlust.

Prickelnde Urlaubsstimmung in "Friday the 13th"

Serien wie Stranger Things treiben das Regressionsbedürfnis im Horrorfilm in ganz breite Dimensionen. Hier werden die 80er zum Symbol einer erinnerten wie imaginierten Kindheit direkt aus dem Fundus der Popkultur. Wenn das Böse mit coolen Gesten aus eben jenem Fundus geschlagen wird, ist die Rückbesinnung und Bestätigung des Gewohnten vollkommen. Vielleicht hat der Horrorfilm auch deshalb so einen schlechten Ruf, weil er Zuschauer*innen penetrant auf ihre eigenen Wünsche hinführt. Von wegen abschreckend. Der Horrorfilm ist lustvoll und konstruktiv. Und dafür wird er geliebt.

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