Wenn ich an Sci-Fi-Filme mit Außerirdischen denke, kommen mir immer als erstes Weltraum-Survival-Thriller wie Alien und Invasions-Actioner wie Independence Day in den Sinn. Gelegentlich schenkte uns die Filmgeschichte auch nettere Erdenbesucher wie Spielbergs E.T., aber in der Mehrzahl ist der Kontakt zu Wesen von fernen Planeten mit bedrohlicher Andersartigkeit aufgeladen. Und als ich schon glaubte, jeden Ansatz eines Alien-Films bereits gesehen zu haben, kam Neill Blomkamp mit seinem Überraschungs-Hit District 9 um die Ecke und veränderte alles. Der US-Kinostart am 14. August 2009 liegt jetzt 15 Jahre zurück.
District 9 wird 15 Jahre alt – und ist heute noch so revolutionäre Science-Fiction wie damals
District 9 beginnt als Found-Footage-Sci-Fi-Film, der in einen Alltag mit Aliens einführt: Nachrichten-Schnipsel und Dokumentaraufnahmen zeigen eine Welt, in der 1982 eine fremde Spezies über Südafrika "vor Anker" ging. Jahrzehnte später prägt die Silhouette eines gewaltigen Ufos immer noch die Skyline von Johannesburg und die insektenähnlichen Außerirdischen leben in ihrem eigenen Slum: District 9.
Von einer Invasion kann hier keine Rede sein und obwohl die wegen ihres Aussehens abfällig als "Shrimps" bezeichneten Aliens beachtliche Waffen besitzen, die nur sie bedienen können, scheinen sie für die Menschheit keine größere Bedrohung zu sein. Als unliebsame Erscheinung soll das 1,8 Millionen Außerirdische umfassende Flüchtlingslager nun in ein neues Camp, District 10, umgesiedelt werden.
Neill Blomkamps Film
war 2009 zugleich unverbrauchte Science-Fiction und politischer Kommentar. Denn das hier gezeigte Alien-Ghetto spielte unverkennbar auf Südafrikas Kapstadt-Umsiedlung in den 1970er Jahren an, wo während der Apartheid schwarze Einwohner aus der "weißen Zone" des realen Bezirks District Six
vertrieben wurden. In dem Sci-Fi-Thriller findet die neue Rassentrennung hingegen zwischen Menschen und Nicht-Menschen statt.
Der finanzielle Erfolg war District 9 nicht nur wegen der Schirmherrschaft von Produzent Peter Jackson (Der Herr der Ringe) sicher, sondern auch wegen der ungewöhnlichen Prämisse seiner Geschichte. Laut Box Office Mojo konnte der Sci-Fi-Hit bei einem Budget von 30 Millionen US-Dollar weltweit 210 Millionen einspielen. Für mich wurde der Film aber dadurch einer der besten Sci-Fi-Filme, dass er in seinen 112 Minuten Laufzeit meine gesamte Wahrnehmung von Alien-Filmen neu bewertete.
Aliens vs. Menschen: District 9 verschiebt die Sci-Fi-Perspektive
Durch ihre fremdartige Schalentier-Erscheinung und die seltsamen Klicklaute ihrer Sprache stoßen die Aliens in District 9 bei ihren menschlichen Nachbarn auf Abscheu und Ablehnung. 'Warum sollte man so etwas Unmenschliches menschlich behandeln?', steht als unausgesprochene Frage im Raum. Auch wenn Regeln für ihre ordentliche Behandlung existieren, halten sich die wenigsten daran. Brutstätten werden abgefackelt und auf Shrimp-Kinder geschossen.
Außerdem betritt Bürokratie-Hengst Wikus van de Merwe (Sharlto Copley) die Bühne, dessen Ego durch die Beförderung zum Umsiedlungsaufseher der Firma MNU (Multinational United) enorm aufgebläht ist. Er zeigt mit seinem Gehabe perfekt, wie unerträglich die Menschen in District 9 sind und ich hasse ihn von der ersten Minute an. Eigentlich haben Alien-Filme mich gelehrt, auf der Seite der Erdbevölkerung zu stehen, aber mit einem Vertreter wie Wikus ist das schwer möglich. Egal wie hässlich die 'Gegner' wirken: Die Gefährlichkeit der Außerirdischen bleibt eine kaum bewiesene Behauptung. Sie wollen einfach nur leben und rücken so ins Licht anzufeuernder Underdogs.
Auch auf der Bildebene wählt District 9 für den Rollenwechsel von Unterdrückern und Unterdrückten einen cleveren Weg: Die Aktionen der Menschenseite werden im nüchternen Dokumentarstil einer Kamera-Crew gezeigt. Das Alien Christopher und sein Sohn CJ bekommen hingegen fast unmerklich die emotionaleren Spielfilm-Aufnahmen zugeschoben, wenn sie versuchen, ihre 20 Jahre lang erarbeitete Erfindung vor dem Räumungskommando fernzuhalten.
Richtig interessant wird es aber erst, wenn Kotzbrocken Wikus mit einer außerirdischen Flüssigkeit infiziert wird und beginnt, sich zu verändern. Denn dann beginnen Doku- und Spielfilm-Bilder ineinander zu laufen und die Perspektiven zu verschwimmen.
Eine der größten Errungenschaften von District 9 ist es, am Ende echtes Mitgefühl für den anfangs verachteten Wikus in mir wachzurufen. Je außerirdischer er wird, desto sympathischer ist er. Mit zunehmender Ekel-Verwandlung entdeckt er seine Selbstlosigkeit (und verlässt die Dokumentar-Perspektive). Das geht so weit, dass er schließlich sogar sein Leben für den Alien-Freund riskiert. Eine Entscheidung, die nicht länger von seiner Hoffnung auf eine Rückverwandlung motiviert ist. Das menschliche Personal verkommt in Abgrenzung dazu zu Profitgeiern, die grausam mit anderen Lebewesen experimentieren, um deren außerirdische Waffen für sich nutzbar zu machen.
District 9 macht sein Publikum zu Außerirdischen
Neill Blomkamp hat mit District 9 vor 15 Jahren einen Science-Fiction-Film gedreht, der die Menschen zum Feindbild auf dem eigenen Planeten machte. Abgestoßen von der Unmenschlichkeit der Menschen muss ich mir in bester Blade Runner-Manier die Frage stellen, ob die Außerirdischen am Ende "more human than human" sind. So wird die eigene Spezies zu Aliens, während ich mich auf die Seite der gebeutelten interstellaren Besucher schlage. Mit Invasoren der eigenen Moral will ich mich nicht länger gleichstellen.
Natürlich hat District 9 auch jede Menge Action, Schießereien, futuristische Technologie, Roboter-Anzüge und UFOs zu bieten. Das ist nichts Neues im Sci-Fi-Genre, doch Blomkamp stellt es in einen neuen Kontext, in dem es sich als Beiwerk dem Emotionalem unterordnet. Denn die größte Action findet in meinem Inneren statt, wenn ich den Film wieder und wieder schaue, um mich vom Menschen zum Alien umkrempeln zu lassen.
District 9 eröffnet einen unschönen Blick auf die Menschheit, zeigt die Erdbewohner als irdische Aggressoren und fühlt sich gerade durch seine Sozial-Allegorie unbequem wahrhaftig an. Es ist ein Film, der gekonnt meine Sympathien verschiebt, um an der Seite der geläuterten Hauptfigur Mitgefühl in Tentakeln, Krallen und gelben Augen zu finden. Es ist ein Sci-Fi-Werk, das auch 15 Jahre später nichts von seiner Durchschlagskraft verloren hat.
*Bei dem Link zum Angebot von Amazon handelt es sich um einen sogenannten Affiliate-Link. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision.