Sebastian Koch ist der Seewolf

31.10.2009 - 08:00 Uhr
ZDF
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Der klassische Roman Der Seewolf wurde auf hoher See verfilmt. Sebastian Koch wusste die Enge auf dem Schiff zu meistern und erzählt im Interview über Ego-Trips, Auszeiten und die beruhigende Weite der See.

Sebastian Koch spielt zusammen mit Neve Campbell die Hauptrolle in der von Mike Barker regierten Verfilmung von Der Seewolf. Seit er den entführten Industriellensohn Richard Oetker und im selben Jahr Klaus Mann in Heinrich Breloer s Doku-Drama Die Manns – Ein Jahrhundertroman verkörperte, ist er in vielen Filmen und TV-Serien aufgetreten. Für beide Rollen bekam Sebastian Koch im Jahr 2002 den Grimme-Preis. Bis heute ist er der einzige Schauspieler, der diesen Fernsehpreis zweimal innerhalb eines Jahres erhielt. Im Interview spricht er nun über die Dreharbeiten zu Der Seewolf.

Was hat Sie an dem Stoff des Films Der Seewolf gereizt?

Sebastian Koch : Es hat etwas Faustisches, das Jack London da versucht hat. Da sind diese zwei Seelen in seiner Brust: Humphrey van Weyden, der mit seiner Moral die Regeln der Gesellschaft, Rücksicht und christliches Denken verkörpert; und Wolf Larsen, der sagt, ich kümmere mich da gar nicht drum, ich mache meine eigenen Gesetze, die Moral der Menschen ist eh verlogen. Und beide Stimmen haben ihre Berechtigung, beide haben eine unglaubliche Kraft und Wahrhaftigkeit. Das ist einfach toll, diese beiden Lebenshaltungen aufeinander prallen zu lassen. Ich nehme an, das war auch der innere Kampf von Jack London. Man kennt das ja vielleicht auch von sich selbst, dass man manchmal denkt: Ich mache jetzt, was ich will und nehme keine Rücksicht auf die Anderen. Einerseits möchte man aus den Regeln ausbrechen, aber auf der anderen Seite braucht es diese klaren Vorgaben, um in einer Gesellschaft zusammen leben zu können. Die ewig alte Geschichte also. Dass der Freigeist, wenn er sich nicht eingliedern will, letztendlich sterben muss, ist da nur konsequent.

War der Seewolf eine Traumrolle oder die Rolle des Lebens?

Sebastian Koch : Nein, ich glaube nicht, dass es die Rolle des Lebens gibt. Ich habe auch keine Traumrollen. Rollen kommen über Drehbücher zu mir und dann gibt es ein Gefühl in mir, das sagt, ich muss das spielen – und ich nehme die Rolle an. Wenn man an den Seewolf denkt, kommt man ja nicht zwangsläufig auf mich. Trotzdem hatte ich mich sofort verliebt in diesen wahnsinnigen Menschen, der eine Energie in sich trägt, die unbeschreiblich ist. Ein absoluter Instinktmensch, der besessen ist von seinen Visionen. Und diese Besessenheit, die kenne ich, und es hat mich gereizt, mir den dazu notwendigen Körper zu erarbeiten. Wolf Larsen ist kein Intellektueller, aber ein hochintelligentes Tier, welches genau weiß, wo er eine Gefahr zu erwarten hat.

Die meiste Zeit haben Sie auf einem Segelschoner auf hoher See gedreht. War das für Sie eine zusätzliche Herausforderung?

Sebastian Koch : Das war etwas sehr Besonderes. Wir haben versucht, einen Film auf hoher See zu drehen, eben nicht mit Studioeffekten und Greenscreens, wie es heutzutage gern gemacht wird, sondern das so nah an der Realität wie möglich zu lassen. Das hieß unter anderem auch, dass wir ganze Szenen mehrfach komplett durchdrehten – aus verschiedenen Blickwinkeln, das ist enorm schwierig auf so einem Schiff. Da ist der Platzmangel, wohin mit dem ganzen Team, dem Equipment; dann kommt das Wetter dazu. Aber eben weil das alles so unberechenbar ist, war es unmöglich, andauernd abzubrechen und wieder neu anzusetzen. Darin lag natürlich aber auch genau der Reiz. Ganz zu Beginn war ich mir nicht sicher, ob wir das würden durchhalten können. Dazu kommt, dass ich zum ersten Mal in einer Hauptrolle in einer fremden Sprache gedreht habe – Englisch ist ja nicht meine Muttersprache. Das fordert eine enorme Konzentration und hat eine ganz eigene Dynamik. Eine 2 ½-Minuten Szene am Stück zu drehen, in einer fremden Sprache, das Boot auf Kurs zu halten, dabei immer die richtigen Kommandos zu geben, und das alles bei vier Grad Celsius und Windstärken um die neun – das hat schon was. Es zeigte sich aber, dass das ganze Team so zusammengewachsen war, dass man das in dieser ganzen Komplexität tatsächlich so machen konnte. Dass so etwas möglich ist, hat mich begeistert.

Wie war die Atmosphäre auf dem Schiff?

Sebastian Koch : Das Schiff, auf dem wir gedreht haben, war ein ganz besonderer Arbeitsort. Das ist efinitiv etwas anderes als ein Büro oder eine Fabrik. Man kann nicht weg, kommt als zusammengewürfelte Gruppe da hin und muss jetzt diesen Film machen. Man kann da auch nicht nach zwei Stunden wieder runter und sagen: “Ich gehe jetzt mal woanders hin”. Es war sehr spannend, wie in den ersten Tagen die ganzen Ego-Trips zurückgedrängt wurden und alle versucht haben, sich zusammenzufinden und zu arrangieren. Wenn es dann doch mal hochgekocht ist, hat man 20 Minuten aufs Meer gestarrt und dann war es wieder gut. Aber nie war es ein Davonlaufen, eine Flucht – was ja erwiesenermaßen nicht möglich ist – sondern mehr ein kurzes Beiseitetreten und wieder hereinkommen in die Gruppe. Wie ein ganzes Team so zusammenwächst, um in dieser merkwürdigen Atmosphäre hoch konzentriert zu arbeiten, das war schon eine besondere Erfahrung für mein Leben.

Wie muss man sich einen solchen Drehtag auf See vorstellen?

Sebastian Koch : Es hat sich so etwas wie ein Rhythmus eingestellt. Wir sind rund eineinhalb Stunden mit dem Boot rausgefahren, bis wir auf offener See waren. In diesen anderthalb Stunden haben wir die Szenen geprobt und durchgesprochen, wie wir was drehen wollen. Dann wurden die Segel gehisst und es wurde gearbeitet. Natürlich gab es auch diese Kämpfe: Man will es besser machen, noch mal, anders, man schreit sich an, um einfach das Beste aus der Szene rauszuholen. Das müssen Sie sich vorstellen wie eine Welle, die langsam ansteigt. Und am Abend ist man wieder diese anderthalb Stunden zurückgefahren in den Hafen. Das heißt, jeder Ärger und alle Energie, die da so hochgekocht sind, hatten wieder eine Möglichkeit, sich zu entspannen und aufzulösen. Das war etwas Wunderbares: Man ist wieder ganz friedlich in den Hafen eingelaufen und hatte wieder Kraft für den nächsten Tag.

Wie war die Zusammenarbeit mit Mike Barker?

Sebastian Koch : Ich bin sehr froh, dass Mike Barker die Regie übernommen hat. Mit ihm zu drehen, war eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit. Mike ist ein Typ, der ein solches Team gut zusammenhalten kann, indem er Wege findet, seine Leute zu motivieren. Bei so einem Projekt ist das unendlich wichtig. Und ebenso wichtig ist, dass er Dinge annehmen kann, es ist also eine echte Zusammenarbeit. Bei diesem Film kann man nicht trennen zwischen “deinem” und “meinem” Bereich, das geht über die Departments hinaus. Gemeinsam mit Richard Greatrex, einem ganz großartigen Kameramann, waren wir die tragenden Säulen dieses Projektes. Auch und gerade über diesen langen Zeitraum wächst man zusammen. Wir drei sind sehr unterschiedliche Typen von Temperament und Charakter. Und trotzdem passte das zusammen, es bedingte sich geradezu. Natürlich gab es Auseinandersetzungen, aber es ging immer um die Sache. Die Liebe zum Film war immer größer als die eigene Eitelkeit. Unter solchen Umständen zu arbeiten, hat enorm viel Spaß gemacht.

Wie ist das Aussehen der Figur Wolf Larsen entstanden?

Sebastian Koch : Das ist ein längerer Prozess gewesen, für den ich rund vier Monate Zeit hatte. Ich habe mich in die Figur reingearbeitet und überlegt, was ich mit Wolf Larsen vorhabe. Ich wusste, natürlich muss er einen Bart haben. Die Haare sollten eigentlich kurz geschnitten sein. Dann dachte ich aber an den Wind auf See und ich dachte: Nein, die Haare müssen lang sein. So baut man sich das nach und nach zusammen. Und irgendwann denkt man, man weiß, wie es vielleicht gehen könnte. Dann kommt noch das Kostüm dazu, das in diesem Fall sehr wichtig war. Ich trug diese wuchtige Jacke, die das alles noch unterstützt. Und plötzlich ist so eine Figur dann erschaffen. Natürlich weiß man in dem Moment nicht, ob es das jetzt ist oder ob es nicht ganz anders viel besser wäre. Aber das ist ja das Schöne am Film. Irgendwann muss man sich festlegen und kann nur noch hoffen, dass die Entscheidungen, die man in der Vorbereitung getroffen hat, alle richtig waren.

Manche Schauspieler bleiben auch in den Drehpausen in ihrer Rolle. Waren Sie mehr Sebastian Koch oder mehr Wolf Larsen?

Sebastian Koch : Der Wolf Larsen ist ja immer unter Strom, er ist jemand, der ständig seine Macht verteidigt, also keine Machtstrukturen um sich herum aufbaut, sondern immer und in jeder Sekunde dafür kämpft. Sein Motto ist: Wenn du meinst, dass du es besser kannst, dann mach es. Aber du musst über mich gehen. Das macht diese Figur so spannend! Er liebt das. Er ist wie ein Hund, der raufen will und den Machtanspruch jedes Mal wieder aufs Neue beweisen will. Der will nichts geschenkt haben. Das ist toll, das gefällt mir. Deswegen mag man ihn auch, eben weil er geradeheraus agiert und nicht hinten herum. Die Figur hat also eine extrem hohe Energie. Und dass man das nicht an- und ausschalten kann, ist ja klar. Insofern war es für das Team sicherlich auch hin und wieder anstrengend. Für mich lag die große Herausforderung darin, diese Energie über so einen langen Zeitraum aufrecht zu erhalten.

Der Stoff ist ja bereits mehrfach verfilmt worden, beispielsweise bereits vor fast 40 Jahren als Vierteiler für das ZDF. Warum noch einmal?

Sebastian Koch : Die Verfilmung mit Raimund Harmstorf, die Sie ansprechen, ist ja geradezu ein Meilenstein in der deutschen Fernsehgeschichte, die einen ganz wichtigen und großen Platz einnimmt. Es geht nicht darum, es besser machen zu wollen. Ich denke, es geht darum, es anders zu machen. Der Film damals hatte beispielsweise eine Erzählerstimme, die den Zuschauer durch die Geschichte führt, das wird heute kaum noch gemacht. Der damalige Film war ein Konglomerat aus verschiedenen Jack-London-Erzählungen und hinzuerfundenen Elementen. Zum Beispiel war die ganze Kinderfreundschaft, dass sich Wolf und Humphrey schon von Kindestagen an kannten, komplett ausgedacht und der eigentliche Geniestreich der damaligen Verfilmung. Ganz toll gemacht und für die Zeit genau richtig. Jetzt sind wir aber 40 Jahre weiter, das heißt, sowohl Sehgewohnheiten als auch Sichtweisen haben sich geändert.

Für mich war es zum Beispiel großartig, nach fast 30 Jahren diesen Roman noch einmal zu lesen und zu sehen, wie auch ich mich verändert habe. Mit 15 Jahren steht natürlich die Abenteuergeschichte im Vordergrund. Mit Mitte 40 stellt man aber fest, dass dieser Roman eine unglaubliche Intelligenz und Tiefe hat. Alles ist metaphorisch ineinander verwoben, jede Kleinigkeit nimmt Bezug auf etwas schon Dagewesenes, das ist sehr beeindruckend. Je länger ich mich damit beschäftigt habe, umso mehr entdeckte ich diese Verknüpfungen und Zusammenhänge, die Jack London gewählt und komponiert hat. Death Larsen zum Beispiel ist im Buch der Tod, der ihn wie einen Schatten verfolgt und am Ende ganz real einholt. Auch das Schiff, die “Ghost”, ist natürlich ein metaphorischer Vorbote des Todes. Oder der 1. Offizier, der gleich zu Beginn stirbt.

Aber dann kommt Humphrey van Weyden an Bord und schließlich Maud Brewster. Leben und Tod begegnen sich, kreuzen sich und bedingen sich gegenseitig. Im Prinzip handelt die ganze Geschichte vom Untergang dieses Mannes Wolf Larsen, dem mit dem Auftreten der industriellen Revolution in Gestalt der Dampfschiffahrt die Lebensgrundlage entzogen wird. Er weiß, dass er sterben wird, also bereitet er seinen Nachfolger vor, den Erben, der die wesentlichen Werte mit in das neue Zeitalter tragen wird. Das habe ich am Anfang gar nicht so gelesen, erst durch das tiefe Eintauchen in diese Geschichte konnte ich solche Dinge entdecken – es war eine wunderbare Reise.

Schaut euch hier den Trailer zu Der Seewolf an:

Mit Material von ZDF.

Den ersten Teil von Der Seewolf könnt ihr am Sonntag, dem 01. November 2009 um 20.15 Uhr im ZDF sehen. Den zweiten Teil gibt es dann am Mittwoch, 04. November 2009.

Für mehr Informationen, schaut doch in unser Fernsehprogramm.

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