Alejandro González Iñárritu macht keine leisen Filme. Im
Gegenteil, er liebt die großen Gesten, all seine bisherigen Werke sind getragen
von einer immensen erzählerischen Wucht. In den intensiven Episodendramen
»Amores Perros«, »21 Gramm« und »Babel« erkundet der Mexikaner die Mechanismen
von Schuld und Sühne, das gradlinige Sozialdrama »Biutiful« folgt einem
gesellschaftlichen Außenseiter beim täglichen Überlebenskampf. Zuletzt
wechselte er die Fronten und knallte mit »Birdman oder die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit« eine tragikomische
Geschichte hin, die, gleich einem rauschhaften Trip, die dunklen Gänge eines
Broadwaytheaters und die Seele eines abgehalfterten Superhelden-Mimen ergründet.
Mit »The Revenant«, nach dem Roman »Der Totgeglaubte« von Michael Prunke, hat sich Iñárritu eines Stoffes angenommen, der mit seiner existenzialistischen Tragweite alle Voraussetzung für einen »lauten« Film mitbringt. Darin hilft der Trapper Hugh Glass (Leonardo DiCaprio) Anfang des 19. Jahrhunderts einem Expeditionstrupp um Captain Andrew Henry (Domhnal Gleeson) durch unwegsames Gelände am Missouri River. Bei einer Grizzly-Attacke wird Glass allerdings lebensgefährlich verletzt und muss fortan auf einer zusammengeschusterten Bare getragen werden. Um nicht die gesamte Mission zu gefährden und Hilfe zu holen, lässt Captain Henry Glass und dessen halbindianischen Sohn Hawk (Forrest Goodluck) mit dem zwielichtigen John Fitzgerald (Tom Hardy) und dem Jungspund Jim Bridger (Will Poulter) zurück. Fitzgerald allerdings glaub nicht an Glass’ Genesung, tötet dessen Sohn und macht sich mit dem zweifelnden Bridger auf den Weg zurück zum Lager. Glass aber hat überlebt und macht sich auf die Suche nach dem Verräter, um sich zu rächen.
Iñárritu kehrt in »The Revenant« zum-Schuld-Sühne-Thema zurück, dieses Mal in einer auf das basalste reduzierten, archaischen Geschichte um den beinahe biblisch-anmutenden Leidensweg eines geschundenen Mannes. Diesen Weg schildert der Mexikaner sehr explizit und unmittelbar, die Rohheit der weißen Winterlandschaft und die Brutalität der gezeigten Welt lassen den Atem stocken. Gleich zu Beginn etwa gibt es eine Schlacht zwischen dem Expeditionstrupp und einer Schar Indianer, die Kameramann Emmanuel Lubezki (Birdman) eindrucksvoll fotografiert: mit unglaublicher Dynamik ist die Kamera direkt im Geschehen, ganz nah an den Protagonisten, wechselt von Duell zu Duell und zeigt das gesamte Grauen dieses unerbittlichen Gemetzels. Wenig später dann der irrsinnige Kampf mit dem Bären, der trotz CGI-Effekten wahnsinnig authentisch ist. Mit seiner epischen und zugleich direkten Bildsprache inszeniert Lubezki den gesamten Film als intimes Spektakel.
Schließlich beginnt Glass’ steiniger Weg zurück ins Leben, durch eisige Landschaften. Das von Werner Herzog oft verhandelte Thema von Menschen in völlig menschenunfreundlicher Umgebung ist der Motor, auf den sich Iñárritu in den kommenden eineinhalb Stunden verlässt. Glass kriechend und humpelnd im Schnee, kratzt Moos von Steinen, isst rohes Fleisch und rohen Fisch, »übernachtet« in dem Kadaver seines toten Pferdes. Keine Frage, der Überlebenskampf des Trappers ist intensives Kino. Gelegentlich ist die Kamera so nah am Geschehen, dass sein Atem die Kameralinse beschlagen lässt, manchmal sind die Panoramaaufnahmen so breit, dass die Einsamkeit der Wildnis schier erdrückend ist. DiCaprio spielt am Rande des Exzesses – er soll trotz seines Vegetariertums sogar echte Innereien gegessen haben – und brüllt sich durch die Wildnis. Klar, er kann lange Zeit aufgrund einer Halsverletzung nicht sprechen und muss Wut und Verzweiflung anderweitig kanalisieren. Und doch verliert sich der Film irgendwann zu sehr in den Weiten der Landschaft und suhlt sich im Leid seiner tragischen Figur. Ewig nur der total kaputte Glass, der mehr Qualen durchstehen muss, als ein Mensch eigentlich aushalten kann, dazu immer wieder die Flashbacks von seiner Frau bis zu jenem Massaker, in dem sie brutal getötet wurde, quasi als weiteres Fundament für das Handeln des Trappers. Gelegentlich dann noch die teilweise ärgerlichen spirituellen Ausflüge – etwa die Szene, in der Glass in den Trümmern einer Kirche steht. Es sind zu viele große, zu gewollt wirkende Gesten, die die Geschichte hinter den expressiven Ausdruck zwängen. Das eigentlich so geerdete Pathos des Mexikaners verliert in »The Revenant« ein ums andere Mal an Boden.
Als Glass, auf zwei Beinen stehend und einigermaßen
wiederhergestellt, zurückkehrt, gewinnt der Film wieder an Fahrt. Von Anfang an
ist klar, wo sein Weg hinführt: zu Fitzgerald, von Tom Hardy angelegt als amoralischen
Exzentriker mit herrlich vernuscheltem Südstaaten-Slang. Das Ende von
»The Revenant« ist dann wieder unglaublich konsequent und packend. Der
gebührende Abschluss eines bildgewaltigen und mitreißenden Films, dem leider im Mittelteil etwas die Puste ausgeht.