Mit dem Multiversum wurde im MCU ein neuer Spielplatz geschaffen, auf dem sich die aktuellen Marvel-Kinofilme und -Serien austoben. Der vorläufige Höhepunkt wurde hier mit Spider-Man: No Way Home erreicht, der viele Bösewichte aus bisherigen Filmen und neben Tom Holland auch die ehemaligen Spider-Man-Stars Andrew Garfield und Tobey Maguire versammelte.
Für Doctor Strange in the Multiverse of Madness, der aktuell im Kino läuft, hatten sich Fans ähnlich Spektakuläres erhofft. Der Film hat mir seiner Marvel-Cameo-Orgie aber enttäuscht. Trotzdem hat Doctor Strange 2 gegenüber dem letzten Spider-Man-Spektakel einen entscheidenden Vorteil, der für die Zukunft des MCU ziemlich wichtig werden könnte: seinen Regisseur. Über No Way Home lässt sich das nicht sagen.
Spider-Man: No Way Home hat zwar beeindruckende Marvel-Stars, aber keine Identität
Im Vergleich zu Doctor Strange 2 mag der dritte Teil von Tom Hollands Spider-Man-Trilogie die deutlich spektakuläreren Cameos haben. Über viel mehr als die Auftritte des Grünen Kobolds, Doc Ock oder Garfield und Maguire wurde nach dem Marvel-Film aber nicht mehr gesprochen. Neben dem emotionalen Abschluss von Hollands Spider-Man-Entwicklung setzt No Way Home überwiegend auf nostalgische Trigger, um viele alte Gefühle nochmal aufflammen zu lassen.
Schaut hier noch Yves' Video-Review zu Doctor Strange 2:
Dadurch wird gut kaschiert, dass der Film inszenatorisch bzw. stilistisch rein gar nichts zu bieten hat. Jon Watts ist als Regisseur der kompletten Spider-Man-Trilogie mit Holland kaum mehr als ein anonymer MCU-Erfüllungsgehilfe, der jeden Film ohne eigene Handschrift dreht. Der leichte Eurotrip-/Highschool-Film-Charakter von Spider-Man: Homecoming und Spider-Man: Far From Home war da schon das Höchste der Gefühle.
- Schon gelesen? Marvel hat ein Frauenproblem – und die Zerstörung von Wanda in Doctor Strange 2 beweist es
Was bleibt also, wenn sich diese Art von Marvel-Spektakel nicht mehr hinter Cameos und Nostalgie verstecken kann, weil alle spannenden Charaktere bereits verheizt wurden? Nicht viel. Und genau hier zeigt sich, warum Doctor Strange 2 das bessere Vorbild für zukünftige MCU-Filme ist.
Sam Raimi darf seine Horror-Wurzeln in Doctor Strange 2 einbringen – und verändert die klassische MCU-Formel
Als verkündet wurde, dass Sam Raimi die Regie für Multiverse of Madness übernehmen wurde, war die Überraschung groß. Bevor er mit seiner Spider-Man-Trilogie Anfang der 2000er weltberühmt wurde, drehte der nämlich vor allem richtig abgedrehte Horrorfilme. Tanz der Teufel, Tanz der Teufel 2 - Jetzt wird noch mehr getanzt und Armee der Finsternis sind unter Genre-Fans Kult und stehen vor allem für den Mix aus derben Splatter-Effekten und schwarzem Humor.
Schaut hier einen Trailer zum ersten Tanz der Teufel aka The Evil Dead:
Eine Kombination, die für einen MCU-Regisseur eher ungewöhnlich ist. Und genau deswegen so wichtig für ein Franchise, das nicht unbedingt für ungewöhnliche Kamerafahrten und grenzgeniale Optik bekannt ist. Der finale Film ist immer noch ein klarer MCU-Beitrag, der vorangegangene Filme und Serien weitererzählen muss und auf extrem viel Exposition und Fanservice setzt. Trotzdem gibt es in Doctor Strange 2 immer wieder Szenen, die sich wie erfreuliche Ausreißer im sonst so glatten MCU-Konstrukt anfühlen.
- Lest auch unser Interview: Doctor Strange 2-Regisseur Sam Raimi über den organisatorischen Albtraum, einen Marvel-Film zu drehen
Es beginnt schon beim ersten Kampf gegen das das Tentakelmonster Gargantos, dem am Ende des Kampfes brutal das Auge herausgerissen wird. Ein überraschender Moment, der in blutigerer Form aus Raimis Evil Dead-Trilogie stammen könnte. Auch der Rest von Doctor Strange in the Multiverse of Madness hat verspieltere Ideen als ca. 90 Prozent aller bisherigen MCU-Blockbuster. Die manchmal schräg fliegende oder wild umher rasende Kamera ist ein Raimi-Markenzeichen, doch in der zweiten Hälfte darf er seine Genre-Vorliebe am stärksten ausspielen.
Immer wieder gibt es klare Verweise auf legendäre Gruselfilme. Insbesondere Wandas Erstürmung der Illuminati-Halle wird als bedrohliches Horror-Inferno inszeniert, das schließlich zum jugendfreien Splatter mutiert, in dem das angeblich stärkste Superheld:innen-Team des Universums brutal abgeschlachtet wird. Als Raimi im Finale dann auch noch einen morbiden Zombie-Strange auferstehen lässt, dürften auch die letzten Fans des Regisseurs glücklich grinsen.
- Fürs Heimkino: Spider-Man: No Way Home jetzt zu Hause streamen *
Doctor Strange 2 ist vielleicht nicht das perfekte Marvel-Fanfest, aber der spannendere Film als No Way Home. MCU-Chef Kevin Feige sollte sich lieber ein Beispiel an Doctor Strange in the Multiverse of Madness oder Eternals nehmen, und in Zukunft noch bewusster auf Filmschaffende mit eigener visueller und erzählerischer Identität setzen. Sonst wird die große Marvel-Müdigkeit zwischen dem Dauerfeuerwerk aus Disney+-Serien und Kino-Blockbustern schneller eintreten, als uns allen lieb ist.
*Bei dem Link zum Angebot von Amazon handelt es sich um einen sogenannten Affiliate-Link. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision.
Wie steht ihr zu Doctor Strange 2 im Vergleich zum letzten Spider-Man-Film?