Reisen wir für ein paar Minuten in der Zeit zurück: Es ist Januar 2012. Sturmtief Fabienne erreicht am Nebelhorn im Allgäu 178 km/h. Ähnlich zügig spazieren die deutschen Zuschauenden in eine französische Komödie namens Ziemlich beste Freunde. Und das Team des Schauspielers Taylor Kitsch leckt sich vermutlich die Lippen angesichts der satten Boni, die zum Jahresende warten.
Kitsch ist zu diesem Zeitpunkt das nächste große Ding in Hollywood. Im März und Mai starten zwei Blockbuster mit ihm in der Hauptrolle, im Juli wartet ein hochkarätiger Thriller von Regielegende Oliver Stone. Heute, 13 Jahre sind ins Land gezogen, ist Taylor Kitsch aus dem Kino verschwunden. Trotzdem ist er so erfolgreich wie nie.
Das Jahr des Taylor Kitsch wurde zum Jahr der Flops
Taylor Kitsch verdankt seine Karriere harter Arbeit – und Peter Berg. Berg gab dem Gelegenheits-Model und unerfahrenen Schauspieler die Chance seines Lebens, als er ihn für die Rolle des Football-Spielers Tim Riggins in der NBC-Serie Friday Night Lights besetzte. In fünf Staffeln wurde Kitschs alkoholkranker Underdog aus schwierigen Verhältnissen zum Fan-Liebling. Zwischendurch glänzte er in einer erinnerungswürdigen Nebenrolle als Gambit in X-Men Origins: Wolverine.
2011 endete die Serie und die Casting-Agenten standen bei Kitsch Schlange. Alles sah nach einem Aufstieg in die erste Liga Hollywoods aus, doch stattdessen folgte eine Kaskade an finanziellen Misserfolgen.
Im März 2012 stürzte die fast 300 Millionen Dollar teure Science-Fiction-Adaption John Carter - Zwischen zwei Welten an den Kinokassen ab. Heute gilt John Carter als einer der größten finanziellen Misserfolge der Kinogeschichte, ein Fakt, der weder dem spaßigen Space-Abenteuer noch Kitschs Leistung gerecht wird. Mittlerweile wird die Schuld am Flop auf die Marketing-Kampagne für den Film geschoben , doch eines war schon damals offensichtlich: Taylor Kitsch ist nicht das Filmstar-Gesicht, das dir eine gedankenlose Zeit glänzender Unterhaltung verspricht.
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Die Flops zeigten, was Taylor Kitsch fehlt
Die Qualität, die männliche Stars wie Tom Cruise, Will Smith oder jüngst Glen Powell besitzen, geht Kitsch ab. Er strahlt keine einfachen, klaren Botschaften aus, seine Präsenz verwirrt viel mehr, sie wirft Fragen auf. Das bedeutet nicht, dass die einen bessere Schauspieler sind als er. Aber hinter dem Vorwurf, ein Tom Cruise oder Dwayne Johnson "spiele immer dieselbe Rolle", steckt ein Talent, das gerne unterschätzt wird.
Bei einem Reißbrett-Blockbuster, dessen Trailer und Poster mit Monstern vollgestopft sind, schaut man auf Dwayne Johnson und weiß, was einen erwartet. Bei Taylor Kitsch resultiert die schwer zu fassende Präsenz im Schulterzucken. Das Ticket wird dann für einen anderen Film gelöst.
Diese Beobachtung konnte man zwei Monate später bei Battleship von Kitsch-Entdecker Peter Berg wiederholen. In der Schiffe-versenken-Adaption gibt Kitsch einen rebellischen Navy-Lieutenant, der im Angesicht einer Alien-Invasion über sich hinaus wächst; allerdings nicht genug, um bei einem Budget von über 200 Millionen Dollar einen Gewinn einzufahren. An den historischen Flop John Carter schloss sich der Untergang von Battleship an, gefolgt von Oliver Stones Thriller Savages, der respektablere Zahlen ablieferte, aber maue Kritiken erhielt. Das Jahr des Taylor Kitsch hatte sich verwandelt in das Jahr, über das man besser nicht mehr redet.
Die 3 besten Taylor Kitsch-Filme nach Moviepilot-Bewertungen:
Sein Comeback führte Taylor Kitsch zu Netflix
Taylor Kitschs Karriere als Kino-Leading-Man, also als Star, der große Filme allein tragen kann, war damit effektiv beendet. Künstlerisch rehabilitiert hat er sich in dem Medium, das ihm einst Bekanntheit verschaffte. In Staffel 2 von HBOs True Detective begann der lange Weg zurück. Größere Wellen schlug er 2018 in der Tatsachenserie Waco bei Paramount+, in der er als David Koresh, charismatischer Anführer eines religiösen Kults, kaum wiederzuerkennen war. Seitdem glänzt Kitsch in Ensemble-Rollen, etwa im Amazon-Erfolg The Terminal List - Die Abschussliste, der vor allem über Chris Pratt beworben wird.
Die Konstante der Karriere von Taylor Kitsch, ob beim Durchbruch, den Flops oder der Wiederkehr heißt Peter Berg. Er besetzte den Kanadier in Friday Night Lights, Battleship und Lone Survivor. 2023 führte Berg bei seiner ersten Netflix-Serie Regie. Die Miniserie Painkiller befasste sich mit dem realen Schmerzmittelimperium der Familie Sackler, die als Triebfeder der Opioidkrise in den USA angesehen wird. Einer der Stars: Taylor Kitsch als Mechaniker, der nach einer Verletzung suchtkrank wird.
Gegenüber der New York Times erklärte Berg den Moment, in dem er Taylor Kitsch damals zu Friday Night Lights-Zeiten zum ersten Mal sah: "Und ich sagte: 'Oh [Schimpfwort], dieser Typ ist der Richtige'". Kitsch sei nämlich gleichermaßen verletzlich und stoisch: "Aber was ihn besonders macht, ist, dass er diese Energien in sich birgt, er stellt sie nicht heraus. Er arbeitet nicht zu hart."
13 Jahre nach John Carter schaffte es Taylor Kitsch auf Platz 1
In ihrer gemeinsamen Serie American Primeval kann man das, was Berg an Kitschs Präsenz so schätzt, unter die Lupe nehmen. Es ist wieder eine Ensemble-Serie, wieder mit Berg als Regisseur. Kitsch spielt den wortkargen Isaac, auf den ersten Blick ein harter Westerner, aber in Wirklichkeit ein gebrochener Mann.
Glänzende Kritiken haben die beiden mit ihrer Serie eingefahren, fern der Verrisse aus den Battleship-Zeiten, und zeitweise gab es Platz 1 in den Netflix-Charts als blutrote Kirsche auf dem Serienkuchen obendrauf. 13 Jahre nach John Carter ist Taylor Kitsch noch immer kein A-Lister, der Filme tragen kann. Stattdessen hat er seine Komfortzone gefunden. Die ist vollgestopft mit traurigen, kaputten Typen, von denen man sich nicht abwenden kann.