Woody Allens genial grausame Feel-Bad-Filme

08.11.2013 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Cate Blanchett in Blue Jasmine
Cate Blanchett in Blue Jasmine
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Woody Allen ist neben liebevollen Komödien auch ein Meister des Feel-Bad-Films und beweist mit seinem neuen Werk Blue Jasmine einmal mehr wie bitterböse er zu seinen Figuren sein kann.

Als sensiblen Neurotiker kennen wir Woody Allen alle aus zahlreichen nach ihm selbst designten Rollen in seinen eigenen Filmen. Doch wer den mittlerweile 77-jährigen Filmemacher als Garant für witzige Filme mit lieblichem Nachgeschmack abgespeichert hat, der hat in der falschen Menükarte gelesen. Viele von Woody Allens besten Filmen bauen auf Hintergedanken der Charaktere, auf nicht Gesagtes, das am Ende über die Figuren und die Zuschauer hereinbricht, auf Beseitigung der Geliebten und das Treffen von falschen Entscheidungen. Vielleicht wirkte Woody Allens meisterhaft nostalgisches Feel-Good-Movie Midnight in Paris deshalb so einzigartig, da er hier seinen Schützlingen endlich den wohlverdienten und unbeschwerlichen Frieden gibt, den sie verdient haben. Eine Prise Melancholie darf aber auch hier nicht fehlen.

Bad End
Doch werfen wir einen Blick auf die drei anderen wirklich guten Filme von Woody Allen in den letzten zehn Jahren, die er schrieb und inszenierte zugleich, nämlich Match Point, Vicky Cristina Barcelona und nun Blue Jasmine, dann starren uns verblendete, verwöhnte, von sich selbst und vom Leben enttäuschte und desillusionierte Augen entgegen. Für jedes Allensche Happy End gibt es eine bittere Katastrophe, deren scheinbar gleichgültige Hinnahme von Seiten des Regisseurs sie umso ärger nachwirken lassen. Keine pathetischen Musik oder aufgesetzte Tränenergüsse verfälschen die authentischen Emotionen und leeren Blicke. Mord bleibt ungestraft, wahre Liebe unbelohnt und die Reichen gewinnen immer, oder wie Rita Kempley in der Washington Post schreibt: “Zurückweisung lauert wie ein Lacoste-Alligator in jeder Szene.“

Falsche Entscheidungen
Der bittere Nachgeschmack in vielen Filmen Woody Allens kam bei ihm aber nicht erst mit dem Alterszynismus. So manches fantastisches Werk wie Purple Rose of Cairo von 1985 und Verbrechen und andere Kleinigkeiten von 1989 quält seine Charaktere auf ironische Art und Weise, bis sich tiefe Traurigkeit einstellt. Im Zentrum von The Purple Rose of Cairo steht Mia Farrow, welche die falschen Entscheidungen trifft und damit ihrem Glück für immer Lebewohl sagen muss. Damit könnte dieser erdrückende und romantische Fantasy-Klassiker von Woody Allen am ehesten noch mit seiner aktuellen Tragikomödie Blue Jasmine verglichen werden, in der sich eine außergewöhnliche Cate Blanchett einen Wodka nach dem anderen hinunterkippt. Als ehemalige Luxusfrau hat sie all ihr Hab und Gut verloren und muss zu ihrer alleinerziehenden Schwester von New York nach San Francisco ziehen. Realitätsverweigernd wandelt sie durch ihr neues Leben.

Die Vergänglichkeit unserer Welt
Nach einer Sichtung des meisterhaften Blue Jasmine stellt sich die Frage, woher Woody Allens Verlangen kommt, dem Zuschauer solche Boshaftigkeiten zu präsentieren. Wieso fährt er unsere Identifikation stets gegen die Wand und hält die Faszination an den Figuren dennoch aufrecht, bloß um daraufhin mit ernsthafter Härte unsere Erwartungen zu begraben. Bei meiner Recherche zu Woody Allens Händchen für gelungene Feel-Bad-Movies stieß ich auf ein Zitat des Regisseurs, das nicht nur die voranschreitende Abgeklärtheit in seinen Filmen erklärt, sondern auch Einblick gibt, wieso ihm Gutes und Schlechtes zu vermitteln gleichermaßen oft gelingt. Denn die Frage, die er sich stellt, ist simpel, verpackt in einer komplexen Überlegung: Welche alltäglichen Dinge verleiten uns dazu, über all die Vergänglichkeit in unserer Welt hinwegzublicken und halten unseren Lebenswillen wach?

„Wenn du jünger bist, denkst du dir, wie wichtig alles ist und dass alles klappen muss – deine Arbeit, deine Karriere, dein Leben, deine Entscheidungen und das alles. Dann, nach einer Weile erkennst du, dass (…) du irgendwann sterben wirst, und dass irgendwann die Sonne erlischt und die Erde vergeht und irgendwann alle Sterne und alle Planeten und das gesamte Universum verschwindet und nichts übrig bleibt“, erklärt Woody Allen gegnüber Black Book Mag, "Nichts – Shakespeare und Beethoven und Michelangelo weg. Und du denkst bei dir, es gibt so viel Lärm und Geräusche und Raserei – und wo geht das hin? Es geht nirgends hin. Aber so kannst du dein Leben nicht leben, denn wenn du würdest, säßest du bloß da und – wozu irgendetwas machen? Warum in der Früh aufstehen und etwas tun? Also denke ich, dass es der Job eines Künstlers ist, zu versuchen herauszufinden, warum wir in Anbetracht dieser grausamen Tatsachen weiterleben wollen.“

Machtbesessenheit, Geldgier & Egoismus
Diese Suche nach menschlicher Motivation ist in allen tollen Allen-Filmen von Belang. Sei es die große Liebe zu einem Filmstar in The Purple Rose of Cairo, sei es der verzweifelte Versuch das gewohnte Leben nicht aufgeben zu müssen in Verbrechen und andere Kleinigkeiten, sei es der sehnsüchtige Wunsch im Alten etwas Neues zu entdecken in Midnight in Paris oder sei es einfach nur der Erhalt des überdurchschnittlich guten Lebensstandards in Match Point. Machtbesessenheit, Geldgier, Luxusleben und der pure Egoismus finden sich in zahlreichen Charakteren und verschiedenen Facetten wieder. Woody Allens schwungvolle Inszenierung – hier eine sinnlose Diskussion, da eine peinliche Aktion und manchmal auch dynamische Musiknummern – verleihen dabei seinen Figuren oft die nötige Authentizität, um all ihren Gräueltaten noch mehr Gewicht zu verliehen.

Und am Ende…
Mit Blue Jasmine hat Woody Allen seinen Hang zum Feel-Bad-Film perfektioniert. Im Schafspelz einer herzhaften Tragikomödie daherkommend, packt Blue Jasmin gegen Ende seine unerbitterlich scharfen Zähne aus. Das zermarterte Gesicht der wunderbaren Cate Blanchett, ihre tränenverwischte Schminke und die unfreiwillige Komik ihrer Selbstgespräche stehen im krassen Gegensatz zu den eigenen Reaktionen auf solche Leute im Alltagstrott der Großstadt. Und am Ende steht die Hoffnung, bloß selbst nie zu einem solchen Menschen zu werden.

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