Deutsches Genrekino, ein Ding der Unmöglichkeit

19.09.2012 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Hell
Paramount
Hell
51
49
Wir pflegen unser Themen- und Komödienquatschkino, aber für deutsche Genrefilme ist kein Platz. Und die wenigen, die es dennoch alljährlich auf die große Leinwand schaffen, sind zu nichts zu gebrauchen. Verdient Deutschland überhaupt ein Genrekino?

Es gehört zum guten Ton der hiesigen Cinephilie, den Mangel an Genrekino in Deutschland zu beklagen. Die Armut am einfach mal geistlosen Wagnis und die Abwesenheit aufregender Experimente, die Lust nach Fremdartigem, nach dem Geheimnisvollen und Abwegigen. Um auch in unserem Kino die Neugier nach dem reinen Erlebnis zu wecken, das der Genrefilm in allen seinen Facetten ermöglicht. Das könnte heißen, alte Traditionen aufleben zu lassen, auf Trends zu reagieren oder vielleicht auch selbst welche zu setzen, und vor allem jedoch einem Kino abseits vom Fördergeld- und Filmhochschulgewerbe die Möglichkeit zu geben, ganz im schöpferischen Fabulieren aufzugehen. Einem Kino, das sich vom Qualitätsfilmbukett ebenso wie vom Kasse machenden Komödienschwank aus Papas Kino 2.0 lossagt, das weder bleierne themenorientierte Festivalmonotonie noch publikumswirksame Massenunterhaltungsfilmverblödung befördert. Das Autos karambolieren, Psychokiller ihr Unwesen und Monstergestalten aufeinander treffen lässt, das Action-, Fantasy-, Horror-, Märchen-, Thriller- oder Science-Fiction-Stoffe anpackt, um auch den deutschen Film zu einem Reich der Sinne umzugestalten.

Das ist alles wahr und wünschenswert und irgendwie doch erst einmal egal. Bevor ein solches Kino (wieder) denkbar ist, müssen nicht nur Wagemut und Ideenvielfalt in die Köpfe der Produzenten gebracht, sondern auch Denkschranken des Publikums überwunden werden. Einer der großen Kämpfer für ein deutsches Genrekino ist der Filmemacher und Gelegenheitsautor Dominik Graf. Zuletzt plädierte er anlässlich der Verleihung des Deutschen Filmpreises für mehr „Trivialitäten, Schocks und brüllendes Gelächter“ im deutschen Kino. Graf selbst begann seine Regiekarriere 1983 mit dem flirrenden Horrordrama Das zweite Gesicht, dem teils virtuosen, teils quälend ungelenken ersten Kinofilm eines unübersehbaren Genreliebhabers. Rote Zahlen verlegten die Karriere sogleich ins Fernsehen, wo Graf bis heute in unterschiedlichsten Formaten und Längen die besten Genrefilme Deutschlands inszeniert. Sein ambitioniertes Polizeithrillergroßprojekt Die Sieger erklärte Andreas Kilb von der Frankfurter Allgemeinen einst zum Niedergang des deutschen Genrekinos, vom Gegenteil konnten sich Berliner Filmfreunde jüngst in einer umfassenden Werkschau im Zeughauskino überzeugen. Mit dem Polizeiruf Polizeiruf 110: Cassandras Warnung drehte Graf im vergangenen Jahr dann sein absolutes Meisterwerk: Eine über alle Maßen irrwitzige Genreerschließung, die den sonntagabendlichen Fernsehkrimidunst der Bildungsbürger mit einem Mal hinweg fegte. Seitenweise ratlose Zuschauerkommentare auf der ARD-Website legten seinerzeit Zeugnis ab über den Unwillen des Publikums, dem spröden Bewährten einmal das lebendige Phantastische vorzuziehen.

Im Kino wären solche Filme erst recht undenkbar. Schafft dennoch ein Genrewagnis den Weg durch die Knallkoppetagen auf die große Leinwand, besteht natürlich Grund zur Freude. Eine Freude jedoch, die angesichts der Genrefilme vergangener Jahre leider nur theoretisch bleibt: Der Räuber und Im Schatten beschritten zwar spannende Genrepfade, konnten sich jedoch auch nicht gänzlich von der Kargheit der Berliner Schule oder einem arthausverdächtigen Anspruch lösen. Die vierte Macht, Urban Explorer oder Hell wiederum hießen die auch in Multiplexen stattfindenden Rohrkrepierer 2011, die von Genrefreunden bestenfalls mit einer gut gemeinten, aber doch grundfalschen stiefmütterlichen Geste aufgenommen wurden. Insbesondere letzterer vereinte all die Missverständnisse, die die Idee eines deutschen Genrekinos derzeit in sich trägt. In auf international gebürstetem Colorgrading-Look und wüst zusammengeschustertem Referenzmaterial biederte sich der Endzeit-Horrorthriller Hell an US-amerikanische Vorbilder an, um dann in hiesigen Rezensionen mit ihnen verglichen und dabei besonders gelobt zu werden. Statt eines originären, eigensinnigen und aus sich selbst entstehenden deutschen Kinos werden teutonische Abziehbilder geschaffen, denen man dann bescheinigen darf, der weltweiten Konkurrenz stand zu halten. Das also soll das Ziel eines deutschen Genrekinos sein? Vielen Dank, aber: Scheiße, nein.

Trübselig schließlich der Blick auf die aktuellen Genrefilmexoten aus deutschen Landen. Oliver Krekel geistert durch Internetforen und liefert sich an selige 90er-Jahre-Amateurfilmzeiten erinnernde Schlammschlachten mit Benutzern, um seinen in einigen Provinzkinos laufenden Low-Budget-Splatterfilm Robin Hood – Ghosts of Sherwood zu promoten; Frank W. Montag wiederum hält das Erbe des deutschen Billig-Blutgemansches mit seinem Cannibal Diner am Leben. Ambitionierter versucht sich Andreas Marschall an einem deutschen Giallo, aber auch sein Masks wird nur auf DVD und Blu-ray ausgewertet. Der vielleicht nicht uninteressante Mystery-Thriller Du hast es versprochen von Alex Schmidt erhielt in seiner Mitternachtspremiere auf dem Filmfestival von Venedig wenig bis gar keinen Zuspruch, wird Ende des Jahres aber zumindest in unseren Lichtspielhäusern zu sehen sein. Und dann ist da Dominik Graf, der sie alle in der Tüte raucht. Er dreht derzeit zum ersten Mal seit Jahren wieder fürs Kino, das – laut Verleih – romantische Drama Die geliebten Schwestern, in dem es ausgerechnet um die Beziehung der Schwestern Lengefeld zu Friedrich Schiller gehen soll. Kostümverpackte kulturelle Relevanz lässt sich das deutsche Kino einiges kosten, so lange es nur nicht allzu ausschweifend wird. Ein genuines Genrekino made in Germany haben wir vielleicht einfach nicht verdient.

Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News