Gravity und die Kunst der Plansequenz

02.10.2013 - 08:50 UhrVor 5 Jahren aktualisiert
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Plansequenzen kommen einer Idee von purem Kino oft deshalb so nahe, weil sie herkömmliche Gestaltungsmittel in die Unsichtbarkeit verdrängen. Im Weltraumdrama Gravity ist die Plansequenz jetzt gleichzusetzen mit absolutem filmischem Erleben.

Wenn das cinephile Empfinden versucht ist, alle Euphorie, alle lustvolle Begeisterung besonders leidenschaftlich herunter zu brechen, dann ist da bei einem Film nicht selten die Rede von purem Kino. Davon, dass ein Film filmischer als filmisch sei, offen und konkret, absolut rein. Vielleicht. Plansequenzen, also Sequenzen, die eine Einstellung geradezu feierlich ohne Schnitte ausdehnen, kommen einem solchen unmittelbaren Filmerleben nicht nur sehr nahe, sondern erbringen in gewisser Hinsicht auch dessen Nachweis: Ohne die wunderlichen Tricks der Montage, ohne die betörenden Schummeleien des Kinos, suggerieren Plansequenzen eine Klarheit, die zumindest alles Geschehen in nun gestreckten Abschnitten eindringlicher nachvollziehen lässt. Und während sich die Filmschaffenden und –Kenner an ihrer inszenatorischen Komplexität laben, ihre technischen Herausforderungen bestaunen, mag ein Publikum ohne geschulte Augen sie möglicherweise gar nicht als solche identifizieren. Auf Plansequenzen im Kino aber reagiert ein jeder Zuschauer, bewusst oder unbewusst, und sei es eben nur, weil ihre ganz eigene Ästhetik verschiedentlich Irritationen erzeugt.

Am gewöhnlichsten ist die Plansequenz immer dann, wenn sie dramaturgische Hilfestellung leistet, etwa die Exposition ersetzt oder gleich zu Beginn eines Films Handlungsräume und Figuren ganz direkt, also ohne Schnitte in Beziehung setzt. So ist die im Englischen mit Unterscheidungen zwischen Long Takes und Tracking Shots noch etwas differenzierter dargestellte Plansequenz besonders effektiv (oder auch effizient), wenn ihr unmittelbarer Charakter einer Art Führungstour durch den Film gleicht. Berühmt natürlich die Eröffnungssequenzen aus Im Zeichen des Bösen oder deren ironisierte Variante aus The Player, viel beachtet diejenigen in Breaking News oder Die werckmeisterschen Harmonien. Ob Einleitung, Präsentation oder emotionale Intensivierung, die Erschaffung einer langen, oft dynamischen Einstellung hat immer eine Funktion, ohne dabei zwangsläufig rein funktionalisiert sein zu müssen. Die berühmtesten One-Take-Sequenzen, sei es in Sonnenaufgang – Lied von zwei Menschen, in Ich bin Kuba oder Der Blick des Odysseus, sei es in zahlreichen Filmen von Jean-Luc Godard, Martin Scorsese oder Quentin Tarantino, sind immer auch Momente, in denen die Gestaltungsmittel des Kinos über ihre Zweckdienlichkeit hinauswachsen.

Ebendies kann ein Moment sein, in dem die Kunst des bewegten Bildes (und eben auch des ununterbrochenen Bildes), zum puren Kino, zum reinen Erleben führt. Der mexikanische Filmemacher Alfonso Cuarón hat das entsprechende Handwerk mit seiner virtuosen Dystopie Children of Men auf eine neue Ebene gebracht, als er gemeinsam mit Kameramann Emmanuel Lubezki einige der kompliziertesten Plansequenzen der Filmgeschichte entwarf. Unter größtmöglichem logistischen Aufwand inszenierte er unter anderem eine Autofahrt mit am Dach installierten 360°-Kamerasystem, das eine Sequenzverlängerung trotz Perspektivwechsel, unterschiedlichster Interaktionen und sogar ausgeklügelten Actionelementen erlaubte. Gleichzeitig demonstrierte der Film die neueren Möglichkeiten der Plansequenz, die unter Einsatz visueller Effekte (das beispielsweise in der Postproduktion hinzugefügte Motorrad) an Eindrücklichkeit gewinnt. Und die, ganz anders noch als im Long-Take-Film Cocktail für eine Leiche, nicht länger mit erkennbaren, sondern digitalen Mogelschnitten zu einer vermeintlich in einem Rutsch entstandenen Szene werden kann.

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