Ich, Das Cabinet des Dr. Caligari & der Urschleim

14.01.2014 - 08:50 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Werner Krauß (Dr. Caligari)
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Werner Krauß (Dr. Caligari)
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Er feiert schon seinen 94. Geburtstag. Filmischer Expressionismus wurde maßgeblich von ihm geprägt. Musikvideos und Filme bis hin zu Remakes inspiriert er bis heute: Das Cabinet des Dr. Caligari.

Oft waren sogenannte Klassiker ihrer Zeit voraus. Verschmäht und verachtet ernteten sie ihren Ruhm meist erst Jahrzehnte später – siehe Metropolis. Im Fall von Das Cabinet des Dr. Caligari sieht das etwas anders aus. Schon zu seiner Zeit gefeiert, gab er seinen Zuschauern den wohligen Schauer, nach dem es sie dürstete und den sie auch in den folgenden Jahren immer wieder hatten. Der düstere Klassiker wird im Rahmen der diesjährigen Berlinale komplett restauriert mit neuem Score aufgeführt (wir berichteten).

Zwei Männer unterhalten sich. Einer, Franzis, erzählt die grausame Geschichte des dämonischen Dr. Caligari und seinen traumwandlerischen Sklaven Cesare. Tagsüber als Jahrmarktsattraktion unterwegs, zwingt Caligari seinen Somnambulen bei Nacht, Menschen zu töten. Franzis beginnt, auf eigene Faust zu ermitteln und deckt die wahren Machenschaften des Doktors auf. Am Ende wartet der Film mit einem der ersten Plottwists seiner Art auf.

Warum ich Das Cabinet des Dr. Caligari mein Herz schenkte
Mit Das Cabinet des Dr. Caligari sah ich einen psychologischen Thriller ohne Happy End, mit einprägsamen Figuren und Kulissen, welche durchweg eine surreale düster-morbide Stimmung verbreiten. Auf Stummfilme muss sich der Zuschauer einlassen. Die Sehgewohnheiten sind heutzutage anders – offensichtlich. Aber spätestens, als ich das erste Close-Up von Werner Krauss als überzeichnet diabolischen Dr. Caligari gesehen habe, war es um mich geschehen. Dieser Mann schien die Mutter aller Schurken zu sein und wenn nicht das, dann zumindest der Stiefvater aller Mad Scientists. Und dort, wo Caligari diabolisch wirkt und die pure Verschlagenheit repräsentiert, ist Cesare (Conrad Veidt) der Inbegriff der Melancholie. Der Moment, wenn er zum ersten Mal die Augen öffnet – unter Befehl von Caligari – trägt gleichzeitig so viel Traurigkeit wie Spannung in sich. Wenn Werner Krauß zum Schluss des finalen Aktes – der Plottwist war noch nicht richtig verdaut – sich in Richtung der Kamera dreht und zwielichtig anmerkt, endlich zu wissen, wie er den Patienten heilen kann, bemerke ich, dass die zurückliegenden 71 Minuten wie die Quintessenz des fantastischen Films wirken.

Warum auch andere Das Cabinet des Dr. Caligari lieben werden
Wer sich für Das Cabinet des Dr. Caligari entscheidet, entscheidet sich ganz bewusst für einen Stummfilm. Aber entgegen der Eigenart des Stummfilms, für moderne Sehgewohnheiten etwas langatmig zu wirken, ist er erstaunlich kurzweilig. Der Schnitt ist überraschend zügig. Je nach Fassung ist die Musik auch ausschlaggebend. Es gibt diverse musikalische Interpretationen. Wer das Thema Stummfilm nicht erzkonservativ angeht, wird sich sicherlich von der Version von 1994 – herausgegeben von ZDF und Arte – angesprochen fühlen. Synthesizer, Saxophon und Gitarre schaffen es, ein i-Tüpfelchen auf die düstere Atmosphäre zu setzen. Fans von Shutter Island oder auch Das Kabinett des Doktor Parnassus werden sehen, wo die Wurzeln dieser Filme liegen, wie das erste Twistending der Filmgeschichte aussieht oder einfach nur wie geil – verzeiht mir die Formulierung – Kulissen auch ohne Greenscreen aussehen können. Ihr kommt an diesem Film einfach nicht vorbei. De facto machte Regisseur Robert Wiene hier nichts anderes als beispielsweise Robert Rodriguez in Sin City: Er erschafft sich die Kulisse, welche die Geschichte am besten unterstützt. Es musst nicht echt aussehen, nur gut.

Warum Das Cabinet des Dr. Caligari einzigartig ist
Die Frage nach dem Warum gestaltet sich schwer. Tatsächlich hat der Klassiker von Robert Wiene so viele Nachahmer gefunden, dass zahlreiche Aspekte – seien es das überraschende Ende, die abstrakte Kulisse, das exzessive Licht- und Schattenspiel oder auch einfach die Darstellung eines übermächtigen kriminellen Masterminds – eben nicht mehr einzigartig sind. Trotz der Tatsache, dass die Bestandteile von Dr. Caligari kein Alleinstellungsmerkmal mehr darstellen, ist und bleibt die Summe des Ganzen doch auch heute noch ein Unikum.

Warum Das Cabinet des Dr. Caligari die Jahrzehnte überdauert
Filmschaffende, Filmfreunde und Filminteressierte wollen immer wissen, welchen Ursprung das Medium Film hat und wie alle begann. Da wir dabei nicht an dem klassischen Stummfilm vorbei kommen, darf auch Das Cabinet des Caligari nie übergangen werden. Neuinterpretationen wie Das Kabinett des Dr. Caligari, aber auch das 1989 veröffentlichte Sequel im Geiste, Dr. Caligari, oder das 2005 unter Fans eher kritisch aufgenommene Remake The Cabinet of Dr. Caligari lassen immer den Ruf nach dem Original laut werden. Um zu wissen, wo die Zukunft des Kinos liegt, sollten wir eifrigen Filmfans hin und wieder auch dessen Vergangenheit kennenlernen.

Was haltet ihr von Das Cabinet des Dr. Caligari?

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