Netflix' Stranger Things und der oberflächliche Nostalgie-Appell

26.08.2016 - 08:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
The Get Down/Stranger ThingsNetflix
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Serien und Filme besuchen gerne die Vergangenheit oder siedeln gleich ihre ganze Geschichte darin an. Das birgt jedoch die Gefahr einer eintönigen Darstellung vergangener Dekaden. Wie handhaben das die neuen Netflix-Serien The Get Down und Stranger Things?

Jede Dekade hat weit über ihre eigentlich zugewiesenen zehn Jahre hinweg Bestand. Politische und ästhetische Entwicklungen gehen weiter, während Bücher, Musik, Serien, Filme und andere Medien auch Jahre später ihren Einfluss zeigen. Ein Phänomen, das sich daraus ergibt, ist die Nachbildung bestimmter Zeitepochen anhand einiger ihrer einschneidendsten Elemente. Sei es, weil es der Geschichte dient, wahre Geschichten nacherzählt werden, oder einfach, um die Nostalgie der Zuschauer zu bedienen. Gerade bei Letzterem besteht aber ein gewisses Risiko der Oberflächlichkeit, wenn Elemente nur ihres Wiedererkennungswertes wegen genommen werden und so nach und nach der Pool an Zeitmerkmalen immer kleiner wird, bis sich alles an der gleichen Auswahl bedient und so eine eigentlich vielseitige Zeit auf nur wenige Punkte reduziert wird.

Der Streaming-Dienst Netflix hat in den letzten Monaten gleich drei Eigenproduktionen veröffentlicht, die auf ihre Art direkt an bestimmten Jahrzehnten hängen und sie nachstellen, mit schwankenden Erfolgen:

Stranger Things

Was macht das Poster da?
Stranger Things, einem Amalgam aus zahlreichen Einflüssen der 80er, wird aufgrund seiner Machart gerne fehlende Originalität vorgeworfen. Darum soll es hier nicht gehen. Seine Einflüsse im eigenen Film oder der eigenen Serie zu zitieren, ist nicht viel jünger als das Medium selbst, und der größte Unterschied zwischen einer Serie wie Stranger Things und beispielsweise Star Wars oder Quentin Tarantinos Werken ist, dass die Inspirationen letzterer einfach weniger bekannt sind. Wichtig ist, was damit gemacht wird, und Stranger Things hebt sich mit seinen Alleinstellungsmerkmalen immer noch von seinen Vorlagen ab.

Was ich Stranger Things dagegen vorwerfen kann, ist die häufig sehr oberflächliche Darstellung seiner Zeit. Dass Spielberg-Filme, Star Wars oder Dungeons & Dragons nicht nur nachgestellt, sondern von Charakteren direkt angesprochen werden, ist völlig verständlich. Die 80er wurden davon dominiert, das zugehörige Merchandise im Zimmer junger Heranwachsender zu sehen, versteht sich von selbst. Trotzdem handelt es sich um die kleinsten gemeinsamen Nenner, den selbst Zuschauer, die die Zeit nicht selbst miterlebt haben, ohne Weiteres erkennen. Gräbt man etwas tiefer, gibt es noch so viel aus der Zeit zu sehen, das mittlerweile einfach vergessen wurde. Lieder, Filme und Ereignisse, die damals im Alltagsleben eine Rolle gespielt haben und dem kollektiven Gedächtnis in der Zwischenzeit entglitten sind.

Stattdessen macht Stranger Things das genaue Gegenteil und stellt manche Dinge sogar als prominenter dar, als sie damals waren. Und nichts macht dies ersichtlicher als ein unscheinbares Poster von John Carpenters The Thing. Der Film wurde im gleichen Monat wie E.T. veröffentlicht und ging vollkommen unter. Die Einnahmen näherten sich nur mühsam dem Produktionsbudget, und die verdiente Wertschätzung würde erst Jahre später folgen. Ein Poster des Films im Keller eines Zehnjährigen ohne besonderes Interesse für Horrorfilme ist eines von mehreren Anzeichen, dass die Gestaltung der Serie aus heutiger Perspektive erfolgte, statt sie getreu nachzustellen oder sich wenigstens in ihrer Darstellung an Filmen der frühen 80er zu orientieren. Vielleicht ist das beabsichtigt, aber als Teil eines größeren Trends wird so die Zeit auf Dauer unnötig verzerrt. Stranger Things ist eine tolle Serie, doch mehr Mut zum Obskuren außerhalb fester Komfortzonen wäre in einer eventuellen 2. Staffel wünschenswert.

The Get Down

Kenn ich nicht, kenn ich nicht, kenn ich nicht, gut so ...
The Get Down hat gegenüber Stranger Things den erheblichen Vorteil, dass seine Thematik, der Anfang des Hip-Hop, lange nicht so gut im Allgemeinbewusstsein erhalten ist. Wo die meisten zu einem gewissen Grad mit der spielbergschen Kleinstadt-Atmosphäre der Mitt-80er vertraut sind, gilt dasselbe bei Weitem nicht für die Bronx und ihre Bewohner nur fünf Jahre vorher. Trotzdem verlässt sich The Get Down auf viele noch bekannte Elemente aus der Ära und benutzt diese, um Zuschauer an weniger bekannte Aspekte heranzuführen. Die Musik-Genres Pop und Disco sind weitaus verträglicher für den Durchschnittszuschauer als der besonders damals noch spartanisch gestaltete Hip-Hop. Da dieser aber aus Samples der kommerzielleren Musikrichtungen entstand, bieten sie einen guten Ausgangspunkt und eventuellen Übergang. Der Bezug unterscheidet sich stark von Person zu Person, aber Lieder wie Turn the Beat Around von Vicki Sue Robinson oder Papa Was a Rollin' Stone von The Temptations haben durchaus einen anderen Stellenwert als zum Beispiel Let's Dance von Pleasure.

Wie in Stranger Things stellt auch Krieg der Sterne ein wichtiges Interesse der Jungs dar, schließlich hatte er zu dem Zeitpunkt schon ein ganzes Jahr, um die Filmlandschaft völlig umzukrempeln. Aber sein Einfluss ist direkter durch ihre Arbeitsphilosophie zu spüren, während die Faszination für Kampfsport aus der Zeit - wie auch zu gewissen Teilen in Star Wars selbst zu sehen - einen Grundstein für die stark asiatisch geprägte Identität der Hip-Hop-Szene legte. Das zeigt sich auch im Set-Design mit Postern zu obskuren Kung Fu-Filmen und Judomaster-Comics .

Bojack Horseman

Generic 90s Grunge-Song, something from Seattle ...
Natürlich ist Bojack Horseman als Comedy-Serie ein ganz anderes Steckenpferd als beispielsweise Stranger Things, trotzdem wirkt es mit seiner Offensichtlichkeit ehrlicher und wie eine versehentliche Präventiv-Parodie auf Stranger Things' Art der Kinderzimmergestaltung. Wir kriegen BoJacks sehr eigentümliche Art der zeitgenössischen Periodendarstellung nur in einigen Folgen und Flashbacks zu sehen, die für gewöhnlich ein paar Minuten dauern. Schon in der 1. Staffel wurden für die 80er und 90er zahlreiche Hintergrund-Gags (eine Spezialität der Serie) zu einer Mischung aus jedem Song der Zeit abgefeuert, und dieses Jahr wurde mit der 3. Staffel das gleiche für 2007 angestellt, was zu Reaktionen führte wie "Das sind also Uggs", "HD-DVDs sind eine Sache, die passiert ist" und "Wer zur Hölle ist John Edwards?".


Serien oder Filme in der Vergangenheit spielen zu lassen, lässt den Machern viele gestalterische Möglichkeiten, aber es werden Chancen verschenkt, wenn nur die ohnehin schon bekannten Merkmale neu aufgewärmt werden. Natürlich sind sie für den Wiedererkennungswert wichtig, aber damit verbunden kann den Zuschauern nicht nur etwas Neues beigebracht werden, denn die Welt erscheint dadurch auch glaubwürdiger, und das Verständnis ganzer Dekaden kann erweitert werden, statt es immer weiter schrumpfen zu lassen.

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