Warum ihr Channing Tatum endlich ernst nehmen müsst

03.08.2014 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Channing Tatum feat. Photoshop
Sony
Channing Tatum feat. Photoshop
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Seit letzter Woche läuft 22 Jump Street mit Channing Tatum in den deutschen Kinos. Nach White House Down kann der Darsteller damit wieder einen Hit vorweisen. Aber hinter Tatums Erfolg steckt eine clevere Strategie.

Es gibt verschiedene Wege, der Welt zu verkünden, man sei der nächste große Actionstar. In den ersten fünf Minuten eines Films von Gina Carano in Grund und Boden geprügelt zu werden, steht wahrscheinlich nicht in der Anleitung. Channing Tatum hat in seiner Filmografie Muße für solche Auftritte, weil alles darauf hindeutet, dass seine Ziele höher gesteckt sind. Franchise-Berühmtheit genügt nicht. Der Popularität bei einer Zielgruppe müssen andere hinzugefügt werden. Wurde ein Genre bezwungen, werden die Fühler zum nächsten ausgestreckt. Channing Tatum will kein Actionstar sein, sondern Star.

Charming Potato
Das deutsche Verleihsommerloch macht’s nun möglich, dass 22 Jump Street die gelenkigen Herrschaften aus dem fünften Step Up-Film nachjagen, letzteres die Franchise-Wurzel von Channing Tatums Erfolg, das andere ungeahnte Image- und Perspektiverweiterung. Als 21 Jump Street im Frühjahr 2012 in die Kinos kam, hatte Channing Tatum schon eine bedeutende Zuschauergruppe für sich bekehrt: Frauen. Oder zumindest eine Auswahl von ihnen mit einem Faible für romantische Tanzduelle und Nicholas Sparks-Tränenzieher. Step Up, Das Leuchten der Stille und Für immer Liebe hatten weltweit jeweils über 100 Millionen Dollar eingespielt. Kleine bis mittelgroße Produktionen, neben denen das Kostenungetüm G.I. Joe – Geheimauftrag Cobra aus dem Rahmen fiel. Sie etablierten das Ex-Model auf der Kinolandkarte und das insbesondere unter Konsumenten, deren Ansprüche von Hollywood traditionell vernachlässigt werden. Am Startwochenende des Serien-Reboots saßen schließlich für eine Actionkomödie ordentliche 47 Prozent Frauen in den Sälen, beim Sequel sogar 50 Prozent, zehn Prozent mehr als der nahezu Tatum-freie Das ist das Ende anlockte.

Obwohl sein schauspielerisches Talent in Independent-Filmen wie Stop-Loss und Kids – In den Straßen von New York erahnbar ist, überraschte wohl keine Tatum-Darbietung Kritiker und Zuschauer so sehr wie sein Schwenk in die Komödie an der Seite von Jonah Hill. Zu hölzern gerieten seine Figuren in vorangegangenen Action-Vehikeln, als dass ihm Timing, Körperbeherrschung und Selbstironie zugetraut wurden. Ein bisschen flach geht die Betonung auch hier manchmal von der Zunge, im Großen und Ganzen aber macht es sich Tatum außerordentlich gemütlich in dem Genre. Kein leichtes Unterfangen, wie jeder bezeugen kann, der die Saturday Night Live-Auftritte von Daniel Craig und Jeremy Renner durchlebt hat. Mit der Aura eines Jungen, der für jeden Jux zu haben ist, springt Tatum in den schulischen Drogenrausch und runter vom Adonissockel, den ihn diverse Zuschauer mit wohlformulierten Kommentaren im World Wide Web noch heute vorwerfen. Der manche Beobachter an eine Kartoffel erinnernde “Schönling” verwandelt sich in 21 Jump Street vor unseren Augen in den Filmabendkumpel, der sich mit einem Six-Pack Bier sofort bei allen beliebt macht.

Das Prinzip Chan
R-Rated-Komödien und ein paar Liebesfilme – das ist längst kein Alleinstellungsmerkmal unter den aufstrebenden männlichen Darstellern, die Johnny Depp, Will Smith und Tom Cruise beerben wollen oder müssen. Ein Zac Efron hat sich den tatumschen Karriereverlauf mit The Lucky One – Für immer der Deine und Neighbors wahrhaft zu Herzen genommen. In seinen drei Filmen mit Steven Soderbergh jedoch erweiterte Ex-Stripper Tatum sein dramatisches Potential. Dabei sind seine Rollen, trotz seines Einflusses beispielsweise auf die Entstehung von Magic Mike, angenehm maßvoll in ihrer Anlage. Sie rücken in den Hintergrund, wenn ein Matthew McConaughey auf der Bühne erscheint, eine Gina Carano austeilt oder Rooney Mara mit der Depression kämpft, ohne im gleichen Zug fade zu wirken. Noch scheint sich niemand von Tatums Mitarbeitern um die aufmerksamkeitsheischenden Schicksale und emotionalen Reden zu bemühen, die andere Kollegen bei ihrem Sprung ins Charakterfach mit Hoffnung auf Prestige anvisieren.

Wenn sich nämlich ein herausragendes Merkmal in Channing Tatums Filmografie ausmachen lässt, dann ist es eine Experimentierfreudigkeit mit einer recht klaren Vorstellung der eigenen Fähigkeiten. Diese wachsen – und wie viel Freude bereitet es, einem Schauspieler beim Wachsen zuzusehen! – von Projekt zu Projekt. Wirkt die Actionstar-Coolness im ersten G.I. Joe noch wie vom Drehbuch herbei befohlen, trägt er das dreckige Unterhemd in White House Down mit lässiger Selbstverständlichkeit. Der beste Stirb Langsam-Film des vergangenen Jahres floppte leider hart, was Marketing, Konkurrenz und einem schneller produzierten Ripoff zuzuschreiben ist. Und vielleicht auch einem seiner Zugpferde, hat Tatum kurioserweise bisher keinen Hunderte Millionen teuren Blockbuster astrein in die schwarzen Zahlen getragen. Der Star, von dem Studio-Verantwortliche wie Amy Pascal (Sony) schwärmen, hat seine Stärke vor allem darin bewiesen, Filmen mit kleinen bis mittleren Budgets zu enormen Gewinnen zu verhelfen. Auf 7 Millionen Dollar Budget kommen bei Magic Mike 167 Millionen an Einnahmen weltweit.

Helden ohne Strumpfhosen
So geraten im Darsteller und blockbuster asset Channing Tatum zwei Vorstellungen von Hollywood-Startum in Widerspruch. Auf der einen Seite der vielseitige Genre-Hopper, der ein flexibles Image mit Wiedererkennungswert aufbaut, ob als zu alter College-Student in 22 Jump Street oder Ringer im Oscarhoffnungsträger Foxcatcher. Ein geradezu klassischer Star also, der tanzen, witzeln und weinen kann. Auf der anderen Seite das Blockbuster-Gesicht ohne verlässliches Franchise, ein Star, der wie Tom Cruise, Johnny Depp und Will Smith Tentpoles zu tragen hat in einer Zeit, in der selbst Tom Cruise, Johnny Depp und Will Smith unter deren Last in die Knie gehen; in der nämlich weniger Gesichter Tickets verkaufen, denn Marken wie Marvel oder DC. Mit X-Men-Mitglied Gambit hat Channing Tatum demnach das letzte fehlende Rädchen im Getriebe seines Karriereplans ins Auge gefasst. Ein Misserfolg wie White House Down will verarbeitet werden.

Selbst wenn der besonders wegen seines blondierten Äußeren risikoreiche, weil die Kernzielgruppe vielleicht abturnende, Jupiter Ascending ein ähnliches Schicksal erfährt, ist Tatum gekommen, um zu bleiben. Star zu sein, das kann im Blockbusterzeitalter auch bedeuten, sich vor Green Screens rar zu machen, wie George “Der letzte Filmstar” Clooney. Der spielte im Jahr des enttäuschenden Der Sturm auch in einem kleinen Film von Joel und Ethan Coen, O Brother, Where Art Thou? – Eine Mississippi-Odyssee. Im Nachhinein war die verspielte Südstaatenodyssee einer der wichtigsten Auftritte seiner Karriere. Mit den Coens dreht er bald wieder. Hail, Caesar! heißt die Komödie. Ebenfalls dafür eingeplant: Channing Tatum.

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