Warum wir ein neues Genre brauchen

20.02.2015 - 18:00 Uhr
The Order 1886
Sony Computer Entertainment
The Order 1886
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Der Release von The Order: 1886 sorgte für Aufruhr: Kaum Gameplay, Spielzeit oder Innovation? Spieler und Kritiker überschlugen sich vor Entrüstung und Enttäuschung. Diese Diskussion wäre abwendbar gewesen — mit einem neuen, längst überfälligen Genre-Begriff.

Als am Nachmittag des 19. Februar weltweit das Embargo für The Order: 1886  offiziell endete, öffnete sich zeitgleich laut kreischend die Büchse der Pandora und würgte eine unschöne Diskussion auf die sozialen Netzwerke. Überall wurden die Schlagwörter der überwiegend kritischen Reviews zitiert: Kaum Gameplay, undurchlässige Schlauchlevel, mangelnde Innovation, zu wenig Spiel und zu viel Film. Immerhin, die Story und Präsentation sei solide, laut einiger Kritiker sogar hervorragend und atmosphärisch — aber was nützen schon erzählerische Vorzüge, wenn dieses Spiel eigentlich gar kein Spiel ist?

Ich glaube, dass sich die Diskussion über The Order, welche sich recht schnell in zermürbende Debatten über Kunst, Kommerzspiele und Preis-Leistungs-Verhältnisse aufspaltete, auf eine einzige Ursache zurückzuführen ist: Die Erwartungshaltung der Kritiker und Spieler, die in den meisten Fällen enttäuscht wurde. Die einen wurden von der kurzen und mittlerweile unterdurchschnittlichen Gesamtspielzeit überrascht, während andere frustriert versuchten, dem Diktat der Schlauchlevel zu entkommen.

Die Kritiken an The Order zeigen: Wir brauchen einen neuen Genre-Begrif

Diese Diskussion wäre meiner Meinung nach vermeidbar gewesen — und zwar durch das Schaffen klarer Tatsachen, vor allem auf Seiten der Entwickler. Doch wie hätte eine solche transparente Präsentation ausgesehen?

Wir arbeiten seit 2006 an einem Story-Shooter, der unfassbar gut aussehen wird. Doch The Order: 1886 wird noch mehr als nur eine hübsche Grafik bieten können: In unter sieben Stunden werdet ihr durch hochdetaillierte Einbahnstraßen geführt werden, die durch regelmäßige Schießereien, Quicktime-Events und Zwischensequenzen abgelöst werden. Wir werden weder revolutionäres Gameplay noch eine provokante, versteckte Satire anbieten, sondern uns auf eine atmosphärische Präsentation und ein echtes Kinoerlebnis konzentrieren.

Merkt ihr, wie sich eure Stirn in Falten gelegt hat? Jede Spur von gesundem Pre-Release-Hype sollte beim Lesen dieser Worte verflogen sein: Wir ignorieren beim Lesen tolle Dinge wie "hochdetailliert" und "atmosphärische Präsentation", da der negative Kontext für unseren Geschmack überwiegt: Kinoerlebnis, Einbahnstraßen und sogar Quicktime-Events sind Vokabeln, die unser nach Glücksgefühlen gierendes Unterbewusstsein nicht hören möchte.

Hier kommt nun der Genre-Begriff ins Spiel: Auch wenn die thematischen oder spielerischen Zuordnungen wie Survival-Horror oder Action-Adventure oftmals Entwickler und ihre Möglichkeiten künstlich einschränken zu scheinen, ist dieser spezielle Fall ein dankbares Beispiel für die Vorteile dieses Schubladendenkens. Spiele wie The Order: 1886  oder auch Ryse: Son of Rome  gehören einem neuen Genre an, das die fast schon stigmatisierte, cineastische Inszenierung eines Spiels zu ihrem Kernfeature machen und komprimiert auf eine relativ kurze Spielzeit ein atmosphärisch dichtes Netz aus Geschichten und Charakteren bieten wollen (ob das im Einzelfall dann immer klappt, ist natürlich eine andere Geschichte).

Reduziertes Gameplay, eine klassische Story: Auch Ryse gehört zu dem Genre der Cinegames

Diese Cinegames benötigen im aktuellen Review-Klima ihre Legitimierung durch einen passenden Genre-Begriff, um in der anhaltenden Trendphase der Open World- und Crafting-Spiele nicht durch das Raster der allgemeinen Wertungskategorien fallen zu müssen. Denn nur weil diese Spiele einen völlig anderen Schwerpunkt legen, spricht ihnen diese Ausrichtung nicht die Daseinsberechtigung ab, im Gegenteil: Auch für Cinegames existiert ein großer Markt, der aus unterschiedlichen Gründen diese komprimierte Form der Unterhaltung schätzt — und auch bereit ist, den vollen Verkaufspreis für ein solches Spielerlebnis zu zahlen. Wer hingegen nichts für die Charakteristika dieser Art Spiele übrig hat, kann sich vom Genre selbst fernhalten — und verhindert damit indirekt zugunsten der Entwickler und ihrer Community eine aufgeblähte Diskussion über Sinn und Unsinn ihrer Arbeit.

Ich erinnere mich noch heute, wie groß der Aufschrei vor allem auf Seiten der Spieler war, als The Walking Dead : Episode 1 - A New Day  unter der Federführung von Telltale Games erschien und zahlreiche Kritiker zwar von der Geschichte und ihren Protagonisten begeistert war, aber immer wieder dicke Minuspunkte wegen der mangelnden spielerischen Freiheit verteilten. Mittlerweile gehört die Serie zu den absoluten Höhepunkten der jüngsten Geschichte unseres Hobbies und die sogenannte Telltale-Formel entwickelte sich zum feststehenden Begriff im Vokabular der Spielepresse. Etwas ähnliches erwarte ich auch von den Cinegames, die sich in spielerischer Hinsicht noch reduzierter präsentieren, ihren Platz im Gesamtinventar unseres Hobbys allerdings mehr als verdient haben.

Disclaimer: QWER ist eine Kolumne der gamespiloten. Die hier getroffenen Aussagen spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der gesamten Redaktion wider, sondern beziehen sich auf den jeweiligen Autor selbst. Erst lesen, dann kommentieren.

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