Wie Spider-Man und Matrix: Sogar der Berlinale-Eröffnungsfilm setzt auf den aktuell größten Hollywood-Trend

10.02.2022 - 20:40 UhrVor 2 Jahren aktualisiert
Peter von Kant ist der Eröffnungsfilm der Berlinale
C. Bethuel / FOZ / Warner Bros.
Peter von Kant ist der Eröffnungsfilm der Berlinale
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Hollywood-Blockbuster sind besessen von sich selbst, wie Spider-Man: No Way Home und Matrix 4 zeigen. Aber die Meta-Obsession hat auch den Berlinale-Eröffnungsfilm Peter von Kant fest im Griff.

Ein Gespenst geht um in Hollywood und vielleicht sieht es ein bisschen so aus wie Deadpool. Filme wie Spider-Man: No Way Home, Matrix Resurrections, Space Jam: A New Legacy und (natürlich) Scream sind derart mit sich selbst und ihren Vorgängern beschäftigt, wie es sonst nur Ryan Reynolds' Merc with a Mouth zelebriert. Doch was unterscheidet diese Meta-Blockbuster von anderen Sequels und was haben sie mit dem Auftaktfilm der Berlinale zu tun?

Warum sind Matrix 4 und Spider-Man so von sich selbst besessen?

Eigentlich sind Meta-Filme ein alter Hut, der seit Jahrzehnten Filmgeschichte munter den Besitzer wechselt. Schon das Musical Singin' in the Rain aus den 50ern spielte etwa mit dem Übergang vom Stumm- zum Tonfilm und dem Hollywood-Trubel drumherum.

Schaut euch den Trailer für Matrix 4 an:

Matrix Resurrections - Trailer 2 (Deutsch) HD
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Das Besondere an den jüngeren Blockbustern ist eher ihr offensiver Umgang mit der eigenen Franchise-Geschichte. Spider-Man: No Way Home verleibt sich 20 Jahre Marvel-Mythologie aus Kino und Fernsehen ein, indem mehrere Darsteller aus anderen Universen herbeigepfiffen werden. Das geschieht mit dem Habitus eines Zauberers, der nach seinem neusten Trick auf Applaus wartet (und den gab es in meinem Kino).

Während Spider-Man als Film über seinen verworrenen Franchise-Stammbaum nachdenkt und ihn neu ordnet, sehen wir in Matrix Resurrections in erster Linie einer Person beim Denken zu: Lana Wachowski. Der Verweis auf die Sequel-süchtigen Anzugträger des realen Studios Warner Bros. ist allseits bekannt. Die Meta-Natur von Matrix 4 greift allerdings in die Tiefen des Films hinein. Er ist gleichzeitig Neuverfilmung und Fortschreibung von Teil 1.

Dieser Widerspruch verweist letztlich auf Wachowskis eigene Ambivalenz. Sie muss ausgetretenes Terrain beackern, um sich Arbeitsgelegenheiten in Hollywood zu sichern. Matrix 4 ist, vereinfacht gesagt, also ein Film übers Matrix-Filmemachen. Und hier kommt der deutsche Regisseur Rainer Werner Fassbinder ins Spiel (der mit Welt am Draht immerhin sein eigenes Matrix gedreht hat, aber das nur am Rande).

Der Berlinale-Eröffnungsfilm Peter von Kant hat erstaunlich viel mit Matrix 4 gemeinsam

In Peter von Kant fliegen zwar weder Keanu Reeves noch Carrie-Anne Moss durch die Gegend. Aber der direkte Vergleich offenbart unerwartete Gemeinsamkeiten mit dem Science-Fiction-Sequel. Was nämlich in Resurrections sofort irritiert, ist der flapsige Tonfall. Matrix 4 fehlte nicht nur die düstere Schwere des Originals, er setzte auch gezielt Figuren ein, die dessen ikonische Elemente belächelten. Das hatte einen distanzierenden Effekt, der erst im berührenden Finale überwunden wird. So, als müsse Wachowski selbst erstmal 20 Jahre hinter sich bringen auf der Suche nach dem Matrix-Kern.

Peter von Kant

Der neue Film von François Ozon (8 Frauen) steht nun ebenso im Schatten eines Giganten: Rainer Werner Fassbinder, genauer gesagt dessen 1972 erschienenes Melodram Die bitteren Tränen der Petra von Kant. Ozon adaptiert im Eröffnungsfilm der Berlinale Fassbinders gleichnamiges Theaterstück, allerdings mit einem Kniff: Er baut einen Genderswitch ein. Modedesignerin Petra heißt jetzt Peter, ist Filmregisseur, sieht verdächtig wie Rainer Werner Fassbinder aus und wird gespielt von Inglourious Basterds-Star Denis Menochet. Und dieser Film beginnt wie eine Parodie des Fassbinder'schen Grauens.

Die Story ist in beiden Filmen denkbar simpel: Die Künstler-Figur verliebt sich in ein jüngeres Objekt der Begierde, wird fallen gelassen und verzweifelt daran. Beobachtet wird das Geschehen von einer wortlosen Diener-Figur. In Fassbinders Drama gerät das zum dunklen Psychotrip auf engstem Raum, virtuos eingefangen von Kameramann Michael Ballhaus (Goodfellas). Das ständige Tippen der Dienerin Marlene entwickelt sich zum alptraumhaften Soundtrack, der zusammen mit den Wänden und viel zu fluffigen Teppichen auf die Heldin niedersinkt. Es ist ihr selbst geschaffenes Gefängnis.

Bei Ozon scheint die Sonne. Bei Ozon sehen wir idyllische Ansichten des Viertels. Bei Ozon wird gelacht. Er tritt also in dieser Hommage an einen verehrten Regie-Gott die Flucht nach vorn an. Imitation liegt ihm fern und dennoch zwingt sich der Vergleich ständig auf. Ist es nicht zu sonnig? Zu weitläufig? Zu bunt? (noch so eine Parallele zu Matrix 4)

Peter von Kant, Matrix 4 und der neue Spider-Man sehnen sich nach dem Original

Sein Peter verliebt sich in den jungen Amir (Khalil Gharbia), der ihn ausnutzt und verlässt, bevor Peters Mutter tröstend einschreitet. Diese Mutti wird von Hanna Schygulla gespielt, die in Fassbinders Original Petra den Kopf verdrehte. Damit steht die vergangene Zeit personifiziert im Raum. Wenn Menochet an Liebe und Egoismus verzweifelt, hat das stets etwas, nun ja, Gespieltes. Ozon verfilmt Fassbinder als Fassbinder-Theater, allerdings fehlt ihm dessen verführerische Mischung aus Härte und Sentimentalität. Kollege Oskar Roehler fing sie in seinem Fassbinder-Film Enfant Terrible viel zermürbender ein.

Erst als Hanna Schygulla auftaucht, findet Ozon eine wahrhaftige Zärtlichkeit, die ans Mark geht. Auch das ist so eine Gemeinsamkeit des jüngeren Meta-Kinos. Alle paar Jahre wird uns ein Reboot mit neuen Darstellern vorgesetzt, die das Vergangene für kurze Zeit verdecken. Wenn jedoch Tobey Maguire als Spider-Man im Familienvater-Alter durch ein Portal tritt oder ein sichtlich gealterter Keanu seiner großen Filmliebe entgegenblickt, dann offenbaren diese Meta-Filme etwas, das bisherige Franchise-Filme nicht eingestehen wollten: Sie können das Original nicht ersetzen und wissen das auch.

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