1902 - Auf den Mond geschossen

17.10.2011 - 08:50 UhrVor 12 Jahren aktualisiert
Markante Momente: Die Reise zum Mond aus dem Jahre 1902
Gaston Méliès Films
Markante Momente: Die Reise zum Mond aus dem Jahre 1902
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Im Jahre 1902 steckt der Film noch in ganz kleinen Kinderschuhen. Mit Die Reise zum Mond entsteht aber ein Kurzfilm, der in seinem Stil prägend für Generationen von Filmemachern wird. Markante Momente hält Rückschau.

Über den exakten Beginn der Filmgeschichte herrscht in Fachkreisen ein reger Diskurs. Während die Einen bei rudimentären Höhlenmalereien ansetzen, sehen die Anderen einen engen Zusammenhang mit der Fotografie. Begriffe wie “fotografisches Gewehr” fallen da, Camera Obscura oder Laterna Magica. Die Allgemeinheit verortet die filmhistorischen Anfänge aber kurz vor der Jahrhundertwende bei den Kurzfilmen der Gebrüder Lumière. Auguste und Louis Lumière entwickelten gemeinsam den Kinematographen und führten ihre Aufnahmen, darunter die bekannten Arbeiter verlassen die Lumière-Werke und Die Ankunft eines Zuges auf dem Bahnhof in La Ciotat 1895 erstmals einem Publikum in Paris vor. Während Letzterem sprangen, der Legende zufolge, die Zuschauer erschrocken von ihren Sitzen auf, in der Annahme, der abgefilmte Zug fahre direkt auf sie zu.

Für noch viel ungläubigeres Erstaunen sorgte allerdings nur wenige Jahre später ein Kurzfilm, der sich von den naturalistischen Aufnahmen der Lumière-Brüder ganz deutlich unterschied. 1902 drehte der Franzose Georges Méliès den Kurzfilm Die Reise zum Mond, der ein ganzes Genre neu begründen sollte.

Bis zum Mond und Zurück
Leicht verdauliche 16 Minuten dauert das Werk, in dem immerhin eine komplett bemannte Mondfahrt, inklusive Planung und Vorbereitung, Kontakt mit Außerirdischen, eine Schlacht und die Rückkehr zur Erde stattfinden. Ein gewisser George Lucas sollte für eine ganz ähnliche Thematik später eine dreiteilige Saga beanspruchen. Umso erstaunlicher erscheint Die Reise zum Mond in Anbetracht der Tatsache, dass es sich dabei im Grunde um ein Ein-Mann-Projekt handelte. Der Illusionist und Theaterbesitzer Georges Méliès fungierte nämlich gleichzeitig als Regisseur, Produzent, Drehbuchautor, Hauptdarsteller, entwarf die Szenenbilder und Kostüme.

Vielleicht half ihm dabei aber auch seine Profession in den Zauberkünsten, die er ausschöpfte, um die, für damalige Verhältnisse, sehr eindrucksvollen Spezialeffekte zu kreieren. Ob versteckte Falltüren oder pyrotechnische Effekte, Doppelbelichtungen, Split-Screen oder Stop-Motion-Technik – was klingt wie ein neuer Spielplatz für Tim Burton, wurde von einem unbescholtenen Filmemacher um die Jahrhundertwende spontan aus der Taufe gehoben.

Bis zur Unendlichkeit und noch viel weiter
Die Reise zum Mond ist frühe Science-Fiction, so viel steht fest. Und noch etwas steht fest: dass die Bedeutung des Kurzfilmes weit über seine Genregrenzen hinausreicht. Der Regisseur und die Lumière-Brüder sind die frühen Antipoden des Films, deren Vermächtnis als Méliès- beziehungsweise Lumière-Schule in die Annalen der Filmgeschichte einging. Während Ersterer, seiner formgebenden Tendenz folgend, mit allem technisch möglichen Aufwand Illusionen zu erzeugen versuchte und somit auf den Spielfilm und das spätere Effektekino verwies, deuteten die realistischen Lumières mit ihren schlichten Aufnahmen auf den späteren Dokumentarfilm hin.

Den „Alchimisten des Lichtes“ nannte ihn Charlie Chaplin. Georges Méliès war nach seinem Erfolg mit Die Reise zum Mond langsam immer mehr in Vergessenheit geraten, da er sein gesamtes Vermögen verloren hatte und daraus resultierend der Welt des Films den Rücken kehrte, um einen Spielzeugladen in einer Pariser Metrostation zu betreiben. Erst Anfang der Dreißiger Jahre war der Regisseur plötzlich wieder in aller Munde, Feuilleton und Wissenschaft arbeiteten sich gleichermaßen an ihm ab.

I’m just a Dreamer
Heute ist die Filmgeschichte den Kinderschuhen entwachsen. Das vergleichsweise junge Medium hat die Pubertät seit einer Weile hinter sich gelassen und blickt auf immerhin schon einige Jahrzehnte der bewegten Bilder zurück. Auch in diesen Tagen werden noch immer Linien gezogen, Linien, die von dem kleinen französischen Illusionisten mit seinem verspielten Kurzfilm bis hin zu den ganz großen Blockbustern der Moderne reichen, zum Kino der Attraktionen.

Doch bei allem gebotenen Respekt: Ich persönlich hege gleichermaßen ein reges Interesse an etwas, das über das filmische Schaffen des Pioniers hinausgeht. Einen Spielzeugladen von Georges Méliès stelle ich mir in etwa so vor wie Mr. Magoriums Wunderladen, diesen fantastischen Ort. Und manchmal wünsche ich mir, Georges Méliès drehte noch heute seine Filme. Er war schon im Jahre 1902 dazu in der Lage, seine Träume, seine blühende Fantasie so liebevoll und detailreich umzusetzen. Wozu wäre er wohl heute fähig?

Was die Menschheit sonst noch im (Film)Jahr 1902 bewegte:

Sechs Filmleute, die geboren sind
07. März 1902 – Heinz Rühmann, der Hans Pfeiffer aus Die Feuerzangenbowle
06. Mai 1902 – Max Ophüls, Regisseur von Lola Montez
10. Mai 1902 – David O. Selznick, Produzent von King Kong und die weiße Frau
10. August 1902 – Curt Siodmak, Drehbuchautor und Co-Regisseur von Menschen am Sonntag
22. August 1902 – Leni Riefenstahl, Regisseurin von Propagandafilmen wie Triumph des Willens
18.Oktober 1902 – Miriam Hopkins, Ivy Pearson aus Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Gestorben
16. Mai 1902 – Etienne-Jules Marey, Simultanfotograf und Erfinder des ‘fotografischen Gewehrs’ und des ‘Chronophotographen’

Drei Ereignisse der Filmwelt
23. Juni 1902 – Jules Greenbaum gründet die Deutsche Bioscope GmbH und beginnt Filme zu produzieren
Im Wiener Prater wird der Münstedt Kino Palast errichtet, das erste Gebäude zum alleinigen Zwecke des Kinobetriebs
Erstmaliger Gebrauch der Dreiflügelblende, die eine flimmerfreie Projektion ermöglicht

Drei wichtige Ereignisse der Nicht-Filmwelt
08. Mai 1902 – 30.000 Menschen sterben bei einem Vulkanausbruch auf Martinique
20. Mai 1902 – Kuba erlangt die Unabhängigkeit von den USA
Ernest Rutherford und Frederick Soddy entwickeln die Theorie vom Atomzerfall unter Aussendung von Alpha- und Beta-Strahlen

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