1947 - In Jenen Tagen erzählten Autos vom Krieg

19.08.2013 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
In jenen Tagen
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In jenen Tagen
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In In Jenen Tagen von Helmut Käutner erzählt nicht etwa ein Mensch, ein Tier, ein Buch oder ein namenloses Etwas die Geschichte, sondern ein Auto. Eines, das wahrlich viel erlebt hat.

Heute leben wir in einer Zeit, in der der Besitz eines Autos zumindest in den Großstädten immer mehr zum Klotz am Bein wird, denn zu des Deutschen liebstem Statussymbol. Noch vor nicht einmal zwei Jahrzehnten sah das ganz anders aus, und noch umwerfender war der Besitz eines Autos wohl in Zeiten, in denen sogar der Besitz des eigenen Lebens im Grunde schon eine Besonderheit war. Es heißt, ein altes Buch könne wohl viele interessante Geschichten über die Hände erzählen, durch die es im Laufe der Jahre gegangen ist. In In jenen Tagen wandte Helmut Käutner dieses Prinzip einfach auf ein Auto an.

Menschen in Unmenschlichen Zeiten
Das Auto, das in In jenen Tagen 1946 auf einem Schrottplatz steht und von zwei Männern ausgeschlachtet wird, hat tatsächlich eine ganze Menge erlebt. Zuerst hatte es einer jungen Frau gehört, dann einem modernen Komponisten, einer jüdischen Geschäftsführerin, einer Widerständlerin und einem Wehrmachtssoldaten, der Angestellten einer flüchtigen Baronin und letztlich einem Deserteur. Ereignisse wie die Machtergreifung der Nazis werden in dem Werk genauso zum Thema wie die Reichskristallnacht, der Russlandfeldzug oder das Attentat Graf Stauffenbergs vom 20. Juli 1944.

Die sieben Episoden schließen mit dem Rückgang in die filmische Gegenwart der Rahmenhandlung. Das Auto führt einen Monolog und stellt fest: auch in unmenschlichen Zeiten gibt es Menschen. Damit gleicht das Auto in seiner Überzeugung weitgehend den privaten Überzeugungen des Regisseurs, der die Idee zu In jenen Tagen schon während des Krieges entwickelt hatte, und 1946 sofort mit einer geliehenen Kamera und Ausrüstungsgegenständen vom Schwarzmarkt den Dreh begann.

Not macht erfinderisch
„Seit dem 13. Juni 1947 gibt es wieder einen ernst zu nehmenden deutschen Film,“ schrieb Wolfdietrich Schnurre in Der Neue Film, doch vor der Premiere war die Produktion von In jenen Tagen eher improvisiert verlaufen. Mangels eines Studios drehte das Team die meiste Zeit auf offener Straße, was angesichts der sibirischen Temperaturen im Winter 1946/47 zu einigen Problemen führte. Auch einfache technische Mittel wie Rückprojektionen für die Autofahrten gab es nicht, und so schnallte Helmut Käutner seinen Kameramann Igor Oberberg kurzerhand auf die Motorhaube, während ein verkabelter Tonwagen neben ihm herfahren musste.

Auch in Sachen Besetzungsliste musste sich die Crew auf einige Kompromisse einlassen. So kurz nach dem Krieg war es schlicht nicht allen gewünschten Schauspielern möglich, für die Dreharbeiten nach Hamburg zu reisen. Und so entstanden skurrile Kombinationen: Der im KZ Buchenwald eingesessene Darsteller Erwin Geschonnek stand für In jenen Tagen beispielsweise genauso vor der Kamera wie Hermann Speelmans, der zuvor in zahlreichen Propagandafilmen der Nazis wie Hitlerjunge Quex: Ein Film vom Opfergeist der deutschen Jugend von Hans Steinhoff mitgewirkt hatte.

Ein heiterer Trümmerfilm
Mit seiner Thematik und der improvisierten Machart reihte sich In jenen Tagen in die Liste der sogenannten Trümmerfilme ein, die in Deutschland nach Kriegsende entstanden, meist inmitten der zerstörten Städte gedreht wurden und sich kritisch mit dem soeben Geschehenen auseinandersetzten. Filme wie Die Mörder sind unter uns von Käutners Kollege Wolfgang Staudte oder Irgendwo in Berlin von Gerhard Lamprecht zeigten vor allem die Probleme und Leiden der Kriegsheimkehrer und ganz normaler Leute und erinnerten damit an die Werke des Italienischen Neorealismus, der etwa zur gleichen Zeit in Südeuropa entstand. Mit seiner letztlich positiven und versöhnlichen Grundstimmung bildete In jenen Tagen aber eine heitere Ausnahme inmitten der Trümmerfilme.

Und trotzdem gab es eine Zeit, in der sich niemand mehr so richtig an die Filme von Helmut Käutner, Wolfgang Staudte und Co erinnern wollte. Mit dem Schlagwort „Papas Kino ist tot“ stürmten 1962 sechsundzwanzig junge Filmemacher die Bühne der 8. Westdeutschen Kurzfilmtage und verlasen ihr Oberhausener Manifest. Die deutschen Filme aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg seien zu seicht, zu kommerziell oder schlicht in ihrer Machart verstaubt, erklärten die Revolutionäre. Dabei überschnitten sich bei genauer Betrachtung nicht einmal wenige Eigenschaften von Werken wie In jenen Tagen mit den Forderungen der Oberhausener. Zum Glück können wir heute ja einfach nach Lust und Laune entscheiden, nach welchem Stil und welcher Epoche uns gerade eher der Sinn steht.

Was die Menschheit sonst noch im (Film)Jahr 1947 bewegte:

Drei Filmleute, die geboren sind
19. März 1947 – Glenn Close, die Marquise aus Gefährliche Liebschaften
30. Juli 1947 – Arnold Schwarzenegger, der Terminator
14. September 1947 – Sam Neill, Dr. Alan Grant aus Jurassic Park

Drei Filmleute, die gestorben sind
06. Februar 1947 – Max Gülstorff, Gerichtsschreiber Licht aus Der zerbrochene Krug
06. März 1947 – Ferdinand Zecca, französischer Stummfilmregisseur
30. November 1947 – Ernst Lubitsch, Regisseur von Serenade zu dritt

Die großen Festival- und Award-Sieger waren unter anderem
Oscars – Die besten Jahre unseres Lebens von William Wyler (Bester Film, Regisseur, Hauptdarsteller)
Goldener Löwe – Siréna von Karel Steklý
New York Film Critics Circle Award – Tabu der Gerechten von Elia Kazan

Die drei kommerziell erfolgreichsten Filme
Die Unbesiegten von Cecil B. DeMille
So einfach ist die Liebe nicht von Irving Rise
Das Ei und ich von Chester Erskine

Drei wichtige Ereignisse der Nicht-Filmwelt
12. März 1947 – Truman-Doktrin und Beginn der amerikanischen Containment-Politik
05. Juni 1947 – die Grundlagen des Marshall-Plans werden bekannt gegeben
15. September 1947 – die Pariser Friedensverträge treten in Kraft

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