Wer nach Pandora reisen will, muss warten. Schon der erste Avatar-Film war so lange in Produktion, dass selbst die treusten Fans von Regisseur James Cameron (Terminator, Titanic) an der Verwirklichung zweifelten. Bei der Fortsetzung wiederholte sich das Spiel: Beachtliche 13 Jahre zogen ins Land, ehe Avatar: The Way of Water in 3D ins Kino kam.
Ob gewollt oder nicht: Diese ewigen Wartezeiten befeuerten den Mythos von Avatar. Wenn selbst Titanic-Mastermind Cameron über eine Dekade braucht, um einen solchen Film fertigzustellen, muss es sich um den ultimativen Event-Blockbuster handeln. Doch was passiert, wenn sich Routine einschleicht? Mit Avatar: Fire and Ash kommt die Saga erstmals in einen klaren Franchise-Rhythmus.
Ein großer Sci-Fi-Krieg bricht auf Pandora herein
Nur drei Jahre sind seit dem letzten Ausflug nach Pandora vergangen, was die Hype-Pipeline für eine weitere Na'vi-Begegnung deutlich verkürzt. Zu wenig Zeit für einen weiteren technologischen Quantensprung beim Filmemachen – und auch zu wenig Zeit, um wirklich Sehnsucht nach diesem faszinierenden Ort aufkommen zu lassen. Pandora? Da waren wir gerade doch erst. Hat es sich verändert?
Die nüchterne Antwort auf diese Frage lautet: kaum. Brachte The Way of Water mit dem Metkayina-Clan ein atemberaubendes Unterwasserreich mit, in dessen Tiefen wir uns über drei Stunden lang verlieren konnten, setzen die beiden neuen Na'vi-Stämme, die wir in Fire and Ash kennenlernen, weniger Akzente im Hinblick auf das Worldbuilding und lassen ertastbare Regionen vermissen, die zum Aufenthalt einladen.
Der Tlalim-Clan, der mit gigantischen Schiffen durch die Lüfte gleitet, bringt zwar reichlich Bilder zum Staunen mit, verschwindet nach dem ersten Drittel jedoch überwiegend aus dem Film. Die von einer verheerenden Katastrophe heimgesuchte Welt des Mangkwan-Clans bleibt derweil eine schemenhafte Skizze, die sich am Ende auf eine Figur herunterbrechen lässt: Varang (Oona Chaplin), die neue Bösewichtin.
In Varangs Augen lodern jedoch ein Hunger und ein Hass, der es unmöglich macht, sich den Geschehnissen zu entziehen. Fortan wird Pandora nicht nur von den menschlichen Invasoren geplagt. Gleich im Zuge ihrer Einführung kommt es zu einer erbarmungslosen Luftschlacht zwischen zwei Na'vi-Stämmen, bis der Mond komplett im Krieg versinkt und Flammen das träumerische, versöhnliche Blau des Ozeans verdrängen.
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James Cameron setzt auf Action und Melodram
Vergessen ist das Ende von The Way of Water trotzdem nicht: Die Sullys trauern um den Verlust ihres Sohnes Neteyam (Jamie Flatters). Während Jake (Sam Worthington) auf Zusammenhalt pocht, richtet Neytiris (Zoe Saldaña) ihren Frust gegen den adoptierten Menschenjungen Spider (Jack Champion). Dessen Vater, der fiese Col. Miles Quaritch (Stephen Lang), plant in der Zwischenzeit seinen nächsten Gegenschlag.
Nachdem The Way of Water im atemberaubenden Naturschauspiel aufging, stellt Cameron in Fire and Ash sein Können als Action-Regisseur so eindrücklich unter Beweis wie in keinem der vorherigen Filme. Die Figuren hechten vermehrt durch den kalten Stahl der Menschenfestung. Entweder, weil sie – hypnotisiert von Feuerwaffen – dem militärischen Komplex verfallen oder vor diesem auf der Flucht sind.
Cameron lotet die Extreme seines schonungslosen Kolonialepos aus und verwandelt den Film in einen Kampf um die Seele Pandoras. Nach wie vor stehen sich bei diesem Kampf Jake und Quaritch gegenüber, wobei sie mittlerweile zu Grenzgängern geworden sind, die mit ihren inneren Dämonen kämpfen. Die zerrissenen Gefühle der Figuren sind entscheidend. Denn ewig kann der Wow-Effekt der 3D-Kulisse die Reihe nicht tragen.
Avatar: Fire and Ash entführt uns gleichermaßen an verträumte wie beängstigende Orte, wo wir die verborgenen Abgründe der Figuren kennenlernen. Der mitreißendste Moment des Films findet im unschuldigen Grün statt, wo die Sully-Familie an einer verheerenden Entscheidung für immer zu zerbrechen droht. Spätestens ab diesem Punkt ergibt sich Cameron bindungslos der melodramatischen Ader von Pandora.
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Avatar 3 ist der emotionalste Teil der Sci-Fi-Reihe
Die intensive Arbeit mit der Performance-Capture-Technologie zahlt sich bei Fire and Ash aus. Mehr noch als die Welt sind dieses Mal die Emotionen greifbar: Die Zweifel in Kiris (Sigourney Weaver) flehenden Blicken, die Wut in den Augen von Neytiri und die Angst, die Spider überkommt, wenn er realisiert, dass er nicht länger sorglos durch diesen Abenteuerspielplatz schwingen kann.
Und dann ist da dieses Pulsieren, das Oona Chaplin mit ihrer Bösewichtin in den Film trägt und uns vergessen lässt, dass sie am Set als Varang mit einem grauen Anzug und weißen Referenzpunkten für die Na'vi-Transformation per Computer durch die Gegend läuft. Nicht nur wütend und argwöhnisch tritt sie in Erscheinung. Mit Stephen Lang bündelt sie eine unerwartete erotische Anspannung zwischen den Schlachten.
Cameron beweist in diesen Augenblicken mehr Eigensinn, als viele Menschen den auf den ersten Blick dramaturgisch konventionellen Avatar-Filmen zugestehen wollen. Zwar lassen sich gewisse Muster in Aufbau und Struktur, die sich zum dritten Mal wiederholen, nicht leugnen. Aber die Freiheit, die sich Cameron dadurch erkauft, ist spektakulär. Trotz offensichtlicher Pandora-Routinen kommt keine Langweile auf.
Cameron kann jetzt völlig hemmungslos in seine Welt eintauchen, ohne das Eintauchen rechtfertigen oder betonen zu müssen. Ihm geht es nur noch darum, das zu erforschen, was ihn am meisten interessiert. Und nach Fire and Ash ist es keine Behauptung mehr, dass es sich hierbei um die Figuren handelt. Es gibt keinen größeren Fan der Sully-Familiensaga mit all ihren Abschweifungen als James Cameron selbst.
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James Cameron ist der neue George Lucas
Neben dem Drang, die nächste Stufe des digitalen Kinos zu erreichen, hat Cameron damit eine weitere Sache mit George Lucas gemein. Seine Avatar-Filme sind inzwischen ähnlich idiosynkratisch wie die verkannte Prequel-Trilogie des Star Wars-Schöpfers. Beide Filmemacher haben sich eine eigene, komplexe Infrastruktur kreiert, um Geschichten zu erzählen, die von außen merkwürdig, vielleicht sogar uncool wirken.
Nichts ist leichter, als sich über Avatar lustig zu machen. Die hämische Umschreibung "Schlümpfe im Weltraum" begleitet das Projekt seit seinen ersten Tagen. Cameron begegnet all dem jedoch mit dem aufrichtigsten Blockbuster des Jahres, der trotz seiner Gigantomanie eine intime Filmerfahrung durch digitale Schichten ermöglicht und beim Erzählen seiner bewegenden Geschichte keinen Kompromiss eingeht.
Es ist absolut bewundernswert, dass ein solch mainstreamiges Blockbuster-Phänomen – angeblich austauschbar und schnell vergessen – dermaßen tief durchdrungen ist von der Vision eines Regisseurs. Cameron schwimmt zwar auf der Welle des Franchise-Kinos, aber Avatar: Fire and Ash offenbart sich als das Werk eines wahren Pioniers und Auteurs, der sein gesamtes Schaffen in einem Film bündelt.
Avatar: Fire and Ash startet am 17. Dezember 2025 im Kino.