Berlinale 2013 - Ein persönliches Fazit

18.02.2013 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Das Berlinale-Fazit
Das Berlinale-Fazit
14
6
Die 63. Berlinale ist endgültig vorüber – alle Vorstellungen sind gelaufen, die Preise sind vergeben. Zeit also, einen Blick auf die vergangenen elf Tage zu werfen und ein Fazit zu ziehen.

Die Berlinale 2013 ist nun endgültig vorbei. Am Samstag hat die internationale Jury ihre Gewinner bekanntgegeben, eine Liste mit sämtlichen Preisträgern gibt es auch schon. Grund genug, um ein eigenes, ganz persönliches Fazit aus dem Festival zu ziehen, dass in den vergangenen elf Tagen quasi mein einziger Lebensinhalt war. Dabei spürte ich am ganzen Körper, was es bedeutet, die Filmfestspiele intensiv zu verfolgen: mehr Stunden im Kino als im Bett verbringen, mehr Liter Kaffee als Wasser trinken, mehr Schachteln Zigaretten rauchen als vernünftige Mahlzeiten zu sich nehmen. Meine Lebenserwartung ist aller Wahrscheinlichkeit nach signifikant gesunken, doch ich kann nicht behaupten, dass es sich nicht gelohnt hätte.

Frauenpower und Leidensgeschichten
Bereits nach wenigen Wettbewerbsfilmen fielen mir markante Eigenschaften der diesjährigen Berlinale auf. So liegen die meisten Filme bleischwer im Magen und handeln meist in voller Intensität von trost- und ausweglosen Leidensgeschichten. Ich habe mir jedoch sagen lassen, dass das grundsätzlich ein sehr typischer Hintergrund der Berlinale ist. Sofern ihr also vor habt, sie nächstes Jahr zu besuchen, solltet ihr euch darauf gefasst machen. Das sollte jedoch ohnehin kein allzu schwerwiegender Grund sein, denn das interessanteste an dem Wettbewerb ist wohl die Vielfalt der teilnehmenden Länder. Wie häufig bekommt ihr sonst die Gelegenheit, rumänisches, kasachisches, bosnisches oder iranisches Kino auf großer Leinwand zu bestaunen? Der größte Teil wird niemals regulär in unsere Kinos kommen, insofern ist solch ein Event eine einmalige Erfahrung, die ich sehr genossen habe.

Etwas besonderer war der Umstand, dass sich auffallend viele Frauenfiguren in den Hauptrollen wiederfinden. In etwa der Hälfte der Wettbewerbsfilme war die zentrale Figur eine Frau, was in Anbetracht sonstiger Verhältnisse beachtenswert. Allerdings stellte sich mir hier die Frage, woran das liegt. Wurde die Auswahl der Filme speziell nach diesem Kriterium gerichtet, oder ist das Weltkino in der Hinsicht einfach weiter als das Hollywood-Kino, welches unsere regulären Kinos dominiert? Mit diesem Thema möchte ich mich jedoch nicht weiter aufhalten, schließlich hat sich meine Kollegin Sophie in ihrer Kolumne damit detailliert beschäftigt.

Was ich aber dennoch einmal anmerken möchte, ist das grundsätzliche Niveau des Wettbewerbs. Anfangs dachte ich, es liege an mir, schließlich hatte ich noch keinerlei Erfahrungen mit Festival-Filmen, doch zahlreiche Kritiken in diversen Berlinale-Zeitungen beruhigten mich. Ich persönlich würde lediglich sechs der 20 in Konkurrenz befindenden Filme als “sehenswert” bezeichnen, was die Festival-Zeit nur noch weiter erschwert hat (meine persönliche Rangliste aller Wettbewerbsfilme findet ihr übrigens hier). Ich will mich jedoch keineswegs beschweren, die elf Tage waren nichtsdestotrotz eine wunderbar vielfältige cineastische Erfahrung, die ich jederzeit wieder antreten würde. Die Berlinale verdient sich ihren Platz in meinem Herzen, aber in erster Linie durch eine Sektion abseits des Wettbewerbs, die ich besonders hervorheben möchte.

Verlorene Schmuckstücke & Sternstunden der Filmgeschichte in der Retrospektive
Wenn grad kein Wettbewerbsfilm lief, saß ich meistens in einer Vorstellung im Rahmen der Retrospektive. Dort sah ich nicht nur erstmals gestandene Klassiker wie Die Faust im Nacken, Die Reise nach Tokio oder Sein oder Nichtsein, sondern auch – und das macht es womöglich noch wertvoller – heute kaum noch bekannte und/oder verschollene Filme. Darunter fiel beispielsweise das amerikanische (sehr gelungene) Remake M des gleichnamigen Meilensteins von Fritz Lang. Hätten sich die Verantwortlichen der Berlinale lediglich auf moderne Filmproduktionen beschränkt, hätte ich niemals das wundervolle Schaffen des japanischen Regisseurs Keisuke Kinoshita kennengelernt, dessen Werke weitestgehend nicht erhältlich sind.

Die Gewinner
Als ich mir die Liste der Gewinner ansah, blieben die ganz großen Überraschungen aus. Mutter und Sohn wurde bereits im Vorfeld als heißer Favorit gehandelt und ist ein Sieger, mit dem ich leben kann. Das rumänische Drama um eine Mutter, die das zerrüttete Verhältnis zu ihrem Sohn wieder herstellen und verhindern möchte, dass er ins Gefängnis geht, ist hervorragend gespielt und unheimlich ergreifend, wenn auch nicht ohne Längen. Dennoch werde ich Child’s Pose zum deutschen Kinostart, der nun bestimmt folgen wird, reinen Gewissens weiterempfehlen.

Eine (positive) Überraschung ist der Preisträger des Silbernen Bären für die Beste Regie: Prince Avalanche. Die ebenso herzerwärmende wie herrlich spaßige Komödie mit Paul Rudd und Emile Hirsch ist neben Side Effects sicherlich der mainstream-tauglichste Beitrag zum Wettbewerb – was keineswegs heißt, dass er den Silbernen Bären nicht verdient hätte, ganz im Gegenteil. Prince Avalanche versprüht solch eine Sympathie, dass ich ihn mir jederzeit noch einmal anschauen würde. An dieser Stelle möchte ich noch dringend meinen persönlichen Liebling des Wettbewerbs uneingeschränkt jedem ans Herz legen: Der chilenische Gloria erzählt die ebenso ernste, wie unglaublich charmant humorvolle Geschichte der namensgebenden Heldin, die sich in ihren 50ern befindet und im Kampfe gegen die Einsamkeit einen zweiten Frühling erlebt. Da die einzige Auszeichung nur ein Silberner Bär für die Beste Darstellerin war, wird es vermutlich keinen deutschen Kinostart geben. Falls ihr aber dennoch irgendwie eure Finger an diesen Film bekommt, zögert nicht.

Was mich unter den Gewinnern jedoch wirklich verwundert hat, ist die Lobende Erwähnung für Promised Land , zu der ich gerne ein Statement der Jury gelesen hätte. Schließlich handelt es sich dabei um ein zwar unterhaltsames, aber ebenso belangloses und viel zu dick aufgetragenes Drama vom Fließband, bei dem es sich mir nicht erschließt, inwiefern es eine Erwähnung bei den Siegern verdient hätte.

Unterm Strich bleibt also nur noch zu sagen, dass es wundervolle elf Tage waren, die mich gleichermaßen körperlich und mental zerstört, wie auch ungemein glücklich gemacht haben. Bis zum nächsten Jahr, Berlinale!

Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News