Call Me By Your Name - Meilenstein oder Rückschritt für Queer Cinema?

01.03.2018 - 12:00 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Timothée Chalamet und Armie Hammer in Call Me By Your Name
Sony Pictures
Timothée Chalamet und Armie Hammer in Call Me By Your Name
Heute startet mit Call Me by Your Name ein weiterer Oscarkandidat im Rennen um den Besten Film in den Kinos. Die Liebesgeschichte zweier junger Männer wird in den Kritiken gefeiert, doch welche Bedeutung hat der Film tatsächlich für das Queer Cinema?

In bittersüßen, verträumten Bildern eines italienischen Sommers der 1980er Jahre erzählt Luca Guadagninos Drama Call Me by Your Name die Geschichte einer ersten Liebe. Der 17-jährige Elio (Timothée Chalamet) verbringt den Sommer mit seinen Eltern auf deren Familienanwesen in Italien, wo er dem 24-jährigen Forschungsassistenten (Armie Hammer) seines Vaters begegnet. Die beiden verlieben sich und beginnen schließlich eine leidenschaftliche Affäre, obwohl sie wissen, dass diese den Sommer wahrscheinlich nicht überleben wird. Nachdem der Film bereits letztes Jahr im Rahmen des Sundance Film Festivals seine Premiere feierte, startet er heute endlich in den deutschen Kinos. Das Drama wurde bisher sowohl vom Publikum, als auch von den Kritikern äußerst positiv aufgenommen und konnte zahlreiche Preise gewinnen. So geht der Film bei den Oscars 2018 sogar in der Kategorie um den Besten Film mit ins Rennen. Call Me by Your Name beruht auf dem gleichnamigen Roman des Schriftstellers André Aciman aus dem Jahr 2007, welcher zügig zu einer Art modernem Klassiker der queeren Literatur avancierte. Doch welche Bedeutung trägt seine populäre Verfilmung nun für das Queer Cinema?

Elios und Olivers erstes Zusammentreffen in Call Me by Your Name

Das Queer Cinema ist nicht länger zur Tragik verbannt

Dass Filme des Queer Cinemas (zumindest ab und an) auch den Mainstream erreichen, kommerzielle Erfolge erzielen und (zumindest ab und an) mit Preisen überschüttet werden, ist erstmal nichts Neues. Filme wie Philadelphia, Brokeback Mountain, Milk oder A Single Man sind alles Beispiele für queere Werke, die sowohl von Hollywood als auch von einem Massenpublikum anerkannt wurden. Abgesehen von dem Element der Homosexualität, das die Filme miteinander verbindet, sticht eine weitere Gemeinsamkeit sofort ins Auge: All diese Werke sind von einer schmerzlichen Tragik durchzogen, die beinahe ausnahmslos auf die Homosexualität ihrer Charaktere zurückzuführen ist. Die Filme enden meist mit verzweifelten, traurigen, einsamen oder sogar toten Figuren, deren Homosexualität ihr Leben erschwert oder es indirekt eben sogar beendet. Tragische Geschichten dieser Art spielen sich in der Realität ohne Frage auch heute noch immer wieder ab und selbstverständlich verdienen sie es, gehört zu werden. Dennoch ist es schade, wenn nicht sogar ebenso tragisch, dass innerhalb des Queer Cinemas so selten Geschichten erzählt werden, die eben nicht tragisch sind. Genau wie jede andere Liebe ist eben auch homosexuelle Liebe nicht immer gleich tragisch.

Blicken wir auf die Entwicklung des Queer Cinemas in den letzten Jahren, können wir durchaus eine Tendenz zur Entkopplung von Homosexualität und Tragik feststellen. Es sind nicht mehr nur die schlimmen Schicksale queerer Figuren, die im Mainstream Anklang finden. Im Oscar-Rampenlicht stand beispielsweise Todd Haynes' Drama Carol [Achtung, Spoiler zum Ende von Carol], in dessen Ende die beiden weiblichen Hauptcharaktere sich trotz Schwierigkeiten dazu entschließen, es mit einer Beziehung zu versuchen. Auch in Barry Jenkins' Film Moonlight gab es letztes Jahr einen Oscar-Gewinner, der die Entwicklung seiner Hauptfigur mehrdimensional aufrollt, wobei dessen Homosexualität auf komplexe Art und Weise mit seiner Identitätsuche interagiert anstatt ihn schlicht und einfach leiden zu lassen. Call Me by Your Name ist nun ein weiterer Oscar-Anwärter, der die Homo- oder Bisexualität seiner Figuren nicht negativ konnotiert, sondern sich viel eher darauf konzentriert, die Gefühlswelt der ersten großen Liebe unabhängig von der sexuellen Orientierung der Figuren zu porträtieren.

Timothée Chalamet als Elio in Call Me by Your Name

Ist Call Me by Your Name für das Queer Cinema ein Schritt in die richtige Richtung?

So geht es in Call Me by Your Name nicht primär darum, dass Elio und Oliver eine homosexuelle Beziehung eingehen. Es ist eine Coming-of-Age-Geschichte, die den Fokus auf Elios Innenleben und das Erwachen seiner Sexualität richtet, ohne die Frage nach seiner sexuellen Orientierung zu diskutieren oder gar zu problematisieren. Der Film will dem Zuschauer die Emotionalität der ersten Liebe vermitteln, die Nervosität, die Unsicherheiten und die Leidenschaft stehen dabei im Vordergrund. Dass beide Personen Männer sind, wird natürlich nicht ignoriert (das wäre ja auch unsinnig), aber es wird auch nicht als Problem behandelt. So wird zwar durchaus thematisiert, dass es beiden Seiten vor allem zu Beginn ihrer Beziehung schwer fällt, sich aufeinander einzulassen, da weder Elio noch Oliver offen mit ihrer Homosexualität leben. Das wird auch als Problem inszeniert, das ein heterosexuelles Paar nicht unbedingt hätte. Innerhalb des Kosmos ihrer Liebesbeziehung, der einen Großteil des Films einnimmt, fokussiert sich der Film jedoch auf die positiven Aspekte der Intimität und Emotionalität zwischen dem Paar und es ist wertvoll, dass es einen Film gibt, der das tut. Selbst das Ende des Sommers, ihrer Beziehung und des Films bleibt uns nicht unbedingt negativ im Kopf, einfach weil sich die erste Liebe lohnt, auch wenn sie meist zum Scheitern verurteilt ist. Da ist es auch ganz egal, welche sexuelle Orientierung man hat.

Während das irgendwie positive Sad Ending von Call Me by Your Name für das Queer Cinema sicherlich einen Schritt in Richtung Diversität darstellt, gibt es dennoch einige Punkte, die problematisch sind und auch in der öffentlichen Debatte um den Film teilweise scharf kritisiert wurden. So wird dem Film angekreidet, die homosexuelle Liebesgeschichte innerhalb der heterosexuellen Norm zu erzählen, um für ein Massenpublikum tauglich zu sein. Beispielsweise zeigt der Film heterosexuelle Sexszenen explizit, während die Kamera bei den Sexszenen zwischen Elio und Oliver wegschwenkt. Weiterhin wird erneut Hollywoods Angewohnheit kritisiert, homosexuelle Rollen mit heterosexuellen Schauspielern zu besetzen. In einem Interview mit dem Hollywood Reporter  sagte Regisseur Guadagnino dazu, er habe abseits von jeglicher Gender-Agenda gecastet, und nur auf sein Gefühl gehört. Weiterhin habe er die Sexszene nicht explizit gezeigt, um Universalität zu schaffen und die Aufmerksamkeit nicht von der Intimität zwischen den Charakteren zu lenken. An dieser Stelle muss schon hinterfragt werden, ob der Film dabei vielleicht an Integrität einbüßt und dann doch nichts weiter ist als eine heterosexuelle Geschichte im Kostüm eines queeren Films.

Timothée Chalamet und Armie Hammer in Call Me By Your Name

Insgesamt betrachtet macht Call Me by Your Name vieles richtig, das dem queeren Kino vorher oft vorgeworfen wurde. Trotzdem hätte der Film sicher mutiger sein können, als er es war. Es ist schwierig, einen Film als Teil des Queer Cinemas zu bewerten, wenn er sich so eindeutig außerhalb der Debatte positioniert, wie Call Me by Your Name es tut. Dann wiederum scheint gerade das die Absicht des Films zu sein: Unabhängig vom politischen Kontext die Geschichte einer ersten Liebe zu erzählen, um über Unterschiede hinwegzusehen und somit Universalität zu schaffen. Auch wenn sich der Film dadurch in gewisser Weise vom Queer Cinema als Bewegung zu isolieren scheint, ist er dennoch wichtig, genau so, wie er ist.

Call Me by Your Name läuft ab dem 01.03.2018 im Kino.

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