Jeder Anhänger des bewegten Bildes kennt das vermutlich: Es gibt bestimmte Filme, die man in der Kindheit gesehen hat, obwohl sie wohl noch etwas zu früh für das eigene Verständnis sind. Denn Kind zu sein bedeutet auch, den Mechanismus sowie Subtext eines Films anders wahrzunehmen als der erfahrende und abgebrühte Rezipient im Erwachsenenalter. Doch sind diese einzigartigen Erfahrungen essentiell und manchmal gar erst die Initialzündung, um das Medium für sich zu entdecken. Auslöser war in meinem Fall die familieneigene VHS-Kassettensammlung. Unter ihnen befand sich ein Film, der mit seinem knappen Titel neugierig machte. Viele denken wahrscheinlich jetzt an einen erschreckenden Horrorklassiker, den die Kinderaugen eigentlich nicht zu Gesicht bekommen sollten. Nein, hier war es ein sehr, sehr langer Kriegsfilm aus deutschem Lande: Das Boot, der TV-Dreiteiler aus den 80er Jahren über die Ereignisse der deutschen U96, welche zuvor Lothar-Günther Buchheim in seinem Roman niedergeschrieben hatte.
Es war folglich der Tagebuchschreiber, Leutnant Werner, der als Kriegsberichterstatter und Ich-Erzähler mich an die Hand nahm und in das düstere Jahr 1941 führte. Nach einer anfänglichen Abschiedsfeier an Land geht es tags darauf schon vom französischen La Rochelle direkt zur See. Es war Krieg, soviel war mir klar, doch die detaillierten historischen Umstände des zweiten Weltkrieges, wer gegen wen warum genau kämpfen würde, eher weniger. Nein, hier geht es viel mehr um einen Mikrokosmos, nämlich den der Seefahrer in einer normalerweise menschenfeindlichen Umgebung. Wir orientieren uns am erfahrenen Herrn Kaleun und bekommen einen Alltag voller Routine, Warterei, Lagerkoller und furchtbarer Angst zu tun, wie man es nur selten in dieser Intensität erlebt. Das Leben und Arbeiten auf einem Unterseeboot in dieser Form präsentiert zu bekommen, es quasi erlebbar zu machen, ist eine der herausragenden Stärken von Wolfgang Petersens Film.
Es hat sicherlich eine gewisse Faszination, solch ein U-Boot. Wer jemals selbst mal eines von innen begutachten konnte, ahnt, welche Enge und Unbequemlichkeit dort herrscht. Hinzu kommt die fehlende Intimität, Dreck, Gestank und die fortwährende Anspannung. Hat der Film uns irgendwann soweit, dieses Leben zu begreifen, passiert jener Moment, in dem es zu einem feindlichen Kontakt kommt. Die Freude bei der Besatzung, dass endlich „etwas passiert“, weicht schnell der Erkenntnis einer Illusion: Auch ein U-Boot hat seine taktischen Schwachstellen, welche exemplarisch durch mehrere Wasserbombenexplosionen offenbart werden. Eine Illusion, die in Anbetracht des weiteren Verlaufs der Atlantikschlacht, in welcher Deutschland die britische Versorgung zu torpedieren versuchte, auch folgenschwer für den Verlauf des Krieges werden sollte. Die unglaublich dramatische und tränenreiche Schlusssequenz steht hierzu in seiner Metaphorik durchaus Pate.
Auch wenn der Film schon dreißig Jahre auf dem Buckel hat: Die Umsetzung ist formidabel geraten und beeindruckt auch noch nach wiederholter Sichtung. Dass der deutsche Film etwas kann, wenn er denn mal etwas mehr Geld in die Hand nimmt, zeigt sich an dieser Stelle. An mehreren Drehorten (Bavaria-Studios für die Innenaufnahmen; La Rouchelle, Bodensee und Nordsee für die jeweiligen Außenansichten) und immer an die entsprechenden Erfordernisse angepasst erzeugt das Resultat eine unvergleichliche Authentizität. Es kracht und rummst an allen Ecken, was das Zeug hält. Wahnsinnig schwierig ist da die Kameraarbeit, welche durch Jost Vacano samt Crew und technischer Ideen herausragend umgesetzt wurde. Komplettiert wird das Ganze durch eine effektive Geräuschkulisse, welche in Verbindung mit dem stimmungsvollen Score von Klaus Doldinger die Atmosphäre zwischen Hoffen und Bangen kongenial unterstützt.
Wolfgang Petersen hat mit Das Boot sicherlich für den Startschuss in eine große internationale Regiekarriere gesorgt, konnte er doch zuvor fast nur mit TV-Produktionen seine Qualitäten wirklich aufzeigen. Genauso konnten viele der meist jungen Darsteller dermaßen beeindrucken, dass deren Namen noch heute vielen ein Begriff ist. Jürgen Prochnow, der in Person des Kapitänleutnants (besagter Herr Kaleun) eine brillante Performance bietet, aber auch Klaus Wennemann, Martin Semmelrogge, Uwe Ochsenknecht, Jan Fedder, Claude-Oliver Rudolph, Ralf Richter oder Heinz Hoenig sollten bekannt sein. Einige davon haben ihr sympathisches Haudegenimage noch immer bewahren können. Herbert Grönemeyer, der vermutlich durch seine Musik bekannter ist als durch das damalige Schauspielerdasein, meistert seine Sache als Identifikationsfigur (Leutnant Werner) in überzeugender Manier. Die eher kurz gezeigten Nebenfiguren wie Otto Sander als unverwechselbarer U-Boot-Veteran runden das Gesamtbild schließlich ab.
Das Boot gehört aus meiner Sicht damit zu den interessantesten und wichtigsten Werken, die Kinodeutschland herausgebracht hat. Ein Porträt über eine ganz spezielle Geschichte des Zweiten Weltkriegs, das mit unterschiedlichsten cineastischen Mitteln den Zuschauer in seinen Bann ziehen kann und zudem nicht mit dem gehobenen Zeigefinger daherkommt sowie ohne Pathos oder Kitsch die Ereignisse kommentiert. Egal, ob die TV-Fassung oder der neuere Director’s Cut, welche sich durch ihre unterschiedliche Verdichtung und Fokussierung wunderbar ergänzen: Petersens Film begeistert mich jedes Mal aufs Neue. Für mehrere Stunden vergisst man das Hier und Jetzt, sondern erlebt die Geschehnisse in diesem U-Boot so, als wäre man wirklich dabei, damals wie heute. Mehr, denke ich, kann Kino in diesem Fall nicht leisten.
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