Das einzige Musical, das Herzschmerz wörtlich nimmt!

04.03.2017 - 08:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
It's a thankless job ...Kinowelt/moviepilot
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La La Land war nichts für euch, weil Musicals immer so schmalzig sind? Dann solltet ihr vielleicht mal einen Blick in die andere Richtung werfen, weg von Romantik und Herz, hin zu Horror und Gedärmen! So ein Musical gibt's nicht? Oh doch!

Da draußen gibt es Filme, die euch begeistern, die euch abstoßen, die euch noch jahrelang immer wieder beschäftigen. Vielleicht ist es kein Meisterwerk, kein groß gefeierter Oscarfilm, aber euch bedeutet er trotzdem so viel mehr als nur 100 Minuten in einem dunklen Zimmer. Und dann auf einmal stolpert ihr durch Zufall über einen Kommentar, der euch das Herz rausreißt, der euch aus der Seele spricht, der euch vor dem Bildschirm niederknien lässt - und wenn DAS passiert, dann solltet ihr uns sofort Bescheid sagen, denn so ein Kommentar sollte der nächste Star unserer Kodewo-Oper sein!

Der Kommentar der Woche
Eine Woche nach La La Land schon wieder ein Musical? Oh ja, denn unterschiedlicher könnten die beiden nicht sein! Zudem ist euch mit Repo! The Genetic Opera vielleicht bisher einer der wenigen Filme entgangen, der, trotz seiner Fehler, die Bezeichnung Kultfilm verdient hat. (Ihr erinnert euch, dass dieses Wort mal für Filme reserviert war, die der Mainstream mit einer gerümpften Nase übersehen hat, während sie von einer kleinen Gruppe Fans immer und immer wieder gesehen und gefeiert werden?) Wenn euch bisher das Organ fehlte, das Musicals zu schätzen weiß, Gabe666 könnte es euch heute einpflanzen - Get ready for surgery!

Wohl der definitive Gothic-Film.
Nicht aufgrund seiner Musik, denn Gothic-Rock im eigentlichen Sinne ist hier kaum zu hören, aber definitiv wegen der Optik. Repo! The Genetic Opera entwickelt durch seine Ausleuchtung, den Farbfiltereinsatz und vor allem die Sets und Kostüme von Anfang an eine Atmosphäre, die wohl jedem Angehörigen der Schwarzen Szene mehr als zusagen dürfte.
Stilistisch ist das Ganze irgendwie eine Mischung aus Sin City, The Crow und vor allem Tim Burtons Horror-Musicals wie Corpse Bride und Sweeney Todd. Zu den letzteren beiden lassen sich dabei die meisten Gemeinsamkeiten herstellen, denn auch hierbei handelt es sich um ein Musical, genauer, die Adaption eines eher unbekannten Bühnenstücks, das bereits 2002 uraufgeführt wurde. Und zwar eines, in dem wirklich ohne Unterbrechung gesungen wird.

Wer Musicals generell nichts abgewinnen kann, für den dürfte wohl auch dieser Film nichts sein, aber wenn man keine Berührungsängste damit hat, dürfte der Film von Anfang an einen Sog entwickeln.

Die Prämisse ähnelt dabei stark der des Films Repo Men (man erkennt's ja schon am Titel) mit Jude Law und Forest Whitaker, denn auch hier geht es um eine düstere Zukunft, in der künstliche Organe zu einem wertvollen Gut geworden sind. In beiden Werken treten dabei eben diese "Repo Men" auf, welche die Organe dem Kunden gegen dessen Willen entnehmen, sobald er mit der Zahlung nicht mehr hinterherkommt. Allerdings war dieser Film hier schneller: der "Repo Men" zugrundeliegende Roman von Eric Garcia erschien ein Jahr später als "Repo!", zudem gibt es die Bühnenfassung wie erwähnt schon seit 2002 (und wurde bereits in 90ern ausgearbeitet). Es dürfte also klar sein, wer sich da von wem inspirieren ließ. Zumal die beiden Werke sich stilistisch ohnehin in vollkommen andere Richtungen bewegen und "Repo Men" die Ausgangssituation auch für eine gewisse Sozialkritik nutzt, während sie hier eine bloße Kulisse für die Geschichte und Gesangsnummern darstellt.

Regie führte hier Darren Lynn Bousman, der den meisten durch die Teile 2-4 der Saw-Reihe bekannt sein dürfte (die noch zu den besseren Sequels dieses langlebigen Franchise zählen). Sein Herz schlägt jedoch eigentlich für schrille Horrormusicals wie dieses (tatsächlich inszenierte Bousman vor seinem Durchbruch auch die Bühnenversion von "Repo!"), dem später noch The Devil's Carnival und dessen Fortsetzung Alleluia! The Devil's Carnival folgen sollten, welche noch weitere Sequels nach sich ziehen werden. "Repo!" merkt man jedenfalls definitiv das Herzblut (das sogar im sprichwörtlichen Sinne, denn vom roten Lebenssaft suppt es hier, wie schon in den "Saw"-Filmen, auch ordentlich) und die Liebe zum Detail, die in ihn reingesteckt wurde. Sehr cool ist beispielsweise die Idee, den Prolog und die Rückblenden in die Vergangenheit der Charaktere als Comic darzustellen. Oder letztere teilweise auch im Stil von Stummfilmen der 20er Jahre zu zeigen.

Die Schauspieler bzw. Sänger sind natürlich allesamt erste Sahne. Damit steht und fällt ein Musikfilm schließlich. Anthony Head, der den meisten als Mentor Buffys bekannt sein dürfte (in selbiger Serie konnte er sein Gesangstalent schon in der Musicalfolge unter Beweis stellen), liefert als tragischer Repo Man die mit Abstand beste Leistung, sowohl mimisch, als auch stimmlich ab. Die zwei Seiten seines Charakters intoniert er dabei völlig unterschiedlich.


Die vor allem durch die Spy Kids-Filme bekannte Alexa Vega als seine naive Tochter, der im Film eine Schlüsselfunktion zukommt, ist einfach liebenswert. Den gelegentlich richtige Opernarien schmetternden Bösewicht, einen Konzernchef, gibt der tolle Paul Sorvino. Am meisten überraschen kann aber Paris Hilton, die sich hier als verzogene, nach Schönheits-OP's süchtige Göre quasi selbst spielt. Sowohl schauspielerisch als auch gesanglich ist sie tatsächlich richtig gut.

Besonders cool ist Terrance Zdunich, der Autor und Komponist des Musicals, welcher den "Grabräuber", der Hiltons Charakter mit aus Leichen gewonnenen Drogen versorgt, verkörpert, der auch als Erzähler fungiert. Und richtig klasse ist Sarah Brightman, eine der weltbesten Sopranistinnen (für sie schrieb Anthony Lloyd Webber damals die Rolle der Christine in "Das Phantom Der Oper") als Operndiva mit Hologrammaugen.
Außerdem sieht - und hört - man noch Nivek Ogre, den Sänger der Industrial-Band Skinny Puppy, und Bill Moseley ("The Devil's Rejects") als Hiltons zerstrittene, arrogante Filmbrüder sowie Darren Smith, den zweiten Autoren und Komponisten, in einem Cameo als Bandleader.


Die Musik ist jedenfalls richtig klasse und das Herzstück des Films. Ein Ohrwurm jagt hier wirklich den nächsten. Richtiger Gothic-Rock ist, wie erwähnt, nicht vorhanden (wäre auch kaum massentauglich), dafür gibt es einen wilden Mix der verschiedensten Stile. Hauptsächlich ist hier Industrial Rock bzw. Metal, der an Marilyn Manson und Nine Inch Nails erinnert, zu hören. Gelegentlich gibt es jedoch auch Jazz, Sarah Brightman darf natürlich auch eine klassische Opernarie auf Italienisch zum Besten geben, und im Song "
Seventeen", in dem Vegas Charakter ihren jugendlichen Übermut zum Ausdruck bringt, gibt es waschechten Punk-Rock (selbige Performance wartet zudem übrigens noch mit einem verdammt coolen und mehr als passenden Cameo von keiner Geringeren als Joan Jett auf).

Zu bemängeln habe ich höchstens, dass das Ende nicht ganz meinen Vorstellungen entsprach. Ich hätte ja lieber ein richtig energiegeladenes Finale gehabt, in dem vielleicht nochmal wirklich derbe drauflosgesplattert wird und alles drunter und drüber geht. Der Showdown kam mir doch etwas zu plötzlich und diese ruhige Ballade zum Abschluss gefiel mir nicht ganz, auch wenn sie recht emotional war. Dazu kamen mir einige der Charaktere zu kurz. Dass Ogres Charakter im Film die Gesichter seiner verblichenen Geliebten als Maske trägt, wird eigentlich kaum thematisiert, obwohl gerade das eine der originellsten Ideen des Films ist. Ich hätte ja gerne gesehen, wie er sich eins davon zulegt, auch um die Niedertracht dieser Figur zu unterstreichen.
Vom "Graverobber" gab's mir außerdem auch zu wenig. Dabei hätte gerade er noch durchaus häufiger im Film vorkommen können, denn leider wurden auch viele Szenen geschnitten, darunter ein kompletter Subplot mit ihm, Vega und Hilton (eines der Duette ist immerhin im Abspann zu hören und beim Bonusmaterial der DVD und Blu-ray, zusammen mit anderen entfernten Szenen, auch zu sehen). Es sollen ganze 40 Minuten rausgefallen sein! Ich würde meinen, dass der Film noch besser wäre, hätte man das komplette Musical umgesetzt und die entfernten Gesangsstücke drin gelassen, denn knappe 100 Minuten sind längst nicht genug, um diese schräge Welt so richtig kennenzulernen. Besonders eine herausgeschnittene Szene gefällt mir, wo bei der Einleitung der "Genetic Opera", kurz vorm Finale, alle möglichen Organe an die Gäste verschenkt werden. Die hatte so etwas herrlich Skurriles. Ist echt schade, dass sie nicht im Film drin ist.
Nichtsdestotrotz ist das hier eine verdammt coole Rockoper mit wahnsinnig vielen originellen Ideen und fantastischen Gesangsleistungen. Mehr als einen Blick wert. Über eine Fortsetzung, wie am Ende angedeutet wird, würde ich mich mehr als freuen.

Anzumerken ist übrigens noch, dass der Film nicht ins Deutsche übersetzt wurde. Den Versuch einer deutschen Synchronfassung gab es zwar, dies wurde jedoch glücklicherweise fallen gelassen. Im Bonusmaterial der deutschen DVD sind einige probeweise synchronisierte Szenen enthalten und wenn man sich diese ansieht bzw. -hört, weiß man auch warum. Denn der vereinzelte Sprechgesang der Figuren wirkt im Deutschen eher albern. Wobei zumindest der Sprecher von Paul Sorvinos Charakter, Klaus Sonnenschein (spricht sonst u.a. Danny DeVito, John Goodman, Bob Hoskins, Morgan Freeman und Gene Hackman) eine sehr gute Leistung abliefert und nicht dafür sorgt, dass man sich bei seinem Vortrag fremdschämt. Allerdings hat seine Stimme kaum Ähnlichkeit mit der echten von Paul Sorvino. Ist daher gut so, dass man es ließ.

"Repo" kann man sich hierzulande also nur mit Untertiteln anschauen. Auch wenn man Filme lieber in deutscher Synchro schaut (so wie ich), sollte einen das aber nicht von der Sichtung abhalten, denn gerade durch die andere Sprache findet man hier auch leichter in die irreale Filmwelt rein. Zumindest ging's mir so.

Den Originalkommentar findet ihr hier.

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