Berlinale in den 1990er - Hosen voll und nix zu sagen

08.02.2010 - 08:50 Uhr
Keine Entscheidungsfreude bei der Berlinale.
Warner
Keine Entscheidungsfreude bei der Berlinale.
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Dem Mutigen gehört die Welt. So lautet zumindest das Sprichwort. Leider war Mut etwas, was wir der Berlinale in den 1990er Jahren so gar nicht unterstellen können.

Die politischen Umwälzungen der 1990er Jahre machten auch vor der Berlinale nicht halt. Obwohl die Verantwortlichen die Gunst der Stunde sahen und die Berlinale gerne als DAS Filmfestival des neu vereinten Europa etablieren wollten, hatte das Filmfest die meiste Zeit der 1990er Jahre über mit Profilneurose und politischen Querelen zu kämpfen. So waren einige der besten Filme der 1990er auf der Berlinale abwesend. Verpasste Chancen und politische Orientierungslosigkeit prägten die Zeit nach der Wende mehr als Filme oder Skandale um Stars und Regisseure. Dabei war die Berlinale so hoffnungsvoll in die neue Dekade gestartet.

1990 wurde die Berlinale mit Spannung als das große Filmfestival des vereinten Deutschland erwartet – und enttäuschte durch eine banale Filmauswahl. Das lag nicht zu geringen Teilen daran, dass die Leitung sich auf keine Richtung festlegen, bloß niemanden vor den Kopf stoßen und es allen Recht machen wollte. Dem Mutigen gehört die Welt. Mut suchte der Zuschauer bei der Berlinale der frühen 90er Jahren jedoch vergeblich.

Bereits in früheren Jahren zeigte sich immer wieder, dass die Berlinale kein reines Filmfestival war. Immer wieder mischten sich politische Erwägungen und Diskussionen in die Auswahl der Filme und störten ein Ereignis, das eigentlich der Kunst gewidmet sein sollte. Wann immer sich die Politik in die Filmfestspiele einmischte, litt der kulturelle Wert der Veranstaltung.

So versank die Berlinale auch in den 90ern in politischen Querelen und verlor sich in Richtungslosigkeit. Darunter litt auch die Filmauswahl. Die reinen Unterhaltungswerke schienen im Kontext der Ereignisse bedeutungslos, abgeschmackt gar. Mit der Öffnung der Grenzen hatte der Konkurrenzdruck unter den europäischen Festivals zugenommen und das Pokerspiel um Prestige und Publicity begonnen. Berlin zog in diesem Fall häufig den Kürzeren, insbesondere wenn es gegen Cannes ausgespielt wurde. Das glamourösere Festival gewann allzu oft, so zum Beispiel im Fall von Mitternacht im Garten von Gut und Böse. Dort wurde eine geänderte Marketing-Strategie als Grund angegeben, um den Film kurz vor der Berlinale zurückzuziehen und die Premiere an einem anderen Ort abzuhalten.

In den Jahren 1993 und 1994 meldete sich endlich der osteuropäische Film zurück und verhalf dem Festival mit kompromisslosen und emotionalen Filmen zu zwei starken Jahrgängen. Einer der bekanntsten Filme, welche sich thematisch mit dem Umwälzungen in Europa beschäftigten, war Drei Farben – Weiß von Krzysztof Kieslowski, der im Wettbewerb den Silbernen Bären für die Beste Regie errang. Ein Glücksfall für die Berlinale, schließlich findet auch ein blindes Huhn mal ein Korn.

Zwei Filme illustrieren das selbstgemachte Dilemma der Berlinale ganz besonders. Im Jahr 1998 wurde dem Festival der Film Kundun von Martin Scorsese angeboten und stellte die Organisatoren vor ein Problem. Der Film über die Unterdrückung Tibets und die Vertreibung des Dalai Lama versetzte die chinesische Regierung in helle Aufregung. Am Ende zog Martin Scorsese seinen Film zurück, und die Berlinale verlor gleich noch zwei chinesische Produktionen aus ihrem Programm. Für die Berlinale zahlte es sich nicht aus, um die politischen Themen herumzueiern und keine Stellung zu beziehen. Dabei lernt jedes Kind irgendwann, dass man es nicht jedem Recht machen kann. Kunst sollte das auch nie versuchen.

Im selben Jahr wollte auch Roberto Benigni sein Werk Das Leben ist schön auf der Berlinale vorstellen. Das Auswahlgremium reagierte zu zögerlich und hielt die Macher des Films zu lange hin. Schließlich wurde der Film zurückgezogen und feierte stattdessen Premiere in Cannes. Das Leben ist schön sollte ein internationaler Erfolg werden und sogar den Oscar gewinnen. Wieder gehörte dem Mutigen die Welt – zu dumm, dass der Mutige nicht aus Berlin kam…

Seit 1996 wurde immer wieder ein neuer Standort für die Filmfestspiele angesprochen. Jedoch zogen sich auch hier die Diskussionen, die Logistik und die Richtungsstreitigkeiten so lange hinaus, dass der Umzug erst 3 Jahre später stattfinden konnte. Im Jahr 1999 war es dann endlich soweit: Die Berlinale fand zum ersten Mal in Berlins neuer Mitte, dem Potsdamer Platz statt. Das nächste Jahrtausend konnte kommen und wieder sah die Berlinale hoffnungsvoll in die Zukunft. So resümierten die Bremer Nachrichten für das Jahr 2000 „Die Berlinale hat ihren Ort – jetzt fehlt nur noch das Profil“.

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