Liebevolle Unmenschlichkeit - Warum Hannibal eine der besten Serien ist

13.05.2016 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
HannibalNBC
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Ab heute läuft die 3. Staffel von Hannibal auf Sat.1 emotions. Grund genug, nochmal nachzuschauen, warum diese blutige Serie eigentlich so gut ist.

Als Bryan Fuller vor vier Jahren entschlossen hat, sich Hannibal anzunehmen, hielt das kaum einer für eine gute Idee. Zu groß war die Angst, dem schon damals zur Genüge ausgeschlachteten Quellmaterial keine neuen Facetten abgewinnen zu können. Und auch wenn wohl niemand ernsthaft etwas gegen Mads Mikkelsen gehabt haben dürfte, so wurde sein Casting schon im Vorfeld mit einem mitleidigen Kopfschütteln empfangen: Der Arme muss sich jetzt an den Darbietungen von Brian Cox und vor allem Anthony Hopkins messen lassen. Letzterer hatte sich als Hannibal Lecter schon tief ins popkulturelle Bewusstsein eingebrannt und dass an dieser Position jemand rütteln könnte, galt als undenkbar. So viel sei verraten: Drei Staffeln später sieht die Sache schon ganz anders aus.

Das Problem ist bloß, dass Hannibal es einem wahrlich nicht leicht macht, durch diese drei Staffeln zu kommen. Das ist ein Kompliment. Es gibt keine zweite von Kritikern und Zuschauern dermaßen abgefeierte Serie, die sich nur mit einer ganzen Reihe von Einschränkungen empfehlen lässt. "Ist Geschmackssache", geht in solchen Gesprächen erstmals über bequemen Diskursmord hinaus. So gesehen kann der folgende Text wohl genauso als Hasstirade verstanden werden; ist aber alles wirklich ganz lieb gemeint.

Hannibal ist prätentiös. Hannibal ist so prätentiös, dass es weh tut. Die Kunst liegt darin, Spaß in dem Schmerz zu finden, denn das Schöne daran ist, dass die Serie vor allem ab der 2. Staffel nicht einmal mehr versucht, zuschauerfreundlich zu sein. Wer bereit ist, sich von jeglicher Rationalität loszusagen, darf sich an die Hand nehmen und in die Oper führen lassen, in die blutigste Oper aller Zeiten mit Tragödientacho auf Anschlag und musikalischer Schraubzwinge im Dauereinsatz. Hannibal ist inszenatorischer Größenwahn: Hier wechseln sich Ultra-Slow-Motions im Ultra-Close-up mit Wortkombinationen ab, die in der Geschichte der Menschheit mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit noch keine Verwendung gefunden haben. Wenn sich zwei Figuren in Hannibal unterhalten, dann klingt das ausgestellt und widernatürlich. In weniger guten Momenten sind das gestelzte Theaterdialoge, in den besten klingen sie wie aus der Feder von James Joyce.

Es gibt viele Gründe, warum Hannibal mit dieser lächerlich überzogenen Prätention davonkommt und einer davon ist der, dass die Serie sich selbst nie so ganz ernst zu nehmen scheint. Sie folgt sowohl ästhetisch als auch inhaltlich ganz stringent einer Traumlogik, die sich um nichts schert. In einem Moment wird auf Teufel komm raus poetisch psychoanalysiert, bis sich die Balgen biegen, im nächsten werden mit selbstreferentiellem Grinsen Körperteile verspeist. Und so sehr sich die Serie an sich selbst ergötzt, so sehr sie sowohl mit Hinblick auf Gewaltdarstellung als auch Zwischenmenschlichkeit ihre eigene Gewichtigkeit unterstreicht, so wenig wird man das Gefühl los, zwischen all den bis zur Psychose ausgereizten Horrorsounds von Brian Reitzell das permanente Lachen von Bryan Fuller zu hören, der eine unheimlich gute Zeit hinter der Kamera verbringt.

Wenn es gelingt, unbefangen an die Serie ranzugehen und sich gänzlich auf die ästhetische Künstlichkeit einzulassen, mit der Hannibal sich nicht nur brüstet, sondern die die Serie vor sich her trägt und um sich wirft, dann eröffnet sich sogar ein Blick hinter die pompöse Fassade, wo eine dicke fette emotionale Brechstange wartet. Auch das ist etwas, das völlig nachvollziehbar als Abschreckung gelesen werden kann. Man muss ihn mögen, den larmoyanten Hugh Dancy mit den hängenden Mundwinkeln, der zittrig-hauchenden Stimme und dem apokalyptischen Weltschmerz in den Rehaugen. Wer keinen ausgeprägten Hang zum Pathos hat, braucht es wohl gar nicht erst probieren. Alle anderen dürfen sich auf knallendes Feuerwerk um Tod, Liebe, Freundschaft und buchstäblichen Wahnsinn freuen. Denn mit fortwährender Laufzeit erfreut sich Hannibal immer mehr an einer sehr direkten Herangehensweise an seine Themen, so subtil sie zuvor auch behandelt wurden.

Nach einer ersten mehr oder weniger klassischen Krimi-Staffel wird die teilweise homoerotische Anziehungskraft zwischen Will und Hannibal Lecter erforscht, zunächst eher unterschwellig, später dann mit allem Trara, was da so dazugehört. Auch das ist ein spannender Kniff, da die Serie anscheinend ihre Ziele mit gleichbleibender Intensität wechselt, beziehungsweise ganz langsam ihre eigene Geschichte um eine wirklich eigensinnige Freundschaft entfaltet. Es ist ein Vergnügen zu sehen, wie auch dieses zunächst sensibel angegangene Thema immer mehr in das Flutlicht des Pathos geschoben wird, bis das Ganze ein Spektakel akkumuliert, das irgendwas zwischen tragisch, verstörend und lächerlich ist, aber in jedem Fall sprachlos macht.

Die Akzeptanz eines gewissen Grades an Pathos ist für die Sichtung wie gesagt unabdinglich, das heißt jedoch nicht, dass der emotionale Wert dort aufhört. Das ist eine der größten Leistungen von Hannibal: Die Serie ist mit gewaltsam eingeprügelten Symbolen, zur Schau gestellten Gefühlen und exzessiv durchkomponierten Bildern bis zur Absurdität überladen, doch die latente Todesangst der Charaktere, ihre Sehnsucht, ihr Hunger nach Zuneigung und Erotik fühlen sich in jedem noch so prätentiösen Bild echt an. Das ist ein unheimliches Verdienst für eine Serie, die sowohl auf inhaltlicher als auch auf ästhetischer Ebene mit ihrer Entmenschlichung angibt. Hannibal fühlt sich - für den einen im positiven Sinne, für den anderen im negativen - an wie aus einem Paralleluniversum, in dem alles sehr viel dramatischer abläuft als auf dem Planeten, wie wir ihn kennen. Und trotzdem findet sich hier ein zutiefst humaner Kern, der einen nicht so recht loslassen möchte, sobald man ihn mal gefunden hat.

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