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Über die Verortung eines Mediums zwischen E und U

09.03.2015 - 21:33 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Ausschnitt aus dem MGM-Logo
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Obwohl der Begriff „Kunst“ als solcher eigentlich umfassend ist, im Grunde jeden kreativen Prozess beschreibt, dessen Ergebnis ein Kulturprodukt ist, ist im allgemeinen Sprachgebrauch mit Kunst eher ein Werk gemeint, das man dem so genannten „E“-Bereich („ernst“) zuordnet. Eine Zuordnung, die es vor dem 19. Jahrhundert, in dem beispielsweise die Kunsttheorie des „L'art pour l'art“ aufkam, gar nicht gab, auch nicht den (vermeintlichen) Gegenpol „U“ wie „Unterhaltung“. Zur Illustration: Hätte es Unterscheidungen wie „E“ und „U“ oder „Popkultur“ vs. „Hochkultur“ zu Lebzeiten Mozarts oder Verdis gegeben, wären sie das gewesen, was man heute einen „Popstar“ nennt.

Das hätte natürlich nichts daran geändert, dass sie heute in Hochburgen der „E“-Kultur wie Opernhäusern oder einschlägigen Festivals wie den Salzburger Festspielen abgefeiert werden – womit auch die Scheinheiligkeit der Festlegung als „E“ oder „Hochkultur“ bewiesen ist, zumal etwa Mozart durchaus der Opera buffa, der musikalischen Komödie, zugeneigt war.

Das alles spiegelt sich natürlich auch im Film und seiner Rezeption wieder: Der Begriff „Kunstfilm“ wird vor allem in der Diskussion über Filme verwendet, die dem breiten Publikum mangels Unterhaltungswert eher weniger zugänglich sind, höchstens vielleicht im Rahmen von Filmfestivals, Retrospektiven und dergleichen. Man kann aber trotzdem auch beim Film die Neigung erkennen:

Patina macht Kunst

Als Der dritte Mann herauskam, war er einfach ein erfolgreicher Thriller, Punktum. Gutes Orson Welles-Vehikel, mit netter, typisch wienerischer Musik. Erst Jahrzehnte später erkannte man langsam, dass Anton Karas' „Harry Lime Thema“ kunsthistorischen Wert hat und der Film selbst ein unvergleichliches Zeitdokument des Lebens im Nachkriegs-Wien ist. Haben die Leute das damals nicht gemerkt?

Nein, haben sie natürlich nicht, sie lebten ja in der im Film gezeigten Zeit, und die Musik, die Zither, die hörte man mehr oder weniger bei jedem Heurigen . Fast unbemerkt mutierte der Film erst im Nachhinein von „U“ zu „E“.

Oder nehmen wir Citizen Kane: Als der Film herauskam, war er ein fürchterlicher Flop, eine Katastrophe, von der Kritik zerrissen und ein Karriereknick für Orson Welles. Und heute? Gilt er als wegweisend, vieles, was man heute im Kino täglich sieht, von Kameraführung über Schnitttechniken bis hin zu Details bei der Ausleuchtung einer Szene, wurde von Welles in diesem Film quasi „erfunden“. „Hohe Kunst“ halt, also „E“. Hüstel. Irgendwie unwahrscheinlich, dass Welles sich ein Denkmal setzen wollte, er wollte wohl eher unterhalten – also „U“.

Übrigens hat auch die oben erwähnte Kunsttheorie des „L'art pour l'art“  im Film Einzug gehalten, und zwar bei einem der großen Mainstream-Studios – man sehe sich das Logo von MGM genauer an, da steht nämlich „Ars gratia artis“, das ist genau dasselbe, nur auf lateinisch. Trotzdem wird wohl kaum ein Manager von MGM einen Film produzieren wollen, der tatsächlich Kunst für die Kunst ist, man will ja Geld verdienen, mit Kunst für die Massen. „Ars gratia populis“ oder so ähnlich wäre wohl der bessere Slogan gewesen.

Moment, Kunst für die Massen?

Ist denn Unterhaltungskultur, „U“, Kunst? Na klar, der Kunstbegriff, wie oben erwähnt, ist ja umfassend, außerdem erfordert auch ein Film wie Terminator einen kreativen Entstehungsprozess, auch wenn das Ergebnis die intellektuelle Qualität einer zerquetschten Tomate hat (womit nichts gegen die Verwendung von Ketchup in Filmen gesagt sein soll).

Von den Filmen der letzten Jahre, der noch am ehesten dem „L'art pour l'art“-Konzept entspricht (und der trotzdem erfolgreich in Mainstream-Kinos lief), sei der von Paramount herausgebrachte Hugo Cabret von Martin Scorsese erwähnt. Immerhin dreht sich der Film – auch wenn Hauptfigur und Namensgeber des Filmes ein kleiner Junge ist – um Georges Méliès, einen Pionier des Films, sein Die Reise zum Mond war der, soweit dem Autor dieser Zeilen bekannt, erste Science-Fiction-Film, und sein "Haunted Castle" der erste Haunted-House-Film. Ist Scorseses Film nun also „E“ oder „U“?

Man darf nicht vergessen, dass die Betrachtung von Kunst als solche und deren Einstufung als „Hochkultur“ oder Pop-Phänomen immer auch einen rein subjektiven Aspekt hat. Dass Hugo Cabret einen Haufen Preise abgeräumt hat, hilft da bei der Beurteilung auch nicht weiter, denn Preise wie den „Oscar“ kriegt heutzutage schon jedes Biopic, ob es was taugt oder nicht, scheint dabei völlig egal zu sein (Beispiele: Die Buddy Holly Story, Chaplin, Apollo 13, Elizabeth... alle Oscar-preisgekrönt, aber nicht alle wirklich sehenswert).

Wenn schon, dann hilft vielleicht die Filmkritik weiter: Der Film hat durchwegs positive Kritiken erhalten. Aber selbst das hilft nicht wirklich weiter, wie der moviepilot-User spotnik in „Tod der Kritik!“ beleuchtet: Heutzutage sind Filmkritiken in Zeitungen etc. eher Besprechungen als Kritiken. Das hilft nicht weiter, wenn man den künstlerischen Wert eines Filmes beurteilen will, ganz egal, wie man diesen Wert für sich selbst bestimmt hat (für den Autor dieser Zeilen, wie der geneigte Leser vielleicht schon bemerkt hat, ist da der Einfluss eines Filmes auf andere Filme ein durchaus relevantes Kriterium, ebenso wie die innovative Kraft des Regisseurs – was macht er neu, anders als andere?). Auch die Bildkomposition, die Art, wie die laufenden Bilder präsentiert werden, der Schnitt, die Beleuchtung, oft ganz kleine Details, auf die der Regisseur Wert legt und die im Kino aber nur dem aufmerksamen Beobachter auffallen, sind Dinge, die hohen künstlerischen Wert haben. Sogar der Ton, oder dessen dramaturgisch gezielt eingesetztes Ausbleiben, kann ein großartiges Werk ausmachen (Kenner-Tipp diesbezüglich: M - Eine Stadt sucht einen Mörder (1931) von Fritz Lang).

Fazit

Hugo Cabret ist, meiner Meinung nach, beides: „E“ und „U“ - und führt damit die ganze Diskussion darüber ad absurdum. Er unterhält vorzüglich („U“) und hat gleichzeitig seinen ganz eigenen Zauber, seine eigene Bildsprache, Scorseses bekannte Detailfreude, usw., kurz, genug Dinge, die ihn zu den „E“-Werken der „hohen Kunst“ im Film zuordnen.

Deshalb sollte man derartige Unterscheidungen vielleicht einfach lassen – erst recht, wenn man bedenkt, dass grottenschlechte B-Movies wie Plan 9 aus dem Weltall Kultstatus erlangen können, während teure Materialschlachten z.B. eines Peter Greenaway (Der Bauch des Architekten, Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber, Prosperos Bücher) zwar mit Kritikerlob überhäuft werden, „hohen künstlerischen Wert“ haben (haben sie, gar keine Frage), aber mehr oder weniger nach dem ersten Hype vergessen werden.

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