Auf der Stelle treten mit Superhelden-Stumpfsinn
Vor einigen Tagen habe ich mir Guardians of the Galaxy angesehen - ein Film, dessen Erfolg dermaßen absehbar war, dass bereits vor seiner Veröffentlichung ein Folgeteil angekündigt wurde. Ich bitte alle Fans, die folgenden Zeilen nicht allzu persönlich zu nehmen, denn ich gönne jedem seinen Spaß mit diesem Film. Einem 8-Jährigen ebenso wie einem 80-Jährigen. Tatsache ist jedoch, dass dieses Werk aus der Marvel-Schmiede mich in ein Tal der Depression gestürzt hat. Erzählerisch eine absolute Bankrotterklärung, aufgeladen mit antiksten Gut/Böse-Klischees, erzwungenen Gags und sporadischer Gefühlsduselei aus der Konserve. Genügen wirklich schon ein sprechender Baum, ein Waschbär und ein paar Mixtapes, um bei einem Riesenpublikum eine turmhohe Welle an Nostalgie hervorzurufen? Sogar die strengsten Cineasten aus meiner MP-Freundesliste haben sich bewertungsmäßig überwiegend zu mehr als 7 Punkten hinreißen lassen, und wenn man dann nachhakt, erhält man Begründungen wie: "Ooooohhh, ich war mit Freunden im Kino, prima Stimmung und einfach alles war sooooo toll!"
Ich bin mir sicher, dass auch ich über vieles hätte hinwegsehen können (de facto ist meine Liste an guilty pleasures aus verschiedensten Richtungen relativ lang), doch wie nur, wenn ich nicht einmal unterhalten wurde, der Film also sogar in Bezug auf seine Primärfunktion bei mir komplett versagt? Kein einziges originelles Bild oder eine Zeile wäre mir aufgefallen, aber soweit komme ich mit meiner Kritik ja gar nicht erst.
Das Superhelden-Kino von Christopher Nolan und Zack Snyder leidet letztlich an ähnlichen Krawall-Krankheiten. Auch The Dark Knight Rises wärmt, aufgebläht und denkbar zynisch in seinem Weltbild, im Ergebnis stereotypen Genre-Käse nochmal auf und demonstriert überdies eindrucksvoll, wie albern ein Blockbuster sein kann, der sich zu ernst nimmt. Bei Snyders prätentiöser MTV-Ästhetik hingegen frage ich mich jedes Mal, ob wir in den 90'ern nicht bereits genauso weit waren.
Und dann gibt es da natürlich noch Apparate wie Inception - ein Film, der - man muss es sich oft in Erinnerung rufen - von einem Vater handelt, der seine Kinder wiedersehen möchte. Jene Ausgangsbasis birgt eine Menge emotionales Potenzial, aber was kommt davon an? Ich war zu beschäftigt, mit Nolans technokratischem Gefasel über Bewusstseinsebenen Schritt zu halten und hatte, als das Totem kreist, den eigentlichen Kern am Ende gänzlich aus den Augen verloren. Wie kann das sein? Christopher Nolan steht wie kein Zweiter bezeichnend für ein modernes Kino, das - zeitgeistliche Parallelen sind sicher rein zufällig ;-) - keine Gefühle mehr zulässt, sie allenfalls behauptet, und sich selbst dabei keine Mühe gibt. Vielen genügt das. Einspielergebnisse lügen nicht.
[Bevor an der Stelle der Totschlag-Einwand "Aber was ist mit Michael Bay? Der ist doch der Antichrist!" kommt: Bay versucht gar nicht erst, seine Filme dem Publikum als etwas zu verkaufen, das sie nicht sind. Das macht sie zwar keineswegs in irgendeiner Weise anspruchsvoll(er), dafür aber immerhin ehrlich. Bei ihm hat der Wahnsinn (ein transparentes) System, und darüber hinaus von vorneherein offensichtlich nicht viel mit berührender Kunst zu tun - warum wird ausgerechnet er für jegliches Unheil in der Welt geschmäht, der ja wenigstens dazu steht, einfach nur Geld verdienen zu wollen?]
Der Faktor Spielberg
Steven Spielberg ist bekanntlich der Traditions-Sentimentalist des Kinos. Ich gebe zu: Ich mag einige seiner Filme sehr gern, obwohl auch sie selbstverständlich - zumindest unter anderem - auf einen Massenerfolg hin angelegt sind. Nun könnte man natürlich argumentieren, dass es sich bei der Frage, welchem Regisseur/Film man eine Innigkeit abkauft und wem nicht, um eine rein subjektive, Generation-gebundene handelt, deren Beantwortung überhaupt nicht ins Gewicht fällt. Wer nicht mit der Zeit geht, muss mit der Zeit gehen. Nunja, mag sein. Nicht nur aber finde ich bei Spielberg - beispielsweise in E.T. - Der Außerirdische - oder auch James Cameron Werte vor, mit denen ich mich identifiziere, sondern überdies wirkt ihre Rührseligkeit auf mich "authentisch"... was sie über bloßen Kitsch erhebt. Wie überzeugt Spielberg von seinen großen Gesten ist, zeigt sich an Gefährten - ein sonderbares Werk deshalb, weil es einerseits der mittlerweile alles dominierenden Verkopftheit von Nolan und Co. im Jahre 2012 Paroli bietet und andererseits ohnehin der wohl konsequenteste, klassische Tränen-Film mit Sonnenuntergängen und allem Drum und Dran ist, den Spielberg dieser Tage noch hätte inszenieren können. Wir befinden uns im Ersten Weltkrieg und der Mann interessiert sich allein für das verdammte Pferd. Oh wait...her mit den Taschentüchern! Nicht unerwähnt bleiben soll, dass Marvel's The Avengers etwa fünfmal so viel Schotter einfuhr. Also: Weiter suchen.
Mehr als ein Lichtblick: Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger
Dass man mit einer kraftvollen Geschichte noch immer Menschen in die Lichtspielhäuser bekommt, bewies erst letztes Jahr Ang Lee. Ich habe den Film zweimal im Kino und mittlerweile dreimal zu Hause geschaut. So naiv und doch so klug ist LIFE OF PI, der Oscar-Preisträger - mit seiner packenden Survival-Story, seiner hinreißenden Demut und seiner kleinen, ergreifenden Moral am Schluss über das Wesen des Glaubens. CGI-Overkill hin oder her. Den Verdacht von etwas Besonderem erregte schon vorab der magische Trailer, welcher - eine Wohltat sondergleichen - ohne ein einziges gesprochenes Wort auskam. Ich traue mich kaum, dieses Wunderwerk überhaupt als "Blockbuster" zu bezeichnen, da ich mit dem Begriff zunehmend eine Art von Film in Verbindung bringe, die gerade all das vermissen lässt, was LIFE OF PI in meinen Augen auszeichnet.
Randnotiz: Avatar - Aufbruch nach Pandora
Und ein weiterer Umstand macht mir Mut: Noch wurde AVATAR nicht von einem Superhelden-Aufguss als erfolgreichster Film aller Zeiten verdrängt. Ja, James Cameron wirft wild mit bereits vertrauten Motiven um sich, doch ein ergreifender Aspekt wird möglicherweise oft verkannt: Hier opfert der Protagonist aus Liebe/Empathie sein Menschsein, um vollständig in eine andere Spezies überzugehen. Derart weite Wege beschreitet für gewöhnlich jemand wie Lars von Trier. Man kann dem Streifen abseits davon gewiss manches vorwerfen, doch zeige man mir einen aktuellen Kinohit mit vergleichbarem Freigeist.
Ach ja: Titanic ist auf besagter Gold-Liste der Zuschauermagneten bekanntlich ebenfalls ganz oben mit dabei.
Fazit
Die einflussreichsten Studios haben leichtes Spiel, geben wir uns doch ohne Gegenwehr zufrieden damit, die immer selben Filme in unwesentlichen Variationen aufgetischt zu bekommen - zumeist nicht unter 2 Stunden, die uns häufig überzeugen wollen, etwas Epischem beigewohnt zu haben. Eine echte Offenbarung allerdings führt in die Tiefe, nicht in die Breite. Und Tiefe wiederum bedingt Sensibilität. Wie aber kann diese ein weitläufiges Comeback erfahren, wenn Labor Day, eine wunderschöne Romanze alter Schule, von nicht unwesentlichen Teilen der Filmkritik Polemik und Häme erntet? Ganz zu schweigen von einer durch und durch sympathischen Schnulz- und Schmalz-Lawine à la Ghost - Nachricht von Sam, deren Entstehen heute mit Sicherheit undenkbar wäre. Wie erwähnt schätze ich, dass dieses (filmische) Konsumverhalten sehr eng mit der allgemeinen Mentalität der Postmoderne verknüpft ist. Wir lassen uns durch Lärm betäuben, wollen nicht mehr fühlen (der Sitznachbar im Kino könnte einen ja weinen sehen...), und bald können wir es vielleicht auch gar nicht mehr. Nur wenige Ausnahmen bestätigen die Regel, aber sie existieren. Mein Eindruck: Wer immer noch empfindsames Kino dreht, ist mutig und verrückt, denn wir brauchen wieder mehr davon. Mehr Spielberg, mehr Ang Lee, mehr James Cameron. Und mehr Tiger unterm Sternenhimmel. Man wird ja wohl noch träumen dürfen.