Green Book: Das sind die wahren Hintergründe des umstrittenen Oscar-Gewinners

22.03.2019 - 17:00 UhrVor 1 Monat aktualisiert
Green Book
Entertainment One
Green Book
1
3
Green Book konnte den Oscar für den Besten Film gewinnen. Hinter dem musikalischen Trip stecken gleich mehrere faszinierende Geschichten. Deren Wahrheit wird von einigen angezweifelt.

Green Book pocht auf seine wahre Geschichte. In dem Oscar-Gewinner 2019 geht es um den schwarzen Künstler Dr. Don Shirley, der sich im Jahr 1962 auf eine Tournee begibt. Der italienischstämmige, ehemalige Türsteher Tony „Lip” Vallelonga chauffiert den hochbegabten Pianisten durch die Südstaaten der USA, deren weiße Bevölkerung sich größtenteils feindselig gegenüber Menschen mit anderen Hautfarben verhält. Für die Diskriminierungen und rassistisch motivierten Vorurteile, die in dieser Zeit die amerikanische Gesellschaft plagten, gibt es sogar einen Namen: Jim Crow. Doch wie genau nimmt es Green Book mit der Geschichte seiner fraglos echten Person wirklich?

Der amerikanische Süden: Eine Gefahrenzone

Die sogenannten Jim Crow-Gesetze standen für die Rassentrennung in den Südstaaten der USA, brachten Vereinigungen wie den Ku-Klux-Klan hervor und fanden erst 1964 mit dem Civil Rights Act ihr Ende. Für Schwarze Bürger waren Bundesstaaten wie Georgia, Texas oder Mississippi bis dahin gefährliches Terrain. Der schwarze Pianist Nat King Cole wurde etwa bei seiner Konzerttour in den Südstaaten der 1950er-Jahre brutal angegriffen, worauf dieser schwor, nie wieder dorthin zurückzukehren.

Sechs Jahre nach diesem Vorfall den großen Don Shirley auf diese Reise zu schicken, war also ein großes Wagnis. So bekam er den späteren Schauspiel-Star Vallelonga zur Seite gestellt. Tony-Darsteller Viggo Mortensen erhielt für seine Darbietung eine Oscar-Nominierung, Mahershala Ali wurde für seine Don Shirley-Interpretation sogar als Bester Nebendarsteller prämiert.

Viggo Mortensen als Tony Lip (links) und Mahershala Ali als Don Shirley (rechts)

Wo Green Book realen Ereignissen abweichen soll

Auf der Leinwand harmoniert das Schauspiel-Duo prächtig und bildet das Herz des Films. Für die Familie des echten Don Shirley, der 2013 genauso wie der echte Tony Vallelonga verstarb, ist diese Darstellung jedoch eine Zumutung. Als „100% falsch” bezeichnen die Angehörigen die filmische Aufarbeitung der realen Begebenheiten im November 2018. Statt Freundschaft hätten Shirley und Vallelonga nämlich ausschließlich ein Angestelltenverhältnis geführt. Doch was ist damals wirklich geschehen?

Zuletzt gingen alte Audio-Aufnahmen an die Öffentlichkeit, in denen der echte Don Shirley seine Freundschaft mit seinem Fahrer bestätigt. So ist in diesen zu hören, dass es nie eine berufliche Beziehung gewesen wäre. „Er war nicht nur mein Fahrer. Immerhin lag mein Leben in seinen Händen”, so der Pianist in seinen Aufzeichnungen.

Don Shirley: Wenn Duke Ellington auf Tschaikowsky trifft

Den wahren Charakter hinter Donald Shirley zu ergründen, ist tatsächlich gar nicht so leicht. Schließlich wird allein der Geburtsort oft falsch angegeben. Der berühmte Pianist kam nämlich nicht in Jamaika auf die Welt, sondern ist ein gebürtiger Südstaatler aus Florida, Jahrgang 1927. Seine Eltern kamen dagegen tatsächlich aus dem Inselstaat Jamaika, wanderten jedoch von dort in die USA ein.

Sein unglaubliches Talent entdeckte Don Shirley in der Kirche, als er bereits mit drei Jahren Orgel spielte. Den ersten Konzertauftritt als Pianist absolvierte er mit zehn an der Seite der Boston Pops. Virtuosen der klassischen Musik wie Tschaikowsky faszinierten den jungen Künstler, dem jedoch eine Karriere im Jazz nahegelegt wurde. Das amerikanische Publikum würde einen schwarzen Pianisten in der Klassik einfach nicht akzeptieren.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle findest du einen externen Inhalt, der den Artikel ergänzt. Du kannst ihn dir mit einem Klick anzeigen lassen und wieder ausblenden.

Externe Inhalte zulassenMehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

So kam es, dass Shirley sein klassisches Pianospiel mit dem damals boomenden Jazz verband. Michiel Kappeyne van de Coppello, sein Freund und einstiger Studienkollege meinte jedoch, dass Shirley mit dem Jazz eine Hassliebe führte. In Green Book spielt Mahershala Ali eigentlich nur klassische Musik, bis er sich in einer afroamerikanischen Kneipe am Klavier in Begleitung einer Jazzgruppe probiert.

Seinen ungewöhnlichen Mix aus europäischen wie amerikanischen Klängen entwickelte Shirley aber schon vorher, als er sich in diversen Großstadt-Nachtclubs einen Namen machte. Kris Bowers, der die Musik zu Green Book komponierte, hat diesen Stil für den Film übernommen. „Ich habe so etwas nie zu vor gehört”, so der Musiker über die Werke von Shirley. Dieser schrieb auch Stücke für große Namen der Szene, wie das Divertimento  für Duke Ellington, einen der einflussreichsten Jazz-Künstler überhaupt.

Don Shirley kreierte am Klavier einen ganz neuen Stil

Tony Lip: Der heimliche Hollywoodstar

Jedoch ist Green Book keine Geschichte über Don Shirley, sondern die über den weißen Italoamerikaner Frank Anthony Vallelonga. Dass für den Film ausgerechnet diese Perspektive gewählt wurde, stieß nicht wenigen Kritikern sauer auf. Im Film wird Vallelonga alias Tony Lip als Rassist eingeführt, der im weiteren Verlauf seine Vorurteile ablegt und am Ende Shirley sogar bei sich zum Weihnachtsfest einlädt. Ein „weißer Retter”, wie es der Spiegel  missbilligend nennt.

Der echte Tony Lip war damals noch nicht der bekannte Schauspieler, der er später für Filmgrößen wie Martin Scorsese werden sollte. In Titeln wie GoodFellas und Donnie Brasco sowie in der Serie Die Sopranos gab der 1930 in Pennsylvania geborene Lip gerne den klassischen Mafiosi. In den frühen 1960er-Jahren verdiente er jedoch sein Geld noch als Türsteher im New Yorker Nachtclub Copacabana. So bekam er schließlich den Job als Aufpasser und Chauffeur für Don Shirley.

Tony Lip (links) an der Seite von James Gandolfini in Die Sopranos

Wie authentisch muss Green Book sein?

Wie wahrheitsgetreu die Ereignisse des Films während der Reise allerdings wirklich sind, dazu muss man sich größtenteils auf Drehbuchautor Nick Vallelonga verlassen. Der Sohn des 2013 verstorbenen Tony Lip (Don Shirley verstarb im selben Jahr) griff für seine Geschichte auf die persönlichen Erfahrungen und Erinnerungen zurück, die er mit seinem Vater teilte.

Eine für biografische Filme häufig anliegende Autobiografie oder ein vergleichbares literarisches Werk zur Adaption der gemeinsamen Reise durch die Südstaaten gibt es jedoch nicht, weshalb es sich bei Green Book nicht um ein typisches Biopic handelt, mehr um einen Erfahrungsbericht. Wenn die Tragikömödie beginnt, werden deshalb bewusst die Zeilen eingeblendet, die anmerken, dass der Film nicht etwa auf wahren Begebenheiten basiert, sondern von diesen inspiriert wurde.

Einen weiteren Oscar gab es folglich für das Beste Originaldrehbuch (und nicht für die beste Adaption), eine Kategorie, in der meistens fiktive Geschichten als Sieger hervorgehen. Für Nick Vallelonga war die Sache jedenfalls klar: Tony und Don waren seit der Tour einfach sehr gute Freunde und das soll nichts mit Weißer-Retter-Klischees zu tun haben:

Immer wenn Dr. Shirley ein Problem hatte, rief er meinen Vater an und er kam, um zu helfen [...] Sie blieben für eine lange Zeit so gute Freunde und das aus purer Zuneigung. Das hatten sie nie vergessen.

Mehr Überlebens- als Reiseführer: Das steckt hinter dem Green Book

Eine zu Grunde liegende Schrift gibt es dann aber doch, nämlich das titelgebende Green Book. Es wurde erstmals 1936 veröffentlicht und heißt eigentlich The Negro Motorist Green Book. Autor Victor H. Green verfasste es damals als einen Reiseführer für Afroamerikaner. So werden darin Hotels und Gasstätten aufgelistet, die schwarzen Reisenden den Zutritt gewähren, was zu dieser Zeit nicht gerade selbstverständlich war. Das Green Book soll sogar überlebenswichtig gewesen sein.

Das echte Green Book erschien 1936

Es war unser Survival-Guide”, erzählt Leserin Gloria Gardner, deren Familie zu dieser Zeit von Michigan nach Louisiana reiste. „Es war wie eine Bibel zum Reisen, die über Leben und Tod entschied.” Nick Vallelonga hofft sogar, dass die Zuschauer nach dem Film mehr über das Buch erfahren wollen. „Das war ja nicht vor 200 Jahren oder so, sondern mitten in unserer Lebenszeit”, so der Autor des Films. Tatsächlich kann man den Reiseführer noch immer ganz leicht in Buchhandlungen oder auf Amazon  erwerben. Nur brauchen wird man ihn hoffentlich nicht.

Quellen: New York Times , New York Times , Vanityfair , Metro , PBS,  Deadline , Shadow and Act , History 

Wie hat euch Green Book gefallen?

Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News