Mafia-Alltag unzensiert in Gomorrha

08.11.2011 - 15:00 Uhr
Marco Macor in Gomorrha - Reise in das Reich der Camorra
IFC Films
Marco Macor in Gomorrha - Reise in das Reich der Camorra
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Wer einen Schlag ins romantisierte Gesicht des Gangsterfilm-Genres sehen will, der sollte heute Abend seinen Fernseher einschalten. Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra von Mateo Carrone lässt den Schmutz des Gangsteralltags auf der Kameralinse.

Was Der Pate für den Mafiafilm getan hat, tut Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra sicherlich nicht. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Tatsachenroman von Roberto Saviano, der für seine Recherchen jahrelang verdeckt arbeitete und in Kontakt mit vielen Mafia-Vertretern kam. Morddrohungen und ein Aufwühlen des Mafia-Milieus waren die Folge, denn die Namen der Gangster fanden fast unverändert ihren Weg in den Roman.

Der Stoff wurde 2008 von Matteo Garrone verfilmt. Pseudodokumentarisch werden fünf mehr oder weniger lose miteinander verwobene Storias erzählt, die ein erschreckendes Gesamtbild der Neapeler Unterwelt zeichnen. Viele dieser Geschichten drehen sich um die Konkurrenz der Mafia-Clans Scissionisti di Secondigliano und Clan di Lauro. Der tägliche Terror dieser Rivalität zerbricht Freundschaften und Familienbande, zerstört Leben und Karrieren. Am Beeindruckendsten war für mich die Storia di Marco e Ciro (Marco Macor, Ciro Petrone), zwei jungen Nachwuchsmobstern des Clan dei Casalesi. Die beiden wollen so richtige Gangster sein. Wie bei Scarface. Deshalb stehlen sie zuerst eine Drogenlieferung und dann ein kleines Waffenarsenal der Camorra. Sie wollen Auftragskiller sein, im Endeffekt schießen sie aber nur in Unterhosen auf gestrandete Boote.

Die kranke Sozialisierung in den Clans zeigt sich in Kindern, die Giftmüllfässer wegkarren, sich zu Trainingszwecken in Schutzweste auf die Brust schießen lassen (“Gut. Jetzt bist du ein Mann. Bravo!”) oder Freunde und Verwandte in den Tod schicken. Giftmüll-Deals, Kindsmorde, Drive-by Shootings, Erpressung. All das und viel mehr gehört zum Tagesgeschäft der Camorra und wird ohne Veränderung der Mimik mal eben zwischen Mittag und Abendessen geschoben.

Beschönigt wird in Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra nichts. Nur wenige statische Einstellungen gibt es, lieber eine Handkamera. Die Kameraführung von Marco Onorato (und Matteo Garrone selbst) lässt den Film zur geskripteten Doku-Soap werden, die die authentischen Schauplätze nur ein wenig mit Handlung überzieht. Die Plattenbauten und Fabriklandschaften von Neapel wirken durch die Wackelkamera unsicher, als könnte jeden Moment ein Meteorit einschlagen. Letztendlich ist es dann doch nur ein Rollerfahrer mit Uzi. Nur wichtige Figuren wie Don Ciro (Gianfelice Imparato) wurden von Schauspielern verkörpert, viele der Darsteller sind Laien aus der Region Kampanien und bringen ihren eigenen Dialekt oder sogar Namen mit. Einige gehören selbst zur Camorra.

Wer auf Gangsterfilme steht, sollte Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra nicht verpassen. Wer nicht auf Gangsterfilme steht, auch nicht. Beide Geschmäcker werden bestens bedient und bekommen eine Extraportion ungewaschenes Lokalkolorit dazu.

Heute im TV: Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra
Wo: RBB
Wann: 22.45 Uhr

Was läuft bei euch heute im Fernsehen?

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