Ich, Der Leopard und das müde Sizilien

12.11.2011 - 09:06 Uhr
Der Leopard
Koch Media
Der Leopard
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Luchino Visconti machte es seinen Zuschauern in seinen langen Epen nie leicht. Doch mit Der Leopard schuf er einen Film, der viel Liebe verdient, nicht nur weil er eine der besten Literaturverfilmungen aller Zeiten ist.

“Es muss sich alles ändern, damit alles so bleibt, wie es ist.”

Historienfilme können schnell zu langweiligen Abhandlungen oder überdramatisierten Verfälschungen verkommen. In seinen besten Filmen gelingt es Luchino Visconti, genau diesen Gefahren aus dem Weg zu gehen. In Werken wie Sehnsucht und Ludwig II wandelt er gekonnt auf dem schmalen Grat zwischen Verklärung und Schonungslosigkeit. Unter dem scheinbaren Kitsch der ausladenden Kostüme und malerischen Landschaftsaufnahmen verbirgt sich stets eine tiefe Melancholie angesichts der Vergänglichkeit allen Daseins. In Der Leopard hat der adlige Kommunist und Schwule Visconti einer verlorenen Zeit ein Denkmal gesetzt, so dass er Mein Herz für Klassiker mehr als verdient.

Warum ich Der Leopard mein Herz schenke
Zum ersten Mal habe ich Der Leopard nach einen Double Feature von Der Pate und Der Pate 2 gesehen. Immerhin leben diese in Abschnitten ganz wesentlich von der Atmosphäre des ländlichen Sizilien und so wirkt die Wahl im Nachhinein ganz logisch. Der Leopard jedoch überwältigte mich ganz unaufgefordert. Für die Geschichtsstudentin in mir bot der Abgesang auf den italienischen Adel des 19. Jahrhunderts ein ungeheuer dichtes Gemälde der Zeit des Risorgimento, der italienischen Freiheitsbewegung. Mein filmliebendes Herz eroberte der geruhsam inszenierende Luchino Visconti mit seinen langen Einstellungen und den prachtvollen Bildern, die jedoch niemals um ihrer selbst Willen vorgeführt werden.

Warum auch andere Der Leopard lieben werden
Der Leopard ist nicht nur ein Film für Fans aufwändiger Kostüme und weiter Landschaften. In seiner Großtat gelingt es Visconti, die politisch-historische Ebene der italienischen Freiheitsbewegung mit der persönlichen, der emotionalen Ebene zu verbinden. Der Leopard basiert auf dem wunderbaren Roman “Der Gattopard” (so Titel der deutschen Neuübersetzung) des zu früh verstorbenen Adligen Giuseppe Tomasi di Lampedusa. Dieser verarbeitete in der Geschichte um den alternden italienischen Fürsten Salina seine eigene Familienhistorie, was dem warmen, liebevollen Ton des Buches anzumerken ist. Luchino Visconti, Abkömmling des mailändischen Adels, scheint der perfekte Mann gewesen zu sein, um die historische Vision des episodischen Buches mit viel Einfühlsamkeit auf die große Leinwand zu bringen. Dabei hat er den Humor der Vorlage ebenso bewahrt, wie die schwere Atmosphäre Siziliens, das in Buch und Film wie eine eigene, verzauberte Welt, weit abseits vom Festland, wirkt.

Warum Der Leopard einzigartig ist
Der Leopard ist einer jener Filme, in denen sich alle Elemente zu Höchstleistungen vereinen. Visconti selbst inszeniert hier auf der Höhe seiner Kunst. Erwähnt seien die berühmte Ballsequenz, aber auch der großartige Auftakt, in dem sich die Kamera langsam an die Villa der Salina heranwagt, als würde jemand mit neugierigen Augen ein verwunschenes Schloss betreten. Komponist Nino Rota (Achteinhalb, Der Pate) verarbeitet für die musikalische Untermalung vor allem Werke von Giuseppe Verdi, die dem visuellen Prunk entgegen kommen, aber zugleich auch von einer im Vergehen begriffenen Zeit tönen. Zu guter Letzt sind da noch die Schauspieler wie Alain Delon und Claudia Cardinale, die die wilde, freiheitsliebende, aber auch pragmatische Jugend verkörpern. Doch kein Text über Der Leopard kommt ohne eine Lobeshymne auf (Burt Lancaster) aus, der den hochgewachsenen, erhabenen Fürsten Salina gibt. Der blonde Recke Lancaster/Salina wandelt durch die Flure seiner Villen und Landhäuser, während diese Welt um ihn herum auseinanderfällt. Das melancholische an Der Leopard ist, dass sich in Salinas wehmütigen Augen das Wissen um seine eigene Überholtheit wiederspiegelt.

Warum Der Leopard die Jahrzehnte überdauert
In ihrer Opulenz können die Werke von Luchino Visconti heutige Zuschauer verschrecken. Doch selbst wenn einem Ludwig II. zu lang, Tod in Venedig zu selbstverliebt und Sehnsucht zu kalt ist, gibt es in Der Leopard unheimlich viel zu entdecken. Denn Visconti hat nicht nur ein Porträt einer Epoche im Umbruch geschaffen, das in dieser Form seinesgleichen sucht. Ihm, wie auch der Vorlage von Giuseppe Tomasi di Lampedusa gelingt das unwahrscheinliche, nämlich den großen geschichtlichen Zeitverlauf und dessen gesellschaftliche Umwälzung nachempfindbar zu machen. Das geschieht nicht durch Lektionen und Abhandlungen. Vielmehr funktioniert das durch die Annäherung an einen Mann, der den Verlockungen der Moderne nicht abgeneigt ist, aber weiß, dass er in ihr keinen Platz hat.

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