Steven Spielbergs Talent ist eine Unverschämtheit. Vor 32 Jahren hat es mit Jurassic Park ein ungeheuer erfolgreiches Meisterwerk in die Welt geworfen, dem das eigene Franchise seither nur noch hinterherhechelt. Es hat Dinos salonfähig gemacht, den Weg für moderne Blockbuster gewiesen und fünf Fortsetzungen nach sich gezogen, die der Qualität des Originals in drei Dekaden nie das Wasser reichen konnten. Kein echter Fan wird je den ersten Film auf einen zweiten Platz relegieren. Mit anderen Worten: Was will Jurassic World 4: Die Wiedergeburt überhaupt?
Der neue Teil des Dino-Franchise läuft diese Woche, am 2. Juli 2025, in den Kinos an. Sein Titel verspricht einen Neuanfang, nachdem sein Vorgänger Jurassic World 3: Ein neues Zeitalter viele Kritiker:innen enttäuscht hat. Die gute Nachricht ist: Regisseur Gareth Edwards (The Creator) und seinem Cast um Scarlett Johansson ist der beste Film der Reihe seit 2001 gelungen, als Jurassic Park 3 in die Kinos kam. Die Wiedergeburt der Jurassic-Reihe ist bildgewaltig, rasant und hat Charme. Aber er vermasselt eine große Stärke von Spielbergs Erstling: die Menschen.
Darum geht's in Jurassic World 4 mit Scarlett Johansson
Dinos sind langweilig – so denkt jedenfalls die Welt von Jurassic World 4. Klima und Krankheiten haben die Saurier in einen schmalen Gürtel um den Äquator zurückgedrängt. Die Tiere, die in den Parks verbleiben, locken kein Publikum mehr an. Jahrmillionen nach ihrem Aussterben siechen die Urzeitgiganten in den Klatschspalten dahin.
Schaut euch hier den neuesten Jurassic World 4-Trailer an:
Nur die Pharmaindustrie sieht in ihnen noch einen Nutzen: Der aalglatte Krebs (Rupert Friend) heuert eine Söldnertruppe um die hartgesottene Zora Bennett (Johansson) an, um ins letzte Refugium der Saurier einzudringen. Ihr Ziel ist eine einsame Insel, auf der die gefährlichsten Saurier aller Zeiten zurückgelassen wurden. Den drei größten davon soll die Expedition Blut abnehmen, um ein neues Heilserum gegen Herzerkrankungen zu ermöglichen.
Die Jurassic World 4-Story ist extrem simpel und das hat Charme
Wer den letzten Satz mit einem Stirnrunzeln quittiert hat, wird sich über die offensichtlichste Schwäche des Films nicht wundern: ein geradezu übergriffig funktionaler Plot, der nach Retorte und Reißbrett klingt. Wasser-, Land- und Luftsaurier teilen die Geschichte in drei überschaubare Kapitel. Die Dimensionen der Blutspender sorgen für Bildgewalt. Und da die Söldner:innentruppe immer ganz nah an die Tiere heranmuss, ist Action garantiert.
Aber hier zeigt sich auch die erste Stärke des Films: Anstatt die simple Struktur zu verstecken oder mit trotzigem Ernst zu verfolgen, lässt Drehbuchautor und Franchise-Veteran David Koepp (Jurassic Park 1 und 2) die wissenschaftlichen Gründe von Jonathan Baileys Paläontologen Dr. Loomis erklären – die Größe der Saurier sorgt für Resilienz, die Nähe sichert die Entnahme ab, et cetera.
Das muss man nicht überzeugend finden. Aber die Plotstruktur so offenkundig zur Sprache zu bringen, zeugt vom Sinn für das Publikum und einem Funken Selbstironie. Baileys energetischer Professor doziert außerdem mit so viel Charme, dass die Schablonenhaftigkeit dahinter verschwindet.
Scarlett Johansson und ihre Co-Stars füllen Jurassic World 4 mit Leben
Und damit offenbart sich die zweite Stärke von Jurassic World 4: seine hervorragende Besetzung. Alle Stars sind mit Hingabe dabei. Scarlett Johansson changiert zwischen schnippischer Professionalität und knallhartem Ethos, Mahershala Ali gibt gleichzeitig Schlitzohr und melancholischen Weisen. Friends Pharma-Gesandter wirkt so verwirrt wie skrupellos.
Die größte Schwäche von Jurassic World 4 sind die menschlichen Figuren
Aber abseits der Cast-Begeisterung fördern die Figuren auch die größte Schwäche des Films zu Tage. Oft genug greifen Koepps Drehbuch und Edwards' Inszenierung ins Nichts, bleiben Szenen hinter ihren Möglichkeiten zurück. Zora Bennett etwa soll in einer Szene das Trauma ihres letzten Einsatzes aufarbeiten. Aber das Gespräch zwischen ihr und Loomis ist ein Austausch von Plattitüden, ein Benennen von Problemen statt eines Vermittelns von Gefühlen. Ähnlich verhält es sich mit einigen humorvollen Pointen, die entweder mangels angemessenen Rhythmuses oder kreativer Dialoge im Sande verlaufen.
Das ist besonders schade, weil der Film sich der menschlichen Wärme von Spielbergs Erstling eigentlich wieder annähert. Hier gibt es keine angestaubten Romanzen, keine eindimensionalen Karikaturen, keine Hauptrollen, die sich anfühlen wie die Kopien größerer Vorbilder.
Manuel Garcia-Rulfos gestrandeter Familienvater etwa, der mitsamt Töchtern und Anhang von Zora Bennet und ihrer Truppe gerettet werden muss, ist eine so spannende Figur – ein Hauch von Patriarch, der seine Macht gerne gegen die Zuneigung seiner Töchter eintauscht, ein Hilfloser im Angesicht der neuen Generationen, ein Mann der Prinzipien, der sich am Ende doch neuen Lektionen öffnet. Und auch wenn viele Szenen dieses Potenzial offenbaren: Zum Ausbruch kommt es nie, genauso wenig wie bei Zora Bennett oder Mahershala Alis Duncan oder Friends Pharma-Vasallen, nie explodiert die Wut oder wimmert die Trauer oder dröhnt der Witz.
Das war im ersten Jurassic Park, an dem sich Edwards' Film ausdrücklich orientiert, noch anders – hier wand sich Sam Neill wirklich in moralischen Schmerzen, Jeff Goldblums wortgewaltige Arroganz war urkomisch, und wenn Fiesling Nedry (Wayne Knight), der den ganzen Film über gekeift und gespottet hatte, schließlich elendig in Schlamm und Dauerregen krepiert, ist man so befriedigt wie betroffen.
Der glänzende Cast verantwortet, dass man die Figuren gern hat – so wie man einen besonders putzigen Hund gern hat, an dem man vorbeigeht. Charmant und sympathisch und mühelos segeln sie durch den Film, alle auf eine seltsam unvollständige Art menschlich, und am Ende ein bisschen zu leicht, um bleibenden Eindruck zu hinterlassen.
Glücklicherweise retten den Film die Bestandteile, die allen sechs bisherigen Filmen ein Rückgrat geboten haben – Bildgewalt und Action.
Bildgewaltige Action macht aus Jurassic World 4 einen fesselnden Abenteuerfilm
Die Dino-Action in Jurassic World 4 ist über weite Strecken sehr packend. Insbesondere eine Sequenz, die bereits im ersten Jurassic Park Verwendung finden sollte, fällt ins Auge: Hier verfolgt ein T-Rex die gestrandete Familie Delgado, die in einem Schlauchboot vor dem gigantischen Saurier zu fliehen sucht. Später attackiert eine Gruppe von mutierten Raptoren die Held:innen in einer Tankstelle und durchsucht blutrünstig den Tankstellen-Shop nach einem versteckten Kind.
Dinos verursachen wieder Angst
Jurassic World 4 bringt in solchen Momenten Dinosaurier als die Horror-Kreaturen zurück, die schon im Erstling für Gänsehaut sorgten. Auch der neu hinzugekommene D-Rex wird von Edwards wie Spielbergs weißer Hai inszeniert – eine monströse Bedrohung, die für lange Zeit in den Schatten verborgen bleibt.
Minuziös konstruierte Sets unterstützen die dichte Atmosphäre: Ein verlassenes Labor etwa, das mit seinen gelben Neonlampen und weißen Oberflächen an die Alien-Reihe erinnert, vermittelt eine Atmosphäre finsteren Grauens. Wahre Ehrfurcht entfachen dagegen die wunderschönen Naturaufnahmen, wenn die Protagonist:innen an der Inselküste stranden oder sich durch das Dickicht des Dschungels schlagen müssen.
Fazit: Jurassic World 4 ist ein Abenteuer-Highlight mit einer großen Schwäche
Das Resultat ist ein richtig unterhaltsamer Abenteuerfilm, der viele Ansätze des meisterhaften Erstlings effektiv verfolgt und richtig daran tut, den gigantomanischen Fokus seiner drei Vorgänger wieder einzugrenzen. Er sieht toll aus, ist brillant besetzt und wird saturierte Dino-Fans wieder das Fürchten lehren. Was will Jurassic World 4 also? Sofern der Film die Reihe zu ihren Wurzeln zurückführen soll, liefert er solide Arbeit.
Aber er scheitert an der vielleicht größten Erkenntnis von Jurassic Park: Es sind die menschlichen Figuren und nicht die mit beachtlichen Effekten zum Leben erweckten Dinosaurier, die das Meisterwerk seit 32 Jahren in den Herzen der Fans verankern. Steven Spielberg war immer das Genie des berührenden Blockbusters – und hat damit eine Ära milliardenschwerer Franchise-Maschinen begründet, die eine Nachahmung seines Talents fast unmöglich machen. Das ist seine wahre Unverschämtheit.
Jurassic World 4: Die Wiedergeburt läuft ab dem 2. Juli 2025 in den deutschen Kinos.