Er ist einer der mächtigsten Menschen der Welt. Er braucht keinen Reisepass. Das erklärt Benicio del Toros Geschäftsmann Zsa-zsa Korda in Der Phönizische Meisterstreich, dem neuen Film von Wes Anderson. Korda ist mehreren Attentatsversuchen entkommen. Er bestimmt beim Frühstück über Hunger und Prosperität in fremden Ländern und falls sein Flugzeug abstürzt, setzt er sich tiefenentspannt an den Steuerknüppel. Einflussreiche Lenker wie er brauchen keinen Pass, denn sie brauchen auch keine Menschenrechte. Sie stehen über der konventionellen Vorstellung von Recht oder Gesetz.
Wes Andersons unerwartet Action-reiches Spionage-Abenteuer, das bei den Filmfestspielen in Cannes im Wettbewerb um die Goldene Palme läuft, eröffnet deshalb die Frage, wie viel "Mensch" überhaupt in solch einem Geschäftsmann steckt. Und lädt dazu eine Riege von Hollywood-Stars, eine kommunistische Guerilla-Truppe, eine werdende Nonne und einen goldigen Michael Cera als Insektenspezialisten vor die Kamera.
Mit Der Phönizische Meisterstreich kehrt Wes Anderson nach seinem Netflix-Ausflug ins Kino zurück
Andersons jüngste Werke, die Roald Dahl-Verfilmungen bei Netflix und der Retro-Science-Fiction aus Asteroid City, setzten auf große Ensembles mit vielen kleinen untereinander verbundenen Episoden. In Der Phönizische Meisterstreich gibt es hingegen einen echten Hauptdarsteller und der heißt Benicio del Toro.
Inspiriert wurde sein Mega-Tycoon weniger von den Trumps und Musks dieser Welt. Wes Andersons eigener Schwiegervater, der libanesische Geschäftsmann Fouad Malouf, diente als eines der Vorbilder. Fiktive und echte europäische Film-Bosse der 1960er – man denke an Carlo Ponti – speisten ebenfalls das Porträt des Machers Zsa-zsa Korda. Dessen Name ist selbst ein Referenzbündel mit direktem Bezug zu einer bekannten Filmemacherfamilie.
Hier ist der Trailer für Wes Anderson neuen Film:
Besagte Attentatsversuche nagen an dem Geschäftsmann, ebenso wie Sorgen über sein Vermächtnis. Korda ist dem Tod von der Schippe gesprungen, aber jetzt muss er mit dem Gedanken an ihn leben. Der mit neun Söhnen und einer Tochter gesegnete Korda erwählt deswegen die angehende Nonne Liesl (Mia Threapleton) als Erbin seines gesamten Vermögens. Will er damit nur seine Konkurrenz austricksen oder hat er sentimentale Beweggründe?
Was ist denn nun der Phönizische Meisterstreich?
Der titelgebende "Phönizische Meisterstreich" treibt die Story an und seine Pläne verstecken sich in mehreren Schuhschachteln, die als Kapitel herhalten. Es ist ein gewaltiges Infrastrukturprojekt im (mittlerweile) fiktiven Land Phönizien im Nahen Osten. Ein gigantischer Damm, ein Tunnel, ein Kanal – sowas eben. Korda will mit diesem Projekt einen Haufen Kohle einbringen und nebenbei die ganze Region befruchten. Ein megalomanischer Plan, wie er im Buche steht (und sich in der Realität, z.B. Saudi-Arabiens, großer Beliebtheit erfreut).
Dafür muss er allerdings zu einer Reihe von Konsortien, Gangs und von Scarlett Johanssons utopischer Kommune. Er braucht ihre Finanzierung. Natürlich tut er das mit Liesl, dem Hauslehrer Bjorn (Michael Cera) und weiteren Attentatsversuchen im Schlepptau. Daraus basteln Wes Anderson und sein Ko-Autor Roman Coppola wie gewohnt ein Sammelsurium an detailverliebten Bauten, kauzigen Bekanntschaften und knuffigen Dialog-Perlen.
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Das Spionage-Abenteuer gehört trotz Tom Hanks und Scarlett Johansson nur einem: Benicio del Toro
Andersons neuer "Meisterstreich" erreicht nicht wirklich die Fülle an Weltschmerz eines Grand Budapest Hotel oder auch den einen unvergesslichen Moment à la Asteroid City (Stichwort: Balkon). Dafür ist der Plot zu beschäftigt mit seinen Schuhschachteln. In einer davon treten Benicio del Toro und Riz Ahmed gegen Tom Hanks und Bryan Cranston beim Basketball (!) an. Wer will sich schon darüber beschweren, Hanks und Cranston zuzusehen, wenn sie wie die Erben von Steph Curry einen Dreier nach dem anderen versenken?
Die Vater-Tochter-Beziehung im Mittelpunkt des Films stellt nichtsdestoweniger eine fruchtbare emotionale Komponente sicher, die bei Wes Andersons Filmen nicht selbstverständlich ist. Benicio del Toro spielt Korda mit der Aura eines großen Mannes, der nicht auf roten Teppichen, sondern schlicht auf einer anderen Ebene des Daseins existiert. Ihm zuzusehen, wie Korda langsam auf dem Boden und damit auf Augenhöhe mit seiner Tochter landet, ist die große Stärke von Der Phönizische Meisterstreich.
In einigen seiner anderen Filme schwebt Anderson selbst wie ein Korda über den Dingen. Er kreiert seine eigene Realität, mit Sets und Marionetten, die wie millionenschwere Schauspieler aussehen. In seinem neuen Film tritt er nicht in die Falle. Wes Anderson hat mit Der Phönizische Meisterstreich nicht seinen besten, aber einen verletzlichen Film gedreht. Darin ist er als fragender und zweifelnder Autor, Vater, Sohn so präsent wie selten.
Wir haben Der Phönizische Meisterstreich beim Filmfestival in Cannes gesehen, wo er im Wettbewerb um die Goldene Palme läuft. Der neue Film von Wes Anderson startet am 29. Mai in den deutschen Kinos.