Netflix' The Innocents: Tote Mädchen lügen nicht für Mystery-Fans

24.08.2018 - 11:30 UhrVor 5 Jahren aktualisiert
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Nach Stranger Things und Dark versorgt uns The Innocents mit dem Teen-zentrischen Mystery-Feeling bei Netflix. Lest hier, was euch in der britischen Young Adult-Serie erwartet und ob sich der Klick auf den Player lohnt.

Packt eure Pinnwände, blutroten Fäden und verwaschenen Phantombilder wieder ein, The Innocents ist nicht diese Art von Mystery-Serie. Das britische Netflix Original erinnert in seiner Vermarktung an das deutsche Pendant Dark, das explizit dazu einlud, sich Notizen über Zeitebenen und verwandtschaftliche Verhältnisse zu machen. In beiden Serien geht es um verängstigte junge Leute, die lange keinen blauen Himmel mehr gesehen haben - so zumindest die Werbung. Auch Dark hat sein Geheimnis in der 1. Staffel nicht ganz gelüftet, doch wo die sehenswert dicht erzählte deutsche Produktion ihre Laufzeit damit verbrachte, mehrere Generationen einer Kleinstadt mit Rumpelstilzch'schem Eifer in sein Plot-Garn zu verspinnen, hebt sich The Innocents durch seinen angenehm vagen Mystery-Anteil ab. Im Vordergrund stehen Ängste des Erwachsenwerdens, Ängste vor dem eigenen, sich wandelnden Körper, aber auch solche vor dem Begehren fremder Körper. Zwei Teenies sind die Unschuldigen. Sie sind verliebt, sie wollen frei sein, sie hauen von zu Hause ab. Eine Anmerkung noch: Sie können sich in andere Menschen verwandeln.

Worum geht es in The Innocents von Netflix?

Zunächst entführt uns The Innocents allerdings nicht in die bräunlich grünen Täler von Yorkshire, wo die Schüler June (Sorcha Groundsell) und Harry (Percelle Ascott) sich heimlich Briefe schreiben, sondern in die Fjorde Norwegens. Da führt der geheimnisvolle Halverson (Guy Pearce) ein Verhör durch, mit einer Auffälligkeit: Im Verhörraum beantwortet ein stämmiger bärtiger Kerl Fragen - und hinter Halverson sehen wir denselben Kerl auf der Couch liegen. Nur das Weiße in seinen Augen ist sichtbar. Das Mysterium in dieser übernatürlichen Teenie-Romanze wird eröffnet in diesem Prolog, nun geht die Reise nach Yorkshire, wo June und Harry planen, wegzulaufen, als wäre es The End of the F***ing World. Während Harry von der Verantwortung für die Pflege seines kranken Vaters überfordert scheint, wirken Junes Umstände besorgniserregender. Ihr Vater (Sam Hazeldine) kontrolliert jeden ihrer Schritte und ihre - mit Beruhigungsmitteln angereicherte - Diät. In dieser Familie stimmt ziemlich viel nicht. Junes Bruder (Arthur Hughes) leidet an Platzangst und schützt sich vor den erdrückenden Hügeln Yorkshires, in dem er den ganzen Tag Netflix-Anime schaut (B: The Beginning, um genau zu sein). Also hauen Harry und June eines Nachts ab. Alles scheint perfekt, die große weite Welt und eine Gummitierpackung stehen ihnen offen. Doch schon bald merken sie, dass sie verfolgt werden - und damit sind nicht ihre Eltern gemeint.

The Innocents

Losgelöst von der Kontrolle ihres Vaters entdeckt June unfreiwillig ihre Kräfte. Plötzlich findet sie sich im Körper eines ihrer Verfolger wieder, dem Hünen Steinar (Jóhannes Haukur Jóhannesson aus Atomic Blonde und Game of Thrones). Mehr noch als Guy Pearce bildet Jóhannesson als Verfolger das Mystery-Rückgrat der ersten Folgen von The Innocents und das ohne wie ein 08/15-Bösewicht zu wirken. Neben den Teenies spielt er vielmehr die einnehmendste, weil kaum weniger verwirrte Figur (auch wenn er Leuten ab und zu die Nase blutig schlägt).

Bei den Verwandlungen in The Innocents wird der CGI-Einsatz auf ein effektives Minimum begrenzt. Unter der Haut tumorartig sprießende Knochen drängen sich der Vorstellung auf, wenn June auf ihre plötzlich klobigen Hände blickt. Der Körperhorror pubertärer Verwandlung wird so in die Mystery-Erzählung verwoben. Dabei mag der Einsatz der Computer-Effekte stellvertretend für die ganze Serie stehen, die ihre stärksten Momente in symbolträchtigen Andeutungen entwickelt. Die Geheimnisse bleiben greifbar genug, um den Faden nicht zu verlieren, aber gleichzeitig unscharf genug, damit die Atmosphäre der Angst und Verfolgung aufrechterhalten wird.

Das Geheimnis ist ein Nebendarsteller in The Innocents

Atmosphäre ist das zweithöchste Gut in The Innocents, für das auch die Regisseure Farren Blackburn (The Fades) und Jamie Donoughue (The Last Kingdom) Sorge tragen. Das beginnt bei den Drehorten. Die einsamen Weiten Yorkshires bieten die ideale Umgebung für schaurige Geheimnisse, das wusste schon David Peace in seiner (mit Andrew Garfield verfilmten) Red Riding-Trilogie. Ähnliches gilt für die gelegentlichen Abstecher zu Guy Pearce in Norwegen, der in einer Art Spin-off des Thrillers Thelma zu hausen scheint. In dem zieht eine junge Frau in die weite Welt hinaus. Zwischen Hörsaal und Bibliothek entdeckt sie ihre Superkräfte und ihre Sexualität. Wie bei Thelma oder aber Rogue aus den X-Men-Filmen herrscht bei June aus The Innocents die Angst vor dem vor, was ihr plötzlich fremd wirkender Körper zu leisten im Stande ist.
The Innocents

Hauptdarsteller in The Innocents bleiben die verliebten Jugendlichen, was als Segen wie Fluch der Serie betrachtet werden kann. Die wiederholten romantischen Bezeugungen haben vor dem Hintergrund des übernatürlichen Genre-Einschlags extra Gewicht. Bei Harry, so das Versprechen ihrer gemeinsamen Flucht aus den erstickenden Geheimnissen, findet June zu sich selbst. Selbst wenn sie mit fremden Klamotten in einer Badewanne sitzt, einen Bart trägt und 30 Zentimeter gewachsen ist.

Die Ernsthaftigkeit, mit der die Schöpfer Hania Elkington und Simon Duric den Ängsten und Hoffnungen ihrer jungen Helden begegnen, zählt zu den herausragenden Elementen von The Innocents. Es ist und bleibt eine Teenager-Serie, mehr Tote Mädchen lügen nicht als Dark. Gleichzeitig lässt sich ein Verdacht nicht abschütteln. Solange die Superkräfte in den Coming-of-Age-Aspekt hineinspielen, bewegt sich The Innocents auf der selbstsicheren Seite. Mit der Lüftung der Geheimnisse allerdings dürfte die Serie stehen und (vermutlich eher) fallen.


Die acht Folgen der 1. Staffel von The Innocents stehen ab heute bei Netflix zum Abruf bereit. Grundlage des Serien-Checks waren die ersten vier Folgen der Serie.

Habt ihr Lust auf The Innocents?

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