Oscar 2018 - Hollywood klopft sich auf die Schulter

05.03.2018 - 10:00 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Shape of Water
20th Century Fox/A.M.P.A.S.
Shape of Water
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Die Preise überstrahlten die Verleihung beim Oscar 2018, der die Wut der Golden Globes gegen eine selbstzufriedene Freude über den schleppenden Wandel der Filmindustrie tauschte.

Es hakte ein bisschen. Da hatte sich gerade Guillermo del Toro für den Oscar für den Besten Film bedankt, einer seiner Kollegen wollte es ihm gleichtun. Die Rausschmeißer-Musik setzte ein. Moderator Jimmy Kimmel gab kurzfristig den lieben Onkel, fragte den frisch gebackenen Preisträger, was er denn zu sagen habe. Wie bei einem Kind, das auf dem Spielplatz quengelt. Shape of Water - Das Flüstern des Wassers sei Del Toros Leben, ein Herzensprojekt, hörten wir noch heraus, bevor die Musik wieder alles zudröhnte. Die Verleihung wollte schließlich abgewickelt werden, und das wurde sie auch. Das Aufatmen im Saal war zu diesem Zeitpunkt schon wieder verklungen. Der Oscar für den Besten Film hatte den korrekten neuen Besitzer gefunden, kein Umschlag wurde verwechselt. Die Geschichte wurde vielmehr zum 51. Jubiläum von Bonnie & Clyde zurechtgerückt. Eine liebe Geste war es, den Fehler von PricewaterhouseCoopers wiedergutzumachen und den beiden Hollywood-Legenden Warren Beatty und Faye Dunaway beim Oscar 2018 einen zweiten Durchlauf zu ermöglichen. Es war eine Verleihung, in der endlich mal alles richtig gemacht werden sollte. Nur geschah das zum Leidwesen der Unterhaltung.

"Das Gewissen der Nation" im Dolby Theatre

Als Jimmy Kimmel vor einem Jahr für die Oscars antrat, war er noch nicht das Gewissen der Nation. Völlig irrsinnige Walter Cronkite-Vergleiche gab es damals nicht. Einen öffentlichkeitswirksamen Kampf um die Gesundheitsversorgung in den USA später stand Kimmel an diesem Sonntag wieder auf der Bühne des Dolby Theatres. Seine Aufgabe war einigermaßen unmöglich: durch eine Verleihung führen, die 90 Jahre Oscars für ein Publikum feiern soll, dem dieses Erinnerungsvermögen nicht zugetraut wird. Einerseits. Andererseits das Erbe einer Industrie würdigen, von dem sich diese gerade mühsam zu distanzieren sucht. Und, zu guter Letzt, diesen Befreiungsschlag feiern, der längst nicht davor gefeit ist, ins Schattenboxen abzugleiten. Die Unterhaltung litt zwangsläufig unter den Bemühungen, all die kleinen und gewaltigen Widersprüche beim Oscar 2018 zu glätten. Kimmel gab sich im Auftaktmonolog sichtlich Mühe, den richtigen Ton zu treffen, unbedachte Äußerungen zu meiden. Er wechselte zwischen sarkastischem Zorn und aufrichtigem Respekt. Einen Hofnarr suchte man vergebens. Dieser Moderator ist in der Zwischenzeit angekommen in den Reihen der auf Protest gestimmten Stars. Vielleicht verschwand er später deswegen über weite Strecken der Verleihung. Improvisierte Fehltritte wollte sich hier offenbar niemand leisten. Was bleibt von der Comedy, wenn man das Risiko subtrahiert?

Get Out

Die Weinsteins dieser Welt bekamen ihr Fett weg, nicht zuletzt, als in einem der verdienteren Momente echten Pathos' Ashley Judd, Salma Hayek und Annabella Sciorra auf der Bühne standen, alle drei gehören zu den Opfern von Harvey Weinstein. Letztere hatte Weinstein vorgeworfen, sie vergewaltigt und ihre Karriere sabotiert zu haben . Ein "Es ist gut, wieder da zu sein" hörten wir, das ebenso von Herzen kam wie das Zittern und Zögern in der Stimme. In dieser Aufregung allein schwingen so viele Untertöne mit über die durch Weinstein und ähnliche Täter verlorenen Jahre und Talente. Im Aufmarsch der Bekenntnisse und Reden und Montagen ging der Moment beinahe unter. Eine Montage feierte den Kampf für Diversität und Gleichberechtigung und ein halbes Dutzend anderer diffuser Themen. Eine andere zückte die dramatischsten Momente aus Kriegsfilmen wie Der Soldat James Ryan für eine Danksagung an die realen Truppen. Um die fiktionale Überhöhung des Krieges mit leidenden Star-Gesichtern zu verwenden, um den Dienst realer Soldaten und Veteranen zu ehren, braucht es schon eine sonderbare Fantasie. Sushi-Sex ist nix dagegen!

Ein Selfie für ganz Hollywood

Es ist ein schmaler Grat zwischen wütendem Protest gegen die da oben und ritualisierter Proklamation, um die Stimmung in der Truppe zu halten. Bei den Golden Globes überwog noch die in Schwarz gekleidete Wut. Bei den Oscars ging es wesentlich geordneter zu, nicht nur mangels Schampus. In den letzten Wochen sind die notwendigen Aufdeckungen im Zuge der MeToo-Bewegung abgeflaut. Die Industrie hat eine Art Häutung durchlaufen, alles sieht etwas grüner und frischer aus. Der Organismus funktioniert noch genauso wie vorher. Die Oscars bieten keine Bühne für die nötige Introspektion, sie sind ein Selbstporträt Hollywoods, an dem Tausende Menschen (und ein BB-8) teilhaben. Dieses güldene Selfie hat was. Er sieht z. B. so aus wie Daniela Vega, die als erste offene Trans*person einen Oscar verleihen konnte. Verschandelt wäre das Selbstbildnis ausgefallen, hätte Three Billboards Outside Ebbing, Missouri den Oscar für den Besten Film gewonnen. Dessen Minoritäten dienen primär dem sadistischen Gaudi einer heteronormativen Erzählerperspektive. Die kann man im besten Falle auf eine grundsätzliche Verachtung der eigenen Zuschauer zurückführen, im schlimmsten auf die Mentalität von Autor-Regisseur Martin McDonagh selbst.

Three Billboards Outside Ebbing, Missouri

Filmisch gab es davon abgesehen wenig zu kritisieren beim Oscar 2018. Die Blade Runner 2049-Fraktion konnte ihren Preis für Roger Deakins (endlich) feiern, Get Out von Jordan Peele erhielt immerhin die Auszeichnung für das Beste Originaldrehbuch, die inoffiziellen Lebenswerk-Oscars für Allison Janney und Gary Oldman gehen auch irgendwie klar, obwohl die Filme nicht zu ihren stärkeren gehören. Selbst als Three Billboards-Verächterin fällt es mir schwer, eine Tirade gegen den Preis von Frances McDormand anzuleiern. Bei Sam Rockwell bröckeln die Sympathien dagegen schneller. Das Warten auf den ersten Oscar für einen der noch immer risikofreudigsten Schauspieler hält nämlich weiter an: Willem Dafoe.

Ein gutes Jahr

Es war bei aller Kritik an der Verleihung einer der stärksten Jahrgänge im Best Picture-Feld seit der Ausweitung der Nominierten 2009. Filmische Vielfalt dominierte, Oscar-Ware nach Kampagnen-Schablone blieb weitgehend aus. Selbst Die dunkelste Stunde hatte immerhin den Esprit des Duos Joe Wright (Regie) und Bruno Delbonnel (Kamera) zu bieten. Die vermehrte Trennung von Regie und Film in den letzten Jahren sowie die Schauspielerpreise für Three Billboards machten einen Sieg von Shape of Water dabei alles andere als offensichtlich, obwohl der Film als Favorit ins Rennen ging. Es blieb bei 4 Oscars trotz 13 Nominierungen. Ob wir mit dem veränderten Wahlsystem noch einmal Durchläufe wie bei Titanic oder Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs erleben werden, bleibt weiter fraglich. Ich vermisse sie nicht.

Was ich lieber sehe: Wie die Academy Horror und Fantasy wertschätzt, selbst wenn sie nicht als Krönung eines Hunderte Millionen Dollar teuren Studio-Projekts reingeschmuggelt werden. Der Lebensfunke solcher verqueren Projekte verdankt sich nicht selten dem rückhaltlosen Engagement ihrer Schöpfer. Eines Jordan Peele, der seine sozialsatirische Horrorvision bei Blumhouse umsetzte. Oder eines Guillermo del Toro. Über dessen Leidenschaft wollte der Kollege sprechen, als die Musik wieder einsetzte. Die Leidenschaft aber ist in jedem Frame von Shape of Water zu spüren, der sich mit seinem Aufstand der Andersartigen gegen das Monster Michael Shannon hervorragend in den Zeitgeist fügt. Es ist ein unerwartet seltsamer Sieger für eine Verleihung, die sich nach der legendären Panne in die Ordnung flüchtete.

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