Ist Klara Blum (Eva Mattes) daran Schuld, dass in Tatort: Nachtkrapp ein Kindermörder umgeht? Diese Frage stellt der neue Tatort vom Bodensee zumindest indirekt, in dem er einen alten Fall aufwühlt. Vor fünfzehn Jahren brachte sie einen mutmaßlichen Täter hinter Gittern, nun kommt es zu einem vergleichbaren Mord im selben Schullandheim. Die Schuldfrage durchzieht diesen neuen Fall der erfahrenen Ermittlerin. Doch obwohl Regisseur Patrick Winczewski und Autorin Melody Kreiss besonders gegen Ende starke Bilder finden, bleibt auch dieser Konstanzer Tatort in den Fesseln seiner Konventionen gefangen. Souveränität geht hier einher mit einer gewissen Altersmüdigkeit.
Lokalkolorit: Das Schullandheim Sonnenhain kommt seinem Namen nicht wirklich nach. Kalt und verlassen wirken die Gemäuer des Heims, genauso wie die von Nebelschwaden durchzogene Landschaft rund um den Bodensee. Die lebhaften Kinder, die zu Beginn noch Fußball spielen, wirken in dieser verlassenen Gegend fast fehl am Platz. Dass hier das ein oder andere dunkle Geheimnis gehegt und gepflegt wird, überrascht nicht. So passt es, dass die sonnige Alpenlandschaft ausgerechnet dann Überhand gewinnt, als Klara Blum mit ihrem früheren Wunschtäter und damit ihrer eigenen Schuld konfrontiert wird. Die Wahrheit kommt sprichwörtlich ans Licht.
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Plot: Der Nachtkrapp geht um. Das ist zumindest die Geschichte, mit der sich die Jungen vorm Einschlafen gruseln. Am nächsten Morgen ist einer von ihnen tot, doch war es das Wesen aus den Schauermärchen, der in Freiheit befindliche verurteilte Sexualstraftäter oder doch der nette Sohn des Heimleiters mit dem, nachgewiesenermaßen offensichtlichen, Milchgesicht. Um jedem Klischee zumindest scheinbar aus dem Weg zu gehen, wird wenigstens der Pfaffe in diesem Tatort schnell ausgeschlossen. (Nur weil einige von uns vom rechten Weg abgekommen sind, heißt das nicht, dass sie alle von uns diffamieren können.)
Unterhaltung: Zugegeben atmosphärische inszeniert, verlässt sich Tatort – Nachtkrapp in seiner zweiten Hälfte leider all zu sehr auf hanebüchene Wendungen. Der Hauptverdächtige Nussbaum (Hansa Czypionka) scheint es seinem unschuldig verurteilten Kollegen aus Tatort: Hochzeitsnacht nachmachen zu wollen und entführt mal eben die Kommissaren, um die Polizei zu erpressen und sich in trauter Zweisamkeit äußerst glaubhaft in die Gedanken eines Kindermörders hineinzuversetzen. Ja, so gewinnt einer Vertrauen, der 15 Jahre im Gefängnis saß! Eine Konfrontation Klara Blums mit ihrem eigenen Versagen in Gestalt dieses Mannes ist eine dramaturgische Notwendigkeit für die eher phlegmatische Veteranin. Aber muss besagtes Treffen so konstruiert wirken?
Tiefgang: Die Schuld, jene, die sie abwälzen auf andere und jene, die sich in sie hineinsteigern, durchzieht diesen Tatort. Vom Gottesmann, der die Tür aufließ, über den Jungen, der das Bett tauschte, bis hin zum Täter, der sich am Ende das Leben nimmt. Tatort – Nachtkrapp entfaltet ein ganzes Netz von indirekt Beteiligten, die durch Unachtsamkeit oder wider besseres Wissen eine unglaubliche Tat begünstigten und damit nun Leben müssen. Klara Blum gehört dazu, ebenso wie Nussbaum, der einst den Jungen in den Wald gehen ließ, den Täter sah, aber nicht handelte. Von seinem vergrößerten Figurenensemble bleibt der ansonsten jedoch vorhersehbare Tatort überfordert. Der sonst so erfrischende Perlmann wirkt überflüssig, der Handlungsstrang des Schweizer Ex-Geheimdienstlers Lüthi läuft nirgendwohin. Erst wenn Klara Blum am Ende ins neblige Wasser watet, um den Jungen Moritz und im Grunde auch ihr Seelenheil zu retten, findet der Tatort für kurze Zeit zu sich.
Mord des Sonntags: Wir sehen nicht, wie Beat getötet wird, doch die nüchternen Erzählungen des Gerichtsmediziners tun ihr Übriges.
Zitat des Sonntags: “Wo ist der Junge? – ”Beim Nachtkrapp."
Wieder einmal ein durchschnittlicher Tatort aus Konstanz war das. Oder seht ihr das anders?