Amazons Superhelden-Satire The Boys ist eine der besten Serien, die es derzeit zu sehen gibt. Das ändert sich auch in Staffel 4 nicht, die ihr komplexes Ensemble mit zahlreichen Handlungsfäden meistert und wieder mit reichlich schockierenden, schamlosen und manchmal versauten Highlight-Momenten auftrumpft. Aber eine Sache stört den Seriengenuss für mich gewaltig.
Inmitten von blutigen Exzessen, Gewalt und Tod ist The Boys in einem Punkt erschreckend zurückhaltend. Wo Serien wie House of The Dragon oder The Walking Dead mit Unberechenbarkeit die Spannung hochhalten, fehlt der sonst so harten Superheldenserie der Mut, die eigenen Hauptfiguren zu töten. Das ist ein Problem.
Achtung, es folgen Spoiler zu The Boys Staffel 4, Episode 7:
Nach 4 Staffeln ist The Boys zu durchschaubar geworden
Stan Edgar bringt es in Staffel 4 treffend auf den Punkt: "Es kommt einem wahren Wunder gleich, dass sie es alle geschafft haben, so lange zu überleben."
Seit nunmehr 4 Staffeln tobt der Kampf zwischen Billy Butchers The Boys und den korrupten Supes dieser Welt. Ein Markenzeichen der Amazon-Serie ist dabei der extrem hohe Gewaltgrad. Seit der allerersten Szene, in der eine junge Frau vom superschnellen Helden A-Train in Tausend Teile zerfetzt wird, übertrumpft sich The Boys in Sachen kreativer Gore-Szenen immer wieder aufs Neue.
Gliedmaßen werden regelmäßig abgetrennt, mal werden Geschlechtsteile gesprengt und Charaktere sterben wie die Fliegen. Nur leider wird in Staffel 4 ziemlich deutlich, nach welchem Muster The Boys vorgeht, wenn es um die tödlichen Schockmomente geht: Niemand ist sicher, außer die Hauptfiguren. Jede. Einzelne.
Natürlich sterben in The Boys zahlreiche Figuren und so mancher Tod geht überraschend ans Herz. Wenn wir uns die Kernbesetzung – Butcher, MM, Hughie, Frenchie und Kimiko, Homelander, Starlight, A-Train und The Deep – anschauen, scheint sich die Amazon-Serie einfach nicht zu trauen, wirklich schmerzhafte Tode erzählen zu wollen.
Klar: Mit Black Noir musste in Staffel 3 erstmals eine richtige Hauptfigur ihr Leben lassen. Doch Showrunner Eric Kripke und sein Team haben diesen Schock direkt eine Staffel später direkt entkräftet – und uns einfach einen neuen Black Noir vorgesetzt. Um die eigenen Protagonist:innen zu schützen, führt The Boys immer wieder neue (Supe-)Charaktere ein, die im Anschluss als Kanonenfutter dienen. Hier ein Überblick des auffälligen Todesmusters (Staffel 1 mal ausgeklammert):
- Tode in Staffel 2: Lamplighter, Blindspot, Doppelganger, Shockwave
- Tode in Staffel 3: Stormfront, Gunpowder, Swatto, Supersonic, Crimson Countess, TNT Twins, Termite, Blue Hawk, Mindstorm
- Tode in Staffel 4: bisher Splinter, Tek Knight und Webweaver
Auch so manch andere langjährige Nebenfigur hat es schon getroffen. Aber die zentralen (Anti-)Held:innen scheinen unantastbar. Und so fällt es mir mittlerweile schwer, wirklich mitfiebern zu können. Ein Risiko, dass Homelander, Butcher, Hughie und Co. sterben könnten? Es existiert nicht. Die jüngste Staffel 4-Episode ist der beste Beweis.
The Boys verpasst in Staffel 4 wieder die Gelegenheit, jemanden zu opfern
In der siebten Folge von Staffel 4 liefern sich Starlight und Butcher einen intensiven Kampf mit den Seven-Mitgliedern Deep und Black Noir. Jeder von ihnen ist bereit, zu töten. Und obwohl auch A-Train und MM mitmischen, kommen wirklich alle Beteiligten ungeschoren davon. The Boys hat damit die ideale Gelegenheit für einen Schock-Tod verpasst.
Vor allem mit Blick auf den "Tierliebhaber" Deep hat The Boys gerade den perfekten Todeskandidaten, der geopfert werden kann, um die Fallhöhe des Kampfes zwischen den Boys und den Seven auf das nächste Level zu heben. Der Grund ist simpel: Deep ist als Charakter längst auserzählt und seit dem Tod seiner Oktopus-Geliebten Ambrosius ist er nur noch ein eindimensionaler Auftragskiller für Homelander.
Sind die The Boys-Autor:innen zu feige, um Hauptcharaktere sterben zu lassen? Das will ich ihnen eigentlich gar nicht unterstellen. Aber es ist schon auffällig, dass A-Train nach dieser Folge quasi aus der Handlung verabschiedet wurde. Seine Tätigkeit als Doppelagent wurde enttarnt und jetzt gäbe es keine Entschuldigung mehr, dass Homelander ihn nicht direkt eigenmächtig zerstückelt. Um einer tödlichen Konfrontation aus dem Weg zu gehen, bringt ihn das Drehbuch stattdessen in Sicherheit.
Gerade weil die Serie so charakterzentriert ist, ist es ein nerviges Versäumnis, dass für das wichtigste Personal der Serienhandlung das eigene Leben nicht auf dem Spiel steht. Für sie hat der zentrale Konflikt keine ernsten Konsequenzen und die erzählte Bedrohung ist für die Zuschauenden wenig greifbar.
Dass ein Homelander jeden Charakter in jedem Moment auslöschen kann, verdeutlicht The Boys mit jeder Season erneut. Dass er sich bei seinen erklärten Erzfeinden dennoch stets zurückhält, ist auffällig. Beispielsweise wirkte Hughies Flucht vor dem wütenden Homelander zu Beginn der 4. Staffel einfach nur frustrierend, weil er der Situation nur dank seiner sicheren Plot Armor lebend entkommen konnte.
The Boys muss endlich was riskieren, denn die Zeit läuft davon
Natürlich hat The Boys Staffel 4 noch eine Folge Zeit und könnte in ihrem Finale ein großes Opfer fordern. Doch die Superheldenserie hat in der Vergangenheit zu oft bewiesen, dass wir uns keine Sorgen um die Seven und die Boys machen müssen. Das ist besonders ärgerlich, wenn wir uns vor Augen halten, dass der Serie die Zeit abläuft.
Mit der 5. Staffel wird The Boys zu Ende gehen. Es bleiben also nur wenige Episoden, in denen die Serie harte Geschütze auffahren und uns wirklich um das Leben liebgewonnener Charaktere bangen lassen und mit erschütternden Verlusten das Herz herausreißen kann.
Leider hat es The Boys aber 4 Staffeln lang verpasst, die Grundlage für ein finales Gemetzel sinnvoll aufzubauen. Ich hatte bisher nie das Gefühl, dass die Hauptfiguren jemals wirklich in Gefahr sind und jeden Moment das Zeitliche segnen könnten. Die einzige Ausnahme bildet Billy Butcher, dessen unausweichlicher Tod seit Ende der 3. Staffel wie ein Damoklesschwert über dem Hauptcharakter hängt und sein Handeln maßgeblich beeinflusst. Aber seien wir ehrlich: Selbst er wird diese Staffel definitiv überleben.
Natürlich feiere ich auch weiterhin jeden übertrieben brutalen Tod unwichtiger Supes und werde bestimmt das ein oder andere Tränchen vergießen, wenn mal wieder eine Nebenfigur stirbt. Frustrierend bleibt die ausbleibende Lebensgefahr trotzdem – vor allem, weil sich mehrere Charaktere seit dieser Staffel im Kreis drehen. Ich liebe The Boys nach wie vor, aber diese Baustelle benötigt dringend Aufmerksamkeit.