The Shape of Water - Bis zur Unerträglichkeit und noch viel weiter

06.10.2017 - 09:15 UhrVor 5 Jahren aktualisiert
The Shape of Water20th Century Fox
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Sushi wird nach Ansicht von The Shape of Water erstmal gemieden. Der neue Film von Guillermo del Toro läuft beim Festival in Sitges und erzählt von einer fischigen Liebe, die gegen den kalten Krieger Michael Shannon bestehen muss.

In Pacific Rim gibt es diese Szene, in der ein Jaeger durch die Häuserschluchten Hongkongs stapft und einen Tanker hinter sich herschleift, als ginge der mit dem zig Tonnen schweren Pott zum Kinderbecken. Bei einem anderen Regisseur, Peter Berg oder Michael Bay, hätte sie etwas abstoßend Aufschneiderisches. Auch bei Guillermo del Toro wirkt sie vulgär, soll sie auch, ist schließlich ein Film, in dem Roboter Monstern die Fresse polieren. Nur geht Del Toro in Pacific Rim mit jeder Szene aufs Ganze, egal ob der kommende Plot erklärt oder sich im Spektakel klirrender Maschinen und sich aufbäumender Alienkörper ergangen wird. Es wirkt zu keiner Zeit berechnend. Dazu bräuchte es Distanz. 100 Prozent Del Toro stecken auch in jedem Frame von Shape of Water - Das Flüstern des Wassers, in dem, deutscher Untertitel zum Trotz, wenig geflüstert, aber alles gesagt wird. Als sich die stumme Reinigungskraft in einem geheimen Regierungslabor in den entführten Amphibien-Mann verliebt, zieht Del Toro alle Register, um die hitzige Annäherung vor dem hereindrängenden Hintergrund des Kalten Krieges auf Betriebstemperatur zu bringen. Das betört, das reißt mit, das verzaubert bis an die Grenze zur Unerträglichkeit.

Die Zukunft ist in The Shape of Water grün. Die Zukunft ist ein riesiger Wackelpudding, an dem sich die ganze dummdreist grinsende Familie ergötzen kann. Werbetafeln wie diese pflastern den Weg, den Elisa (Sally Hawkins) im Bus zur Arbeit nimmt, während sich der Rest der US-amerikanischen Welt unaufhaltsam motorisiert. Elisa lebt nicht in dieser feinsäuberlich gepflegten Vorstadtwelt mit den kobaltblauen Cadillacs in der Einfahrt und dem wackelnden grünen Ungetüm auf dem Tisch. Elisa lebt da, wo die anderen wegwollen, in dem, was man bei Fox News heute euphemistisch "inner city" nennen würde. Nur besitzt das in Del Toros Filmen sorgsam zusammengesetzte Zerfallende einen verwunschenen Charme, selbst wenn die Sirenen durch die Nacht schallen. In einer knarzenden Wohnung über einem kaum besuchten Lichtspielhaus lebt Elisa Tür an Tür mit dem verhinderten Künstler Giles (Richard Jenkins). Der sehnt sich nach einem anderen Leben, in dem er seine Homosexualität ohne Furcht vor Sanktionen ausleben könnte. Elisas Alltag indes ist ein Loop zwischen frühmorgendlichem Masturbieren in der Badewanne, Eierkochen, Stempelkarte stempeln, Kollegin Zelda (Octavia Spencer) beim Schwatzen zuhören, Top-Secret-Regierungslabor putzen, Stempelkarte stempeln, Heimfahren. Ein aus Südamerika entführter Neuankömmling stört den Rhythmus. Der Schrecken vom Amazonas (Doug Jones) kostet dem verantwortlichen Sadisten Strickland (Michael Shannon) sogleich zwei Finger. Die innerlich vereinsamte Elisa entdeckt in dem mit einem Six Pack und erstklassiger Haltung gesegneten Ding aus dem Sumpf einen Seelenverwandten.

Kein Kaiju, aber ein Monster: Michael Shannon in The Shape of Water

Vom ersten Vernaschen eines hartgekochten Eis ist man verliebt in das Wesen, das ein stummer Verwandter von Doug Jones' Abe Sapien aus den Hellboy-Filmen sein könnte. Die Neugierde, die taktile Erforschung jeder Eierschale auf dem Beckenrand hebt den Amphibien-Mann von Elisas menschlichen Bekanntschaften ab, die einen Wall missverstandener Code-Wörter, labyrinthischen Gemeckers und unerfüllter Träume vor sich her tragen. Strickland - schwer zu sagen, ob rassistischer Frauenfeind oder frauenfeindlicher Rassist - besitzt den Cadillac, das Vorstadthaus und den Wackelpudding. Beim Sex mit seiner durchaus willigen Frau drückt er ihr den Mund zu, um die einsame Stille vor dem Schuss zu genießen. Der rostige Bauch einer geheimen Forschungsstation liegt ihm eher als Habitat.

Das Suburbia aus Pleasantville spielt tatsächlich nur eine Nebenrolle in The Shape of Water, der mit der zunehmend intensiveren Beziehung von Elisa und dem Swamp Thing statt der Farbsättigung die Luftfeuchtigkeit erhöht, bis es ein Stockwerk tiefer ins Kino tropft. Sally Hawkins bewältigt diese Gefühlswallungen mit vollem Körpereinsatz. Eine Idealisierung, ja regelrecht Verniedlichung liegt ihrer stummen Figur zugrunde, die von Hawkins großäugig und -herzig ausgefüllt wird. Viel Chaplin steckt da drin und ein bisschen Amélie Poulain. Sie, Michael Shannon mit seinem Schurken im mühsam übergestreiften Menschenanzug, Richard Jenkins, Octavia Spencer und Michael Stuhlbarg als aufrichtiger Wissenschaftler - alle spielen Typen in einem Märchen aus dem Kalten Krieg. Bei Del Toro findet dieses nicht im geschichtsträchtigen Raum der Metaphorik aus Bridge of Spies - Der Unterhändler statt oder in der Popfantasie der Nachgeborenen aus Atomic Blonde. Das 1962 aus The Shape of Water scheint eher ein Mosaik emotionaler Aggregatzustände zu sein. Allesamt liegen sie im Verborgenen, mal hinter Stahl, in verwinkelten Apartments oder unter dem Lack des Cadillacs. Die systematische Diskriminierung des von der weißen männlichen, heterosexuellen Norm Abweichenden wird im Drehbuch von Del Toro und Vanessa Taylor mehrfach offen angesprochen. Sie äußert sich auch in diesen Räumen, um die sich der Loop jedes einzelnen anordnet.

The Shape of Water

Das emotionale Ventil Elisas drängt sich mit dem Kino als Unterbau ins Bild. Es rotiert auf dem Plattenspieler oder schallt aus dem Fernseher. Musicals der 30er und 40er bilden ihren privaten Soundtrack, selbst wenn ein paar Blocks weiter ein Großbrand wütet. Das ist weit mehr als nostalgische Staffage in The Shape of Water. Der Film verinnerlicht den Elan und Romantizismus der filmischen Taktgeber in jedem fließenden Kameraschwenk, jedem effizienten Schnitt und nicht zuletzt den ausdruckssprühenden Augen von Sally Hawkins und Doug Jones' liebenswertem Monster. Bisweilen fühlt sich The Shape of Water deswegen wie ein Musical an, in dem alle in ihrer Stimmlage gefangen sind. Das Masturbieren in der Badewanne, die Eieruhr, die Stechuhr, das Geschwätz, der Wischmop auf den blutgetränkten Fliesen - daraus setzt sich der Rhythmus der ersten Hälfte zusammen, der von der Liebe ins Chaos gestürzt wird, schließlich dem treibenden Thriller folgt und diesen virtuos mit zärtlichen Tönen abwechselt.

100 Prozent Del Toro stecken im Knistern jeder Diele von The Shape of Water, der als Gegenstück zu den steifen viktorianischen Kragen in Crimson Peak fungiert, in dem die horrende Liebe eine ganze Villa aushöhlt. In The Shape of Water werden diese Hülsen gefüllt, hier wird dem romantischen Überschwang Raum geboten, bis es überschwappt. Es braucht einen wie Guillermo des Toro, um dieser märchenhaften Ekstase in aller Konsequenz zu folgen, selbst oder gerade weil einen unterwegs das Gefühl nicht loslässt, man könne in diesem Gefühlsstrudel ertrinken.

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