Was haben die Twilight-Filme, die After-Reihe, die Fifty Shades-Verfilmungen und der Netflix-Hit 365 Days gemeinsam? Sie alle triefen nur so vor Sexismus, Rollenklischees und toxischen Beziehungen, in denen der Mann alle Entscheidungen trifft und die Frau gefälligst mitzuziehen hat.
Umso gruseliger, dass all diese Titel Welterfolge sind – und zwar nicht nur im Kino, sondern auch als Bücher. Nun wurde mit Nur noch ein einziges Mal (im Original: It Ends with Us) die Verfilmung eines weiteren Romantik-Bestsellers * angekündigt. Mit dabei: Gossip Girl-Star Blake Lively und Justin Baldoni als Lily und Ryle, ein weiteres Pärchen mit missbräuchlicher Dynamik. Die Geschichte entstammt der Feder von Colleen Hoover, der derzeit erfolgreichsten Autorin in den USA.
Kommt hier also die nächste Romantik-Katastrophe auf uns zu, die einen vollkommen falschen Eindruck von Beziehungsdynamiken vermittelt? Viele Kenner:innen der Buchvorlage befürchten es. Doch so einfach ist das nicht.
Filmreihen wie Fifty Shades of Grey und 365 Days romantisieren häusliche Gewalt und vermitteln ein falsches Bild von Liebe
Im dreiteiligen Erotik-Drama 365 Days wird die Protagonistin beispielsweise von einem Mafiaboss entführt, der ihr ein Jahr Zeit gibt, sich ebenfalls in ihn zu verlieben. Die Twilight-Reihe zeigt, wie ein 104 Jahre alter Vampir ein Teenager-Mädchen Bella stalkt, ihr Leben kontrolliert, sie mehrfach in Gefahr bringt und mit Liebesentzug bestraft.
Fifty Shades of Grey – entstanden als Twilight-Fan-Fiction – macht exakt dasselbe. Nur dass es nicht um Vampire und Teenagerinnen geht, sondern einen reichen Geschäftsmann und eine unbedarfte Studentin, die unter dem Deckmantel einer sadomasochistischen Beziehung emotional und körperlich missbraucht wird. Diplom-Psychologin Lydia Benecke kommt bei Ruhrbarone deswegen zu dem Fazit:
Shades of Grey ist sexuelle Gewalt.
Egal ob laute, aggressive Streitigkeiten oder Sexszenen, in denen der Protagonist hart zupackt: In Romantik-Verfilmungen wird Gewalt viel zu oft bagatellisiert, entschuldigt und romantisiert. Insbesondere sexuelle Gewalt wird beschönigt. Aus aggressiv wird schnell männlich und animalisch. Auch, weil die Protagonisten natürlich umwerfend attraktiv sind.
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Die Männer verlangen, über alle Details aus dem Leben ihrer Frauen Bescheid zu wissen, geben selbst aber kaum etwas preis. Entscheidungen werden nur vom “starken” Geschlecht getroffen, das kein Nein akzeptiert. Edward beobachtet in Twilight seine menschliche Angebetete während sie schläft und entscheidet für sie, was angemessen und was zu gefährlich ist. Christian Grey taucht überall auf, wo Ana ist, und stürmt ihr Büro während eines Meetings, weil sie nicht schnell genug auf seine E-Mail geantwortet hat. Und von der Entführungssituation in 365 Days müssen wir gar nicht erst anfangen.
Egal ob Ana, Bella oder Laura: Die Frauen dürfen sich zwischenzeitlich zwar wehren, knicken am Schluss aber doch ein und fügen sich ihrer Situation. Das vermeintliche Happy End in diesen Geschichten? Das Opfer heiratet seinen “Beschützer”. Die Konsequenz daraus? Insbesondere junge Menschen oder Personen mit wenigen romantischen Erfahrungen glauben, dass Liebe so aussehen muss.
Nur noch ein einziges Mal macht die gleichen Fehler – aber mit einer anderen Art von Happy End
In Nur noch ein einziges Mal treffen wir zu Beginn des Buches auf Lily, die sich ein neues Leben in einer anderen Stadt aufbauen möchte. Sie entflieht ihrem gewalttätigen Elternhaus und lernt den attraktiven Ryle kennen. Die beiden kommen zusammen. Doch der perfekte erste Schein trügt: Als Lily auf ihren Ex-Freund Atlas trifft, entwickelt Ryle eine krankhafte Eifersucht, schlägt sie und setzt sie auch psychisch unter Druck.
Lily sucht nach Ausflüchten für das Verhalten ihres Partners – und redet sein Verhalten auch vor anderen schön. Das Buch scheint uns ebenfalls davon überzeugen zu wollen, dass Ryle eigentlich ein toller Kerl ist. Er ist erfolgreicher Chirurg, mitfühlend und fürsorglich, unfassbar gutaussehend und trägt seine Partnerin auf Händen, wenn er nicht gerade handgreiflich wird. Diese Muster kennen wir aus anderen “Romantik”-Franchises.
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Auch Grenzüberschreitungen und Kontrolle sind ein zentrales Thema in Nur noch ein einziges Mal. Lily muss dem unfassbar eifersüchtigen Ryle am laufenden Band versichern, dass ihre männlichen Freunde wirklich nur Freunde sind. Als er einen Zettel mit einer fremden Telefonnummer findet, zerstört er ihr Handy. Sogar beim Thema Nachwuchs und Nahrungsaufnahme liegt die Entscheidungsgewalt bei Ryle. Lily möchte etwas essen, er möchte Sex – und bekommt seinen Willen.
Trotzdem gibt es eine Sache, die Nur noch ein einziges Mal anders macht als Fifty Shades und Co.: Lily versteht irgendwann, dass Liebe sich nicht so anfühlen sollte und zieht daraus echte Konsequenzen. Und die fungieren nicht nur als Cliffhanger für den nächsten Teil, in dem alles wieder vergeben und vergessen ist.
Warum die Bestseller-Verfilmung dem Fluch der toxischen Beziehungs-Franchises wahrscheinlich trotzdem nicht entkommt
Dass der Film mit Blake Lively ein Erfolg wird, ist fast schon sicher. Die Buchvorlage, die auf TikTok viral ging, verkaufte sich weltweit über vier Millionen Mal . Dass das Genre an sich auch in Film-Form bestens funktioniert, ist ebenfalls kein Geheimnis.
Laut Screenrant befinden sich vier von fünf Twilight-Filmen unter den Top 10 der erfolgreichsten Romantik-Filme aller Zeiten. Die Eröffnungs-Vorführung von Fifty Shades of Grey war nach wenigen Stunden ausverkauft und spielte weltweit 569,7 Millionen US-Dollar ein . Der Erotik-Erfolg 365 Days wurde trotz massiver Kritik von Netflix fortgesetzt und derzeit läuft mit Perfect Addiction ein weiterer Film über toxische Liebe im Kino. Das Thema ist weiterhin ein Dauerbrenner.
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Das bedeutet aber auch: Nur noch ein einziges Mal trägt mit seiner voraussichtlich großen Reichweite auch eine große Verantwortung. Der Film sollte deutlich machen, dass Eifersucht und Gewalt nicht romantisch, sondern gefährlich sind. Statt ungesunde Beziehungsmuster zu romantisieren, müssen sie klar als Problem dargestellt werden. Vor allem aber darf sich die Verfilmung nicht zu einem lauen Happy End hinreißen lassen, um das liebeshungrige Publikum zu befriedigen.
Die Buchvorlage hat dieses Potenzial eigentlich. Ich persönlich glaube trotzdem nicht, dass Nur noch ein einziges Mal die Chance nutzt, und zu einer Art Gegenmittel zum “toxische Beziehungs”-Genre wird. Dafür funktioniert die Formel einfach zu gut und Hollywood lässt sich keine Gelddruck-Maschine entgehen.
Ein anderer Grund für meine Sorge ist die Autorin selbst: Colleen Hoovers Roman basiert zwar auf schlechten Erfahrungen, die die Mutter der Autorin machte. Trotzdem plante Hoover ein Malbuch zu ihrem Bestseller über häusliche Gewalt und wurde massiv dafür kritisiert. Zurecht. Es brauchte laut Insider erst einen Aufschrei der Community, um das Projekt zu stoppen. Ob Hoover aus dieser Erfahrung gelernt hat?
Laut Open Media Hub ist Colleen Hoover intensiv in die Filmarbeiten involviert. Sie hat somit die Zügel in der Hand. Es wäre nicht nur ihr, sondern auch uns zu wünschen, dass Nur noch ein einziges Mal endlich die Wende im Romance-Genre schafft. Das wäre nicht nur ein wichtiges Signal in Richtung der riesigen Zielgruppe – sondern auch deutlich spannender als ein weiteres Fifty Shades of Grey.
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