Vom Schock bis zur Mythologisierung

05.11.2010 - 08:50 Uhr
Carlos - Der Schakal
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Carlos - Der Schakal
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Ilich Ramírez Sánchez ist Carlos, der wohl berühmteste Terrorist der 1970er Jahre. Sein Name wurde zu einem Symbol des Terrors. Den Kinostart von Carlos – Der Schakal nehmen wir zum Anlass, einen Blick auf andere Ikonen des Terrors im Film zu werfen.

Groß angekündigt und mit Spannung erwartet kommt an diesem Donnerstag Carlos – Der Schakal in die deutschen Kinos, ein in allen Bedeutungen des Wortes gewaltiger Film. Der Plot, die Darsteller (besonders Édgar Ramírez als Carlos), vor allem aber die Spiellänge ist gewaltig. Die Originalfassung umfasst 330 Minuten und wurde deshalb für die meisten Kino-Aufführungen auf noch immer beachtliche 180 Minuten gekürzt. Regisseur Olivier Assayas verfilmte das Leben des wohl berühmtesten Terroristen der 1970er Jahre, Ilich Ramírez Sánchez, alias Carlos – Der Schakal. Wer den Kino-Marathon schafft, sollte sich auf jeden Fall die Langfassung ansehen, denn nur in ihr wird wirklich klar, wer dieser Carlos war, ein militanter Stratege, einer, der es für Geld tut.

Zum Kinostart von Carlos – Der Schakal blicken wir zurück auf eine ganze Reihe an Filmen über Ikonen des Terrorismus. In Deutschland sind das vor allem Baader, Meinhof und Co., um die sich Mythen und eine Art Star-Image entwickelt haben. Seit dem Jahr 2000 haben die Filme um die Gesichter der RAF einen neuen Boom erlebt. Aber auch das, was sich vor der Jahrtausendwende mit deutschem Terror auseinandergesetzt hat, ist beachtlich und soll hier vorgestellt werden.

Betäubung
Wie die RAF selbst, so lassen sich auch die Filme über sie in Generationen einordnen. Die erste Generation filmischer RAF-Auseinandersetzung folgte unmittelbar auf die so genannte Todesnacht von Stammheim, in der Jan-Carl Raspe, Andreas Baader und Gudrun Ensslin unter dubiosen Umständen Selbstmord begingen. Eine Art kreative Kooperation aus kulturellen Größen wie Rainer Werner Fassbinder, Alexander Kluge oder Heinrich Böll sammelte sich, um in Deutschland im Herbst gemeinsam den Schock über die Eskalation des Deutschen Herbsts zu verarbeiten. Gleichzeitig unternahm die Kooperative den Versuch, die Stimmung in der deutschen Bevölkerung der 70er Jahre einzufangen, eine Stimmung, die vor allem in der Elterngeneration geprägt war von ängstlichem Konformismus. Im vier Jahre vorher entstandenen Film Die Verlorene Ehre der Katharina Blum ist diese Atmosphäre bereits angedeutet, konzentriert sich aber auf die Rolle der Medien im Prozess der Radikalisierung.

Die bedrückende Stimmung und die Zeit, die von ihr geschwängert war, bezeichnete Margarethe von Trotta im gleichnamigen Film als Die bleierne Zeit. Das Drama lehnt sich an die Biografien der Schwestern Christiane und Gudrun Ensslin an und erzählt von zwei Frauen, deren politischer Idealismus in den unterschiedlichen Praktiken effektvoller Terrorismus und effektive Aufklärungsarbeit mündet. Wie vielleicht in keinem anderen Film wird hier außerdem deutlich, dass erstens das Private immer auch politisch ist und zweitens eine Auseinandersetzung und Kommunikation mit der Elterngeneration notwendig ist, um der Radikalisierung zu entgehen.

Stammheim wirkt dagegen wie der ohnmächtige Versuch, sich die Geschehnisse in Stammheim zu erklären, und wie Baader, Meinhof und Co. selbst gegen eine rhetorisch zwar überforderte, strukturell aber übermächtige Justiz zu argumentieren. Der Film von Reinhard Hauff mutet an wie ein Kammerspiel und orientiert sich an den authentischen Protokollen des Prozesses.

Objektivität
Anders als bei der zweiten Generation der RAF-Anhänger dauerte es noch etwas länger, bis auch die RAF-Filme Baader, Meinhof und Co. als Ikonen entdeckten. Nachdem in den 1990er Jahren nahezu kein Film zur RAF entstanden ist, war Fernsehspiel-Auteur Heinrich Breloer der Erste, der sich mit dem Doku-Drama Todesspiel im Jahr 1997 an die Thematik wagte. In einer Mischung aus dokumentarischem Material, Interviews von Zeitzeugen und Spielfilmsequenzen schildert Breloer die Entführungen von Hans Martin Schleyer und des Urlaubsflugzeugs Landshut. Noch hieß das Ziel Objektivität. Im Jahr 2001 folgte mit Black Box BRD von Andres Veiel ein Dokumentarfilm, der diesem Ziel noch ein Stück näher kam, indem er wesentlich weniger reißerisch vom Attentat auf den Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, erzählte, gleichzeitig die Grenzen zwischen Dokumentation und Fiktion aber stark verwischt.

Neben Baader und Meinhof hatten also auch die Figuren der dritten RAF-Generation den Weg ins Kino geschafft. Auch Die innere Sicherheit von Christian Petzold und Schlöndorffs Film Die Stille nach dem Schuß widmen sich ihr, allerdings auf unterschiedliche Weise. Während Petzolds Beitrag außergewöhnlich ist, weil er ohne direkte Verweise auf die RAF, ohne ihre Symbole, Namen und Pamphlete auskommt, zeigt sich Die Stille nach dem Schuß schon, wohin der deutsche Terrorismus-Film gehen wird. Beide Filme befassen sich mit dem Leben abseits der Gesellschaft, für das sich ein Terrorist entscheidet, mit der Angst und der Unmöglichkeit, ein freies Leben zu führen.

Mythologisierung
Die Filme nach der Jahrtausendwende haben genug Abstand zur aufgeheizten Atmosphäre der 1970er Jahre gewonnen, so dass ein dokumentarischer Anspruch als Zielsetzung dem Unterhaltungswert gewichen ist. Schon Christopher Roth ließ Andreas Baader 2002 in Baader wie einen Actionhelden dramatisch im Kugelhagel sterben, was ja ganz offensichtlich erfunden war und dies nicht zu verschleiern suchte. Vor zwei Jahren erlebten wir, wie Uli Edel mit einer ähnlichen Inszenierung der Baader-Meinhof-Bande in Der Baader Meinhof Komplex internationalen Erfolg einheimste. In diesen Filmen sind aus den ehemaligen Idolen der 1970er-Jahre-Studenten Ikonen geworden, deren Darstellung nicht in erster Linie an Authentizität, sondern an spannendem Erzählkino orientiert ist.

Anhand der Entwicklung, die sich durch die Generationen von RAF-Filmen zieht, wird deutlich, wie die filmische Verarbeitung geschichtlicher Ereignisse im Allgemeinen funktioniert und sich im Laufe der Zeit verändert. Vom Schock, aus dessen Lähmung Filme als hilflose Versuche der Auseinandersetzung entstehen, bis zum Anspruch der Objektivität wird aus Geschichte Legende und aus den Akteuren der Geschichte werden inhaltslose Symbole, Ikonen des Terrors.

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