Wie bei Disney ein Animationsfilm wie Vaiana 2 entsteht – in 6 Schritten von Profis erklärt

27.11.2024 - 11:51 UhrVor 4 Monaten aktualisiert
Wie ein Disney-Animationsfilm entsteht
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Wie ein Disney-Animationsfilm entsteht
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Wie erwacht heutzutage ein Animationsfilm bei Disney zum Leben? Zu Besuch in dem berühmten Studio gaben die kreativen Köpfe hinter Vaiana 2 verblüffende Einblicke.

Die Zeiten, in denen Disneys Zeichentrickfilme in mühevoller Handarbeit Bild für Bild gemalt wurden, sind lange vorbei. Heute entstehen die fantasievollen Abenteuergeschichten hauptsächlich am Computer und setzen sich aus unzähligen digitalen Animationen zusammen. Das klingt abstrakt und kompliziert. Wenn man aber erst einmal weiß, was alles zu dem Prozess dazugehört, ist es genauso beeindruckend wie die traditionelle Herangehensweise an einen Animationsfilm.

Um das herauszufinden, musste ich einen ganzen Ozean überqueren. Einen Monat vor dem Kinostart von Vaiana 2 war ich für Moviepilot zu Gast in den Disney Animations Studios. Auf dem Gelände in Burbank, im Norden von Los Angeles, gewährten mir Studio-Mitarbeiter:innen und Kreative Einblick in ihre Prozesse. Diesen Aufwand kann man sich später im Kinosessel kaum vorstellen. Ich will euch also lesend an die Hand nehmen und erzählen, wie ein heutiger Animationsfilm geboren wird – sofern ihr bereit seid, diese 6 Schritte zum fertigen Film mit mir zu gehen.

1. Die erste Idee für einen neuen Disney-Film wird geboren

Wie so vieles beginnt auch ein Disney-Animationsfilm mit einem kleinen Schritt, dem Spross einer Idee, der über Monate und Jahre hinweg zu einem verzweigten Filmriesen wächst. Kein Wunder, dass bei Animationsfilmen häufig mehr als ein Regie-Talent die Zügel in der Hand hält. Bei Vaiana 2 sind es drei: David G. Derrick Jr., Dana Ledoux Miller und Jason Hand. Obwohl sie schon länger im Animationsfilmgeschäft tätig sind (Hand und Derrick waren vorher z.B. selbst Animatoren) nehmen sie zum ersten Mal auf dem Regiestuhl Platz nehmen. Sie sind die Gärtner, die nach den Vorgaben des Drehbuch-Teams (Jared Bush und nochmal Dana Miller) dafür sorgen, dass der Film wächst und gedeiht.

Dazu gehörten im Falle von Vaiana 2 Recherche-Reisen auf polynesische Insel und das Ausprobieren alter Bootstypen, genauso wie Diskussionen über die Geschichte und Figuren. Fans haben sich nach Teil 1 beschwert, dass das Schwein Pua nicht mit auf die Seereise durfte? Kein Problem, in Teil 2 kommt es mit auf den neuen Ozean-Trip. Seit der Handlung des ersten Films ist einige Zeit vergangen? Das legt natürlich neues Entwicklungspotenzial für die nun ältere Heldin nahe. Dass die Fortsetzung ursprünglich als Disney+-Serie konzipiert wurde, machte die acht Jahre, in denen sie dann doch als Film Gestalt annahm, sicher nicht weniger kompliziert.

Für Geschichten mit ethnischen Besonderheiten wie einer Heldin aus Ozeanien sind informierte, kulturelle Berater:innen wichtig. Deshalb sind zwei der drei Regisseur:innen, Derrick und Miller, selbst polynesischer Abstammung. Außerdem wurde nach Vaiana der Oceanic Cultural Trust  ins Leben berufen, damit Linguist:innen, Historiker:innen, Anthropolog:innen, Choreograf:innen und noch viel mehr schlaue Menschen wertvollen Input geben können.

2. Vor der Animation werden Charakter-Gemälde gezeichnet

Vaiana 2 holt natürlich viele Figuren zurück, die das Publikum längst kennt. Trotzdem müssen diese Charaktere weiterentwickelt werden. Zudem stoßen in der Fortsetzung Neuzugänge dazu, die einer intensiven Planung bedürfen: Was zeichnet Vaianas neue Crew-Mitglieder Loto, Kele und Moni aus? Worüber definiert sich die neue kleine Schwester Simea? Nach Skizzen entsteht nach und nach ein vollwertiges Charakterbild für alle.

Amy Smeed, Head-Animatorin von Vaiana 2, erzählt, dass das Vorproduktionsteam anfangs nur im kleinen Rahmen existiert. Sogenannte "Rigs", also Charakter-Gerüste, werden am Computer erstellt, um mit laufenden Skelett-Tests, Bewegungen und Körperformen die Figuren auf einfachster Ebene zum Leben zu erwecken: Die "Rigger" (frühen Animator:innen) kreieren 6-minütige, bewegte Computer-Gemälde, in denen die Figuren laufen, sich die Nasen kratzen und mehr.

Auch Storyboards spielen hier eine unerlässliche Rolle: Wie ein großformatiger Comic erzählen sie die Handlung in Bildern. Denn die ausgefeilte Computeranimation ist aufwändig und wenn in wochenlanger Arbeit wenige Sekunden des fertigen Films entstehen, will man nicht später eine mühevoll animierte Szene wieder streichen müssen. Drew, der Guide auf Disneys weitläufigem Studiogelände, erklärt stolz, dass Disney die Storyboards sogar als allererstes ins Leben gerufen hat – bevor viele weitere Filmfirmen sie auch für ihre Realfilme adaptierten, um Zeit und Kosten zu sparen. (1933 entstand laut Make Storyboard  der Disney-Kurzfilm Die drei kleinen Schweinchen als erster nach diesem Prinzip.)

3. Die Stimmen werden ohne Animation eingesprochen

In Deutschland synchronisiert man Animationsfilme, sobald der Film (auf der Bildebene) fertig sind. In den USA werden die Sprecher:innen vor der Animation aufgenommen. "Schließlich kann ein Satz auf dem Papier auf unzählige Weisen ausgesprochen werden", erklärt Smeed. Die Animator:innen müssen die Interpretation der Worte kennen, bevor sie die passenden Gesichtsausdrücke dazu am Computer erschaffen.

Während die sprechenden Stars sich teilweise an Storyboards orientieren, werden sie wiederum gefilmt, während sie in der Synchronkabine ihren Text einsprechen. Auf diese Weise können die Computer-Künstler:innen sich ihre Gesichter später als Referenz für die Figuren-Animation ansehen. So übernehmen sie mitunter Eigenheiten von Stars, wie Dwayne Johnsons hochgezogene Augenbraue für Maui in Vaiana.

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Allerdings ist eine animierte Story selten in Stein gemeißelt: Selbst wenn die Animation schon begonnen hat, durchläuft die Geschichte immer noch Veränderungen. Das bedeutet, die Schauspieler:innen sprechen nicht ihren ganzen Text auf einmal ein, sondern kehren immer wieder für Audioaufnahmen zu Disney zurück.

Zusätzlich dazu entsteht auch der Soundtrack und die neuen Lieder müssen eingesungen werden. Der letzte Tonstudiobesuch der Stars erfolgt ganz am Ende beim "ADR" (Automatic Dialogue Recording bzw. Replacement). Das ist die klassische Nachsynchronisation, bei der häppchenweise neue oder veränderte Passagen mit exakter Lippenbewegung eingesprochen werden. Das ist die letze Feinarbeit, wenn die Animation komplett fertig ist.

4. Die eigentliche Animation eines Disney-Films benötigt viel Zeit

Erst nach der Absegnung der generellen Ideen und Stimmaufnahmen beginnt dann die eigentliche Animationsarbeit: 140 Animator:innen haben an Vaiana 2 gearbeitet, verrät Amy Smeed, und 850 Menschen insgesamt gehören zur Crew.

Der Disney-Animator Tyler, der blutjung wie ein Highschool-Schüler wirkt, bringt mir, ganz klassisch auf einem Blatt Papier, das Zeichnen von Mini-Maui bei – also Halbgott Mauis lebendiges Tattoo-Gewissen à la Pinocchios Jimminy Cricket. Auch wenn der Schöpfungsprozess sich vom Papier zum Digitalen in den letzten Jahrzehnten stark verändert hat, gibt es zum Erschaffen der Figuren immer noch drei Animationsschritten:

  • a) "Rough Animation" (die grobe Zeichnung/Animation)
  • b) "Ink and Paint" (das Ins-Reine-Bringen der Linien, die man wirklich braucht)
  • c) "Final CG Animation" (die abschließende Computer-Animation).

Verschiedene Künstler:innen bekommen bei Disney-Filmen unterschiedliche Szenen und Animations-Elemente zugeteilt, die wiederum von den Head-Animatoren koordiniert werden. Sogenannte "Dailies", also rohe Tagesergebnisse, werden nach ersten Fortschritten in einem Vorführraum den Regisseur:innen vorgeführt. Diese nehmen die Ergebnisse dann ab oder geben sie nochmal mit Anmerkungen zur Überarbeitung an die Kreativen zurück. Die glaubhafte Herstellung von animiertem Wasser und den Haaren ist seit jeher eine der größten Herausforderungen. Hier gab es in den letzten Jahren aber enorme technische Fortschritte, um Flüssigkeiten und Frisuren überzeugender darzustellen. Auch bei Landschaften staunen die Animator:innen manchmal selbst, dass sie Fiktion und Wirklichkeit im Bild kaum noch unterscheiden können.

Dass Disney beim Animationsprozess auf die Arbeit von Kreativen statt auf künstliche Intelligenz setzt, ist Head-Animatorin Amy Smeed wichtig zu betonen. Das geht so weit, dass die Computerkünstler:innen auch immer wieder ihre eigenen Familien filmen, um Bewegungsabläufe richtig abzubilden. "Wie öffnet ein Kleinkind seine Hände, um dir eine darin liegende Muschel zu zeigen? Frag deine Tochter, die zeigt es dir." Dadurch werden schon mal private Momente in einen Disney-Blockbuster geschmuggelt. Wenn Smeed die Prinzessinnenszene in Ralph reichts 2 guckt, erinnert sie sich zum Beispiel stets lächelnd an ihre eigene Tochter, die hierfür Pate stand.

5. Animationsfilm-Geräusche geben den letzten Schliff

Besondere Mitarbeiter:innen, die erst gegen Ende der Animation zum Einsatz kommen, sind die sogenannten Foley-Artists, also Geräuschemacher:innen. Bei Disneys Vaiana 2 herrscht Ronni Brown für die Klangkulisse. Die Tongestalterin gehört zur Firma Skywalker Sound, hat schon Darth Vaders Stiefelgeräusche aufgezeichnet und steht jetzt vor der Aufgabe, überzeugende Klänge für einen Animationsfilm zu erfinden.

Dafür heißt es experimentieren und lauschen: Ein besonderer Fisch kriecht in Vaiana 2 etwa durch schmatzende Saugnapfgeräusche auf einem mit Haargel getränkten Ledertuch ins Ohr. Heiheis Hühnerfuß-Kratzen an Bord eines Holzbootes erschafft sie hingegen mit getrockneten Blumenstauden.

Vaiana 2 - Featurette Foley Arist (English) HD
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An der Arbeit an einem Animationsfilm schätzt Brown, dass sie sich mehr austoben darf als beim Vertonen von Realfilmen. Alles darf ein bisschen drüber sein, um den komödiantischen Effekt zu betonen. Deshalb kann sie ein Quietschen unterbringen, das in der Realität nicht existiert, wenn die Hauptfigur in ein paar Blätter kracht. Ihr Job präsentiert sich als "Ehe zwischen Kunst und Wissenschaft", erklärt die Geräuschemacherin. Die Datenbank möglicher Sounds hat sie größtenteils im Kopf, wenn sie im Alltag ein ungewöhnlicher Ton anspringt, den sie unbedingt abspeichern will. Aber auch Browns Requisitenlager strotzt vor eigentümlichen Utensilien, die sie sammelt, um ihnen irgendwann einmal nützliche Geräusche zu entlocken.

6. Der fertige Disney-Animationsfilm kommt endlich ins Kino

Natürlich laufen all diese kreativen Prozessen nicht nur geordnet nacheinander ab, sondern greifen auch ineinander, bis dank der präzisen Koordination des Regie-Teams ein fertiges Ganzes entsteht. Das Vaiana 2-Trio verriet bei meinem LA-Besuch, dass sie ihren Film erst vor einer Woche fertiggestellt haben – also knapp 6 Wochen vor Kinostart.

Dass sich die jahrelange Arbeit an einem solchen Großprojekt derart genau vorausberechnen lässt (der Kinostart von Vaiana 2 wurde diesen Februar verkündet), beeindruckt. Ebenso wie die Mühe, die hunderte Hände in die Entstehung eines solchen Animationsfilms stecken.

Mein Vaiana 2-Kinobesuch steht jedenfalls schon für den Starttag am 28. November 2024 im Kalender. Wenn ich dann im Kinosessel sitze und den Figuren in ihr Abenteuer folge, wird sich das mit dem Wissen der vielen Schritte, die zum Schmieden dieses animierten Wunders beigetragen haben, bestimmt nochmal ungleich eindrucksvoller anfühlen als ohnehin schon.

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