In Speak No Evil eskaliert ein Wochendbesuch bei Freunden zu einem psychologischen Albtraum: Auf eine neue Urlaubsbekanntschaft hin werden die Amerikaner Louise (Mackenzie Davis) und Ben (Scoot McNairy) mit ihrer Tochter Agnes von Paddy (James McAvoy) und Ciara (Aisling Franciosi) in ihr englisches Landhaus eingeladen. Doch je länger der Besuch bei den Eltern des schweigsamen Jungen Ant andauert, desto mehr Risse bekommen die jeweiligen Fassaden beider Paare.
Regisseur James Watkins (Eden Lake) drehte ein englischsprachiges Remake des gleichnamigen dänisch-niederländischen Films Speak No Evil aus dem Jahr 2022. Wir trafen Schauspieler James McAvoy (X-Men, Split), um mit ihm über seine neue unheimliche Rolle, Remakes und gesellschaftliche Zwänge zu reden.
James McAvoy als gefährlich-unterhaltsamer Seiltänzer im Interview zu Speak No Evil
Moviepilot: Zunächst erstmal herzlichen Glückwunsch zu deiner wirklich angsteinflößenden Darstellung in Speak No Evil. Hattest du ein Vorbild oder einen Trick, um in diese bedrohliche Rolle zu schlüpfen?
James McAvoy: Nein, ich habe niemanden gechannelt. Es gab einen Moment ganz am Anfang des Films, wo ich physisch versucht habe, Ray Winstone in Sexy Beast nachzueifern, als er am Pool ist. Aber davon mal abgesehen, versuche ich eigentlich nie, jemanden nachzuahmen.
Der einzige 'Trick', den ich für die Darstellung von Paddy hatte, war, es zu genießen. Ich denke, das ist das Schöne an diesen vier Charakteren: Wir haben zwei wirklich gutherzige Menschen, die eine Scheiß-Beziehung haben – und wir haben zwei richtig schlechte Menschen, die eine Beziehung haben, wie man sie sich nur erträumen kann. Und so schlecht sie auch sind, genießen sie doch ihr Leben und das Spiel, das sie mit anderen Leuten treiben. Solange Paddy den Moment also genossen hat, war es einfach, in den Charakter zu schlüpfen.
Sollten wir nach Split und Speak No Evil noch mehr düstere und ambivalente Rollen von dir erwarten?
Ich glaube, ich habe gerade nichts Vergleichbares in der Mache. Ich spiele nicht nur gern düstere Rollen, sondern vor allem Menschen, die auf einer Grenze balancieren. Seiltänzer zwischen dem Unterhaltsamen und dem Gefährlichen. Ich mag es, mit der Zuneigung des Publikums zu spielen und das moralische Zentrum der Zuschauenden zu verschieben.
Du bist es also noch nicht müde, die heldenhaften Charles Xaviers aus X-Men da draußen zu spielen?
Oh nein. Eine gute Rolle ist eine gute Rolle! Wenn du eine heroische Person in einem schlechten Drehbuch spielst, würde ich das über Bord werfen. Wenn es eine gutgeschriebene Rolle ist, werde ich es nie müde sein.
Hast du vor dem
Dreh des Remakes den vor zwei Jahren veröffentlichten Originalfilm Speak No Evil gesehen?
Nein, zum Glück nicht. Nicht, bevor wir mit den Dreharbeiten fertig waren. Vielleicht wäre es kein Problem gewesen, aber ich wollte in meinem Kopf keinen Vergleich zu dem, was jemand anderes vor mir gemacht hatte. Oder den Druck, alle Szenen richtig gut hinzukriegen, die sie perfekt umgesetzt haben. Ich wollte da mit einem frischen Blick rangehen. Wenn man Shakespeare inszeniert, macht man ja auch kein Remake von Macbeth. Man macht einfach Macbeth. Ich schaue mir nicht alle vorigen Darsteller an, sondern spiele einfach meinen Macbeth. Und das ist hier exakt das Gleiche.
Du hast dir den Originalfilm danach angeschaut?
Ja. Es ist ein wirklich guter Film. Und nachdem ich unseren gesehen habe, gibt es natürlich viele Ähnlichkeiten. Aber es sind auch sehr unterschiedliche Filme.
Was hast du über das sehr andere Ende des Originals gedacht?
Ich mochte das andere Ende. Aber ich glaube nicht, dass ihr Ende in unserem Film funktioniert hätte. Vor allem, weil es bei ihnen so viel um soziale Fügsamkeit geht und wie weit sie das treiben können. [...] In unserem Film ging es um etwas anderes: Auch wenn Ben und Louise am Ende nicht zu Soldaten werden, versuchen sie sich zu retten. Das ergibt eine sehr andere Situation.
Wie würdest du also den Titel interpretieren? Speak No Evil, also "Sag nichts Böses".
Puh. Ich würde den Titel, glaube ich, ziemlich wörtlich nehmen: Das Kind kann nicht über das Böse sprechen, das ihm angetan wurde.
Du glaubst also nicht, es steckt auch eine politische oder gesellschaftliche Note im Titel?
Oh doch, das schon. Es geht hier nicht nur um Folgsamkeit, sondern auch um den "Gesellschaftsvertrag" [social contract – im Deutschen: Vertragstheorie]. Um in einer sicheren Gesellschaft zu leben und ein behütetes Gefühl zu haben, müssen wir das Tier in uns unterdrücken, das selbstsüchtig ist, sich alles nimmt und tötet. Paddy und Ciara sind aber keine Menschen, die diesen Gesellschaftsvertrag unterzeichnen werden. Und es geht auch um Ben und Louise, die nicht von dem Bösen sprechen können, weil das Teil ihrer unterzeichneten Gesellschaftsnorm ist. Wir ignorieren das Böse höflich und folgen höflich den Regeln.