Dystopien halten uns einen Spiegel vor

10.04.2014 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Children of Men
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Die Dystopie als pessimistisches Kind der Science Fiction kann sehr viel mehr als grummelig von schlechten Aussichten berichten und ist die spannendste Entwicklung unseres menschlichen Drangs, mehr über uns selbst zu erfahren.

“Wenn sie ein Bild von der Zukunft haben wollen, so stellen Sie sich einen Stiefel vor, der auf ein Gesicht tritt – unaufhörlich.” – O’Brien, 1984

Nichts beschreibt eine dystopische Zukunft besser, als ein Stiefel, der einem unaufhörlich ins Gesicht tritt. Wir könnten diese Gleichsetzung von Zukunft und unaufhörlichem Schmerz auch einfach als Pessimismus abtun. Doch eine Dystopie wie George Orwells 1984 geht weit tiefer als schlechte Laune und Zukunftsängste. Dystopische Zukunftsvisionen bieten Nährboden für soziologische, anthropologische, philosophische, psychologische Überlegungen und noch so einige andere wissenschaftliche Disziplinen. Und was könnte spannender sein als die Frage – was kommt? Wie tief könnte die Reise der Menschheit bergab gehen? Können wir mit all den kollektiven Erfahrungen, die die Menschheit bisher gemacht hat, die Zukunft voraussagen? Oder erzählt viel mehr die erdachte Zukunft etwas über unser Leben und unsere Ängste im Hier und Jetzt? Ich will zuerst versuchen, die Dystopie von der Science Fiction im Allgemeinen abzuheben.

Was ist eine Dystopie?
Die Science Fiction speist ihre Popularität aus unserer Faszination am Fernen und Fremden. Wir wollen Entwürfe sehen, wie Aliens auf fremden Planeten leben, gigantische Raumschiffe durchs All schweben und in welche Richtung sich unsere Gesellschaft wohl bewegt, beziehungsweise welche technischen und naturwissenschaftlichen Fortschritte uns erwarten könnten. Die klassische Dystopie ist Teil der Science Fiction und speist sich weniger aus unserer Faszination am unbeantwortbaren Zukünftigen sondern viel mehr aus der Angst vor (all)gegenwärtigen Katastrophen und einem befürchteten Verfall unserer westlichen Werte.

Eine Dystopie, auch Anti-Utopie genannt, widmet sich immer einem alternativen oder zukünftigen Gesellschaftsentwurf, der das Gegenteil der Utopie, also alles andere als ideal, ist und den heutigen Zustand ins Negative kehrt. Dystopische Welten haben viele Formen. Sei es die von Maschinen beherrschte Welt (Matrix), von Aliens durchmischte Bevölkerung (Sie leben!), totalitäre Gedanken und Staatsformen (Code 46), die totale Verdummung der Menschheit (Idiocracy) oder andere erschreckende, gesellschaftliche Verhältnisse wie Überbevölkerung (Jahr 2022 – die überleben wollen) oder globale Unfruchtbarkeit (Children of Men). In jedem Fall geht einiges schief und oftmals sterben viele Menschen. Und meist sind andere Menschen daran schuld.

Der verwundbare Mensch in einer verletzlichen Gesellschaft
Die unbestreitbare Gemeinsamkeit, welche die klassischen, literarischen (Die Zeitmaschine, My, Schöne neue Welt, 1984) mit den modernen, filmischen Dystopien verbindet, ist der Fokus auf den Menschen als soziales Wesen, welcher entweder als Gemeinschaft vieler in einer bestimmten Ordnung lebt oder leben muss, oder sich als Rebellion gegen totalitären Einheitsbrei oder die Technisierung seiner selbst erhebt. Soziale Stabilität wird im dystopischen Weltentwurf meist als höchstes Ideal gehalten, welches ausschließlich der menschliche Körper mit seiner Fähigkeit zur Individualität durchbrechen kann. Und ist die Zivilisation aufgrund einer Katastrophe bereits zusammengebrochen, dann ist der Held einer von wenigen, der sich nicht seinen animalischen Instinkten hingibt, sondern die Flagge der demokratischen Zivilisation hochhält. Die belehrende Absicht all dieser Dystopie-Parabeln auf unser heutiges Dasein ist nicht zu übersehen. Sie spiegeln die Angst vor den Folgen des Fortschritts in oftmals moralischer Verpackung wider.

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