Mein Top-Film 2012 - Liebe

31.12.2012 - 08:31 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
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Michael Hanekes Drama über ein betagtes Paar am Ende seines Lebensweges hat mich in seiner präzisen Inszenierung beeindruckt und im sensiblen Spiel seiner Hauptdarsteller tief berührt. Liebe ist mein Favorit des Filmjahres 2012.

Gegen einen gemütlichen oder aufregenden Kinoabend mit Getränken, Popcorn und Süßigkeiten in einem großen Kinosaal mit entsprechender Ausstattung ist natürlich nichts einzuwenden. Das Jahr 2012 hatte in Punkto bombastischer Unterhaltung ja auch einiges zu bieten. Das Bondabenteuer James Bond 007 – Skyfall und aktuell Der Hobbit: Eine unerwartete Reise lassen nicht nur Fanherzen höher schlagen, sondern sind perfekt gemachte Filme zum Eintauchen in eine andere Welt. Ein wenig Eskapismus aus dem Alltag ist von Zeit zu Zeit ja nicht nur angenehm, sondern auch nötig. Dennoch hat mich in diesem Jahr ein Film am meisten beeindruckt, der mit eben genannten Megablockbustern wenig gemein hat. Liebe von Michael Haneke ist ein leises Drama über das Ende des Lebens, berührend und wahrhaftig in seiner Darstellung einer langjährigen Beziehung zweier Menschen in ihrem finalen Kapitel.

George und Anne sind beide um die 80 und seit langer Zeit miteinander verheiratet. Beide teilen die Liebe zur klassischen Musik miteinander, sind kultivierte Ruheständler und leben in einer bourgoisen Wohnung in Paris. Eine Morgens nach dem Besuch eines Konzertes erleidet Anne einen Schlaganfall, von dem sie sich nicht mehr erholen wird. Jetzt beginnt ihr körperlicher und geistiger Verfall und die ehemalige Pianistin ist auf die Pflege ihres Mannes angewiesen. Erst sitzt sie im Rollstuhl, später liegt sie nur noch hilflos im Bett mit dem Wunsch, ihrem Leben ein Ende zu bereiten.

George kümmert sich um seine Frau, so gut er kann. Die besorgte Tochter aus dem Ausland schickt er ebenso fort wie die Pflegerinnen, die sich routiniert und sachlich um seine langsam sterbende Frau kümmern. Georges Liebe hält auch in den letzten und schwersten Tagen seiner Beziehung, wie er es seiner Anne einst vor dem Altar versprochen hat. Natürlich hat auch seine Geduld und Aufopferung Grenzen, die der Musikprofessor aber die meiste Zeit erfolgreich zu überschreiten versucht.

Michael Hanekes Film spielt bis auf die Eröffnungsszene im Konzerthaus ausschließlich in der Wohnung des Paares. Alles hängt somit vom Spiel seiner beiden Hauptdarsteller ab und die meistern ihre Aufgabe grandios. Jean-Louis Trintignant kehrt nach mehr als 10 Jahren Abstinenz auf die Leinwand zurück und spielt den verzweifelten aber besonnenen Georges sensibel, wahrhaftig und dabei zurückhaltend, während mich Emmanuelle Riva in ihrer Darstellung einer Schlaganfallpatientin sofort an meine Großmutter erinnert hat, die ein ähnliches Schicksal auszuhalten hatte.

Im Gegensatz zu seinen präzisen aber bisweilen etwas kalt und schablonenartig anmutenden Filmen wie insbesondere Funny Games, ist Michael Hanekes Inszenierung in seinem neuen Film mit Empathie für Figuren und Thema durchzogen, so dass die Studie über das unausweichliche Fortschreiten des Alterns bei aller Grausamkeit von einer Warmherzigkeit getragen ist, die in dieser Form nicht unbedingt zu erwarten war.

Mehr: Mein Regie-Liebling – Michael Haneke

Während die meisten Figuren in Filmen von Michael Haneke einer Extremsituation oder äußeren Bedrohung ausgesetzt sind, mit der sie meist nicht fertig werden können, geht es in Liebe um die finalen Dinge des Lebens, um die eine Situation, der jeder Mensch am Ende seines Lebens ausgesetzt sein wird. Es gibt Momente der Verzweiflung, etwa wenn George seine Frau am geöffneten Fenster liegend findet, nachdem sie erfolglos versucht hatte, ihrem Leid selbstbestimmt ein Ende zu setzten. An anderer Stelle lachen die beiden über den etwas zu rasanten elektrischen Rollstuhl und verschaffen sich so einen Moment der Befreiung aus dem beklemmenden Endspurt des Lebens.

Michael Haneke hat mit Liebe einen berührenden, weil wahrhaftigen Film über das Sterben inszeniert, der keine einfachen Antworten auf die elemantaren Fragen des Lebens findet und der zugleich die Verbundenheit und Innigkeit einer jahrelangen Beziehung feiert, wie sie sich wohl jeder wünscht. Das für den Regisseur typische offene Ende überläßt dem Zuschauer dann die Entscheidung, ob George in seiner Liebe über sich hinaus gewachsen ist oder ob auch die stärksten Gefühle an eine Grenze stoßen können.

Liebe ist ein Film über das Leben und mein Favorit des Jahres 2012.

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