Phantastisch plastische Pina - 3D taugt doch was

14.02.2011 - 08:50 Uhr
Olos Diary: Pina und Tales of the Night
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Olos Diary: Pina und Tales of the Night
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Vierter Tag meiner Berlinale Odyssee und heute war das Festival so plastisch wie noch nie – 3D sei dank! Wim Wenders präsentierte seine 3D-Doku Pina, es gab den flachsten 3D-Animationsfilm aller Zeiten zu sehen und Uwe Boll verdrängte Werner Herzog.

Als Berlinale Novize habe ich noch vieles zu lernen, da steht fest. Blauäugig wie ich bin, wollte ich heute Vormittag eine Karte für einen Vortrag von Wim Wenders am Talent Campus sichern. Aber ich ahnte schon, als mich der Mann am Ticketcounter so mitleidig ansah, dass etwas im Argen liegt. Wie ich mich aufklären lassen musste, sind die Talent Campus Karten jeweils einen Tag im voraus kurz nach Schalteröffnung bereits weg. Wenn ich also zumindest eine Chance auf Einlass am Talent Campus haben möchte, müsse ich vor 8.30 Uhr vor dem Schalter stehen. Aha, wieder was gelernt. Wim Wenders muss also ohne mich auskommen, aber beim Vortrag von Paul Schrader (Taxi Driver) werde ich mich sputen.

PinaEine poetische, kraftvolle Liebeserklärung
Der Trailer von Pina sprudelte vor visueller Poesie und einer Tanzakrobatik, die Tanz- und Pina Bausch Unkundigen die Sprache verschlug. Das fertige Werk offenbarte nun, dass der Trailer keine abgekarterte Sache war, sondern den Film aus tiefster Seele widerspiegelte. Der Dokumentation gelingt der Spagat als tränenreiche Ehrerbietung für alle Kenner und Verehrer der Tänzerin zu funktionieren, aber auch als sehr intime Künstlerbiografie für Menschen mit weniger Vorkenntnisse. Ohne kalte Fakten über das “wer”, sondern mit persönlichen Eindrücken von Tanztheater-Ensemble, von Menschen, die mit der Künstlerin 20 Jahre und mehr verbrachten.

“Man kann sagen, dass diese Technik auf dem falschen Fuß angefangen hat. Wir kennen im Moment ja nur Animationsfilme oder computergenerierte Spektakel in 3D. Filme, die vor realer Kulisse gedreht wurden, gibt’s ja noch fast gar nicht. Ich glaube, die Zukunft dieser Technik liegt nicht unbedingt da, wo sie gerade angewendet wird.”
Wim Wenders ist ein Befürworter des neuen 3D-Trends und sieht enormes Potential in der Technologie abseits der herkömmlichen Animationen und Blockbustern und mit Pina trat endlich ein Film den Beweis an, dass die wahren Innovationen im Independent- und Kunstfilmsektor stecken. Wim Wenders Dokumentation ist in meinen Augen der ersten stereoskopische Film, der der 3D-Technologie inhaltliche Relevanz verleiht. Brian De Palma war ein Meister, wenn es darum ging, den Raum einer Szene für den Zuschauer begreiflich zu machen. Wim Wenders geht einen Schritt weiter und nutzt die Stereoskopie, um den Zuschauer selbst zum Teil der berühmten Stücke von Pina Bausch werden zu lassen. Der Zuschauer gehört zum “Café Müller”, schlüpft in die Haut der Tänzer und Tänzerinnen, nur um Sekunden später wieder die Bühne wie ein Schachbrett vor sich zu sehen, das einem das Gefühl vermittelt, man könnte direkt eingreifen.

Der große magische Moment des Films geschieht, wenn er von seiner inszenierten “Café Müller”- Aufführung unbemerkt und beinahe fließend zu originalem Schwarzweiß-Archivmaterial von Pina Bausch wechselt. Der Zuschauer wird von den leidenschaftlichen und kraftvollen Darbietungen in den Bann gezogen und plötzlich wird einem klar, dass kein plastisches 3D-Bild mehr zu sehen ist, sondern dass der Zuschauer die echte Pina Bausch in ihrer Glanzrolle beobachtet. Es sind keine leichten Stücke, die die Künstlerin zu ihren Lebzeiten zusammen mit ihrem Ensemble schuf. Und diese Schwere wird auch in Pina spürbar. Aber Wim Wenders wirkte dem mit einem einfachen Trick entgegen. Er fügte sporadisch kleine Sketch ähnliche Szenen ein, die mit einem wundervollen Sinn für Situationskomik ausgestattet wurden und Wuppertal als Handlungsschauplatz eine ganz eigene Schönheit entlockte. Damit zauberte der Film neben einem ernsten, ergriffenen Gesichtsausdruck auch ab und an ein Grinsen auf mein Gesicht. Poesie pur und eine Liebeserklärung an eine beeindruckende Künstlerin.

Tales Of The NightVom Scherenschnitt zum Kinofilm
Französische Animationsfilme hatten schon immer den Ruf, skurrile aber einfühlsame Vertreter ihrer Zunft zu sein. Auf Les contes de la nuit trifft leider nur ersteres zu. Ich habe einen konventionell erzählten Animationsfilm erwartet, der Film stellte sich dann als Märchensammlung heraus. Die ganze Struktur stößt den Zuschauer vor den Kopf. Es werden sechs Episoden erzählt, die alle vollkommen losgelöst von einander stehen und nur von einem sehr enervierenden, völlig konstruierten und – bei aller Liebe – einfach schlechten Rahmen zusammen gehalten werden. Les contes de la nuit reduziert die vom Regisseur Michel Ocelot aus allen Ecken der Erde zusammen gesuchten Mythen und Märchen und bricht sie auf 15 Minuten herunter, was sie jeglicher Raffinesse und Feingefühl beraubt. Die Dialoge und Situationen zeugen nicht selten von unfreiwilliger Komik. Dass der Zuschauer trotzdem einige Male von den Erzählugen eingefangen wird, geht von den enthaltenen Archetypen aus, aus denen Volksmärchen seit Jahrtausenden ihre Faszination schöpfen. Bloß können sich Eltern beim Erzählen von Märchen Zeit lassen, Les contes de la nuit nicht.

Die 3D-Technik hatte in diesem Fall nicht die Funktion, Tiefe zu erzeugen, wie es in Avatar – Aufbruch nach Pandora der Fall war, sondern die unterschiedlichen Layer, die den Film neben einer Schatten- auch eine Papiertheaterästhetik verliehen zu bündeln. Es war fast wie Kino in einer Schuhschachtel: Hintergrund, einige Ebenen dazwischen und die geschwärzten Silhouetten der Charaktere. Als Einzelfolgen auf einem 3D-Fernseher schaue ich mir Les contes de la nuit gerne nochmals an, aber als konstruierter Kinofilm taugt er nur bedingt.

War da nicht noch was?
Auch wenn ich mit den folgenden Worten vermutlich cineastischen Rufmord begehe, aber ich musste Uwe Boll gegenüber Werner Herzog den Vorzug geben. Ja, shame on me, aber Herzogs Die Höhle der vergessenen Träume ließ sich auf morgen verschieben, Uwe Boll dagegen lässt nur heute seinen Auschwitz von der Öffentlichkeit verreißen. So wenig mich der Film interessiert, der anschließende Talk mit dem Bollwerk der deutschen Filmindustrie, der gleichzeitig auch eine improvisierte Pressekonferenz abhalten wird – wir berichteten: Uwe Boll will Berlinale verklagen – dürfte den Unterhaltungswert seines Films um Längen schlagen.

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